THEO VAN GOGH: IN UNGEBROCHENER LINIE BIS HEUTE – DIE BANDERA NAZIS DER UKRAINE ALS HERRENRASSEN-KRIEGER

Ukraine – »Der Ruf des Blutes«

Bandera, Himmlers Waffen-SS und die US-Kulturindustrie. Die ideologischen Inspiratoren der faschistischen Krieger der Ukraine

Von Susann Witt-Stahl

»Unsere Ehre heißt Treue zur Ukraine«, 1. Ukrainische Division »Galizien« – Aktualisierung eines Plakats der deutschen Waffen-SS

Mit der Schlacht um Asowstal in Mariupol sind die Kämpfer der faschistischen Einheiten Kiews in den Heldenolymp der ukrainischen Propaganda aufgestiegen. Das gilt vor allem für das »Asow«-Regiment der Nationalgarde, das zusammen mit der 36. Marineinfanteriebrigade den Kern der Truppen bildete, die sich Mitte April 2022 in die Bunker des Hüttenwerks zurückgezogen hatten und rund eine Woche später von russischen Kräften eingekesselt wurden.

Schon vor der Kapitulation, die »Asow«-Kommandeur Denis Prokopenko am 20. Mai bekannt geben musste, wurden in den ukrainischen Medien schwülstige Oden angestimmt: »Im Asow-Regiment gibt es eine ideologische Grundlage. Es wurde zur Basis, zum Herzen jener Titanen, die Mariupol verteidigen und die ganze Ukraine auf ihren Schultern tragen«, sagte der Vorsitzende des Soldatenverbands »Kämpfende Bruderschaft der Ukraine«, Pawlo Schebriwski.

 

»Die 83 Tage der Verteidigung von Mariupol werden als Thermopylen des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen«, verkündete Michailo Podoljak, Berater des Präsidialamtsleiters, rund 79 Jahre, nachdem Hermann Göring einen Tag vor Ende der Schlacht einen ähnlichen Bezug zu Stalingrad hergestellt hatte. Göring hatte mit seinem Vergleich den kollektiven Opfertod der Soldaten der 6. Armee der Deutschen Wehrmacht beschworen, in den Leonidas mit seinen Spartiaten 480 v. u. Z. gegangen sein soll, indem sie sich einem übermächtigen asiatischen Heer entgegenstellten und bis zum letzten Blutstropfen kämpften.

Die Mythologisierung von Militärangehörigen zu götterähnlichen Wesen und Inszenierung als Sagengestalten mit »Herzen aus Stahl«, wie der »Asow« huldigende Eurovision-Song-Contest-Beitrag der Ukraine 2023 heißt, sind seit jeher fester Bestandteil faschistischer Ideologien. »Um den Rückschritt mit der Gloriole des Aufschwungs zu umgeben, wird selbstverständlich die Vorzeit vergoldet«, notierte Siegfried Kracauer Ende der 1930er Jahre und erinnerte daran, dass die Ästhetik des Faschismus ein »Parasit der Romantik« ist.

»Aus den Flammen der Geschosse«

 

Die in den Streitkräften der Ukraine hochgehaltenen Ideale des Soldaten und des Krieges sind heute vorwiegend von den militanten Nationalisten geprägt, die in den 1930er und 1940er Jahren mit Hitlerdeutschland kollaboriert und sich auch am Holocaust beteiligt hatten. »Der Sieg wird vor allem dank Bandera und Schuchewitsch möglich sein, die die Ukrainer jetzt ermutigen, das zu tun, was sie taten – sich nicht ergeben und die Invasoren vernichten«, würdigte Wolodimir Wjatrowitsch Ende April 2023 die Bedeutung des Anführers des radikalen Flügels der 1929 gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und des Kommandeurs ihres bewaffneten Arms, »Ukrainische Aufständische Armee« (UPA), der bis 1943 das ukrainische Freiwilligenbataillon der Deutschen Wehrmacht »Nachtigall« befehligt hatte, für den gegenwärtigen Krieg gegen Russland. Wjatrowitsch ist – nicht zuletzt wegen Weißwaschung der Geschichte der ukrainischen Waffen-SS-Division »Galizien« – ein international äußerst umstrittener Historiker. Er war früher an der Harvard-Universität tätig, von 2014 bis 2019 Direktor des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung in Kiew und gilt als einer der wichtigsten Architekten der revisionistischen Vergangenheitspolitik seines Landes.

 

»Wir wurden in einer großen Stunde geboren, aus den Feuern des Krieges und den Flammen der Geschosse«, beschreiben die ersten Zeilen der offiziellen Hymne der OUN formative Erlebnisse, die die ukrainischen mit den deutschen Nationalisten verbanden: Die Kerntruppen der SA, später Waffen-SS, brachten nicht nur Kampferfahrungen, sondern auch Verrohung aus dem Ersten Weltkrieg sowie einen in den protofaschistischen Freikorps eingeübten fanatischen Hass auf den Kommunismus mit. Ähnlich waren viele Kämpfer der OUN Veteranen der kriegerischen Auseinandersetzungen von 1917 bis 1920 um die Errichtung eines ukrainischen Staates mit dem Hauptfeind, dem »moskowitischen Imperialismus« und den Juden als »treuester Stütze« seines »bolschewistischen Regimes«, wie der Bandera-Flügel 1941 auf seinem Zweiten Generalkongress erklärte. Die ukrainischen Nationalisten wurden früh vom deutschen Militarismus und Faschismus beeinflusst: Schon 1923 wurden Kämpfer der »Ukrainischen Militärischen Organisation« (UWO), einer Vorgängerorganisation der OUN, in München heimlich von der Reichswehr ausgebildet und ab 1933 unter anderem auf Betreiben von Admiral Wilhelm Canaris gefördert. Später waren einige ihrer Köpfe für den Geheimdienst der Wehrmacht und die Gestapo tätig.

 

Die mittlerweile in der Ukraine wieder überaus mächtigen Nationalisten und faschistischen Milizen waren nicht nur treibende Kräfte der im Frühjahr 2014 gestarteten »Antiterroroperation« (ATO) gegen die prorussische Bevölkerung im Osten, die den Aufstand gegen die Maidan-Putschregierung gewagt hatte. Sie sind längst auch Ausgeburten des Krieges, mit all den irrationalen, idealistischen und archaischen Momenten, die Kracauer mit Verweis auf eine Feststellung von Hitlers ehemaligem Reichsorganisationsleiter hervorgehoben hatte: »Der Krieg war es«, sagte Gregor Strasser 1929, »der in den glühenden Jahren die erstarrte Kruste materialistischen Denkens zum Schmelzen brachte und die Umwandlung aller Werte der Ratio erzwang.«

»Ukrainisch-arische Werte«

 

Niemand kann den vom Faschismus fetischisierten »Willen zur Macht« als Grundimpuls des Lebens und seine »Idee der Nation« besser verkörpern als feuergetaufte Krieger. Denn vergossenes Blut hat sie zur Gemeinschaft geschmiedet, und sie haben blutige Gewalt ausgeübt. »Eine gesunde Nation muss mit einem Gefühl des freudigen Fatalismus für alles kämpfen, was ihr der Ruf des Blutes ins Ohr flüstert und wohin ihr historisches Schicksal führt«, heißt es in der 1940 von dem OUN-Oberst Michailo Kolodsynskyj verfassten und heute von »Asow« wieder aufgegriffenen »Militärdoktrin der Ukrainischen Nationalisten«. »Ihr müsst kämpfen oder ihr werdet sterben.«

 

Im Programm des 1996 gegründeten »Patriot der Ukraine«, einer paramilitärischen Kernorganisation des »Rechten Sektors«, das von seinem damaligen Vorsitzenden Andrij Bilezkij verfasst wurde, finden sich wesentliche Elemente der Kriegsideologie, die die Kämpfer von »Asow« als pars pro toto der von der NATO bis an die Zähne bewaffneten faschistischen Militärs in der Ukraine heute zur Weißglut gegen alles Russische bringt und der Erfüllung einer Mission dient: »der Erschaffung eines dritten Reichs – der Großukraine«. Das »Superstaatsimperium« werde mit einem »letzten Kreuzzug gegen das semitisch geführte Untermenschentum« erstritten, so Bilezkij, der heute Führer der »Asow«-Bewegung ist und in dessen frühen Publikationen sich Anleihen aus Heinrich Himmlers Reden finden. Das sei aber nur durch die Rückbesinnung auf die »alten ukrainisch-arischen Werte« – »Die Ukrainer sind ein Teil (und zwar einer der größten und hochwertigsten) der europäischen weißen Rasse« – und die Zerschlagung der Demokratie möglich. Denn diese habe dazu geführt, dass ein »heruntergekommener Drogensüchtiger oder ein Päderast bei Wahlen genausoviel wert ist wie ein Panzerdivisionskommandeur«. Nur durch die Entmachtung der »grauen Masse« und »die natürliche Auswahl der besten Vertreter der Nation« kann sich nach der Vorstellung Bilezkijs wieder eine Elite fanatischer Krieger herausbilden, die den »endgültigen Sieg der europäischen Zivilisation im Weltkampf« erringen wird.

Faszination SS

 

Bilezkij präsentierte ein Abziehbild des »nationalsozialistischen Übermenschen«, der Charakterzüge von Nietzsches »Rudel blonder Raubtiere, einer Eroberer- und Herrenrasse, welche kriegerisch organisiert« ist, trägt, und wie ihn der Grafiker und SS-Propagandakompanie-Sonderführer Ernst Ludwig Kretschmann, der 1942 auf der Krim gefallen ist, Anfang der 1940er Jahre dargestellt hatte. Für das ukrainische Nazimilitär und seine Rekrutierungskampagnen werden diese Herrenrasse-Krieger-Bilder heute neu interpretiert. Zum Beispiel produziert das Designerbüro »Hetmans Pinsel« Werbemittel für »Asow«, die auf Wehrmachts- und SS-Propagandamaterial aus dem Zweiten Weltkrieg basieren. So wurde etwa Ludwig Hohlweins berühmtes »Luftschutz!«-Motiv adaptiert, ebenso der sowjetische »Untermensch« für die Entfaltung antirussischer Horrorklischees wiederbelebt. Das alte »Nederlanders«-SS-Plakat, das einen »Übermenschen«-Krieger über einem mit Panzern und Fliegerunterstützung vorrückenden Kampfverband zeigt, wurde für die Visualisierung des Wunschtraums der Wiederauferstehung der SS-Division »Galizien« als Eliteeinheit der Kiewer Streitkräfte mit der Losung »Unsere Ehre ist unsere Treue zur Ukraine« aktualisiert. »Die Geister der Soldaten der 14. Division schauen uns heute aus ihrem Tempel des Lichts an, der Ruhestätte aller Kämpfer gegen den roten Moloch des letzten Jahrhunderts«, heißt es auf dem »Hetmans Pinsel«-Telegram-Kanal über die »Galizier«.

 

Unter den ukrainischen Kämpfern, die in der Tradition der OUN stehen, ist die Faszination für die Waffen-SS groß. Viele tragen die Symbole und teilen – wie ihre Vorfahren damals – mit den Angehörigen der SS die Bereitschaft zur Grausamkeit und Skrupellosigkeit: »Du sollst nicht zögern, das allergrößte Verbrechen zu begehen, wenn die Sache dies verlangt«, lautet das siebte Gebot und »Begegne den Feinden deiner Nation mit Hass und rücksichtslosem Kampf« das achte Gebot in der Originalfassung des »OUN-Dekalogs«, der heute in den »Asow«-Verbänden, die inzwischen auf zwei Brigaden angewachsen sind, wieder verbreitet wird.

 

Die SS sei »die ideale Verkörperung« des Drangs, »totale Macht über andere zu haben, sie als absolut minderwertig zu behandeln«, bemerkte Susan Sontag 1974 in ihrem Essay über »faschistische Sehnsüchte«, in dem sie herausstellte, dass diese in der Mitte der westlichen bürgerlichen Gesellschaft eingelagert sind. Die SS habe ihren Herrschaftsanspruch in einer »einzigartig brutalen und effizienten Weise« ausgelebt und ihn gleichzeitig zu inszenieren verstanden, »indem sie sich an bestimmte ästhetische Normen gebunden« habe. Mit ihren »stilvoll, gut geschnittenen« Uniformen, die »einen Hauch (aber nicht zu viel) von Exzentrik« hatten, »war sie als eine militärische Elitegemeinschaft konzipiert, die nicht nur äußerst gewalttätig, sondern auch äußerst schön sein sollte«.

 

Der soldatische »Übermensch« kommt heute in der ukrainischen Armee zu höchsten Ehren. Der nazistische Kriegerorden »Centuria«, der sich 2018 an der Nationalen Armeeakademie von Hetman Petro Sagaidatschnyj, der bedeutendsten militärischen Bildungseinrichtung der Ukraine, formiert hat, feiert ihn als Kind einer »zweiten Geburt«: vom »Anhänger einer Idee« zum »höheren Zustand« des »Kämpfers für Ideale«. Dieser »Übermensch« soll »die Identität der Völker Europas vor inneren und äußeren Bedrohungen schützen«. Und so erinnerte »Centuria« die ukrainischen Soldaten am 8. Mai 2023, zum 78. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus, an den »unsterblichen herrschenden Willen der ukrainischen Nation«, der die Vorfahren in den Kampf »gegen die Horden« an »die Mauern von Tsargrad (Konstantinopel, S. W. S.), über das Kaspische Meer und die Weichsel führte«, und befahl: »Hört und glaubt, siegt und erobert!«

NATO-Musterkadett

 

Die Ideologen der ukrainischen Rassekämpfer haben auch verstanden, dass die ersehnte vernichtende Niederlage und Unterwerfung »Asiens«, wie sie Russland heute wieder nennen, nur im Bunde mit den USA herbeigeführt werden kann: »Im Grunde genommen sind die Amerikaner jedoch sowohl vom Blut als auch von der politischen Kultur her Europäer, wie wir anderen auch«, wird der Pakt mit dem einst verhassten liberalen Westen trotz dessen »LGBTQ-Propaganda« vom »Avantgarde Kulturbund«, einer autonomen Nazikriegergruppe, zweckrationalisiert.

 

Die Mannschaften der faschistischen Kampfverbände in der Ukraine rekrutieren sich erheblich aus dem Nazihooligan- und kriminellen Bandenmilieu. Um eines Tages als Musterkadett der NATO auf den Paradeplätzen des Westens und dem politischen Parkett in Washington, Brüssel und Berlin öffentlich vorzeigbar zu sein, müssen sie perspektivisch ihre SA-Gossenmanieren und Dirlewanger-Radaurhetorik hinter sich lassen. Einige »Asow«-Einheiten haben die Schwarze Sonne, die Wolfsangel und andere vergangenheitspolitisch schwer belastete Symbole bereits aus ihren Insignien verschwinden lassen oder abstrahiert. Weitere Entnazifizierungen dürften folgen – nur des aufs »Dritte Reich« verweisenden Erscheinungsbilds, nicht jedoch der Weltanschauung, erst recht nicht der von den westlichen Partnern schweigend genossenen Kriegführung.

Tödliche Befruchtung

 

Die rasant wachsende Macht – und damit auch der zunehmende Anspruch auf Prestige und Anerkennung von »ganz oben« aus dem Pentagon – der Faschisten als Staat im Staat nährt ihren Wunsch, eine Kriegeraristokratie zu schaffen. Diese repräsentiert niemand eindrucksvoller als der Literat der vornehmen deutschen Reaktion und Gentleman-Faschist Ernst Jünger. Dessen Schriften bildeten mit seinen dandyesken Betrachtungen des Krieges und der Ästhetisierung des Grauens (wie sie seinerzeit der italienische Futurismus predigte) eine Antithese zu denen Erich-Maria Remarques: »Bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand«, notierte Jünger 1944 über einen Luftangriff auf Paris. »Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird« – nicht zufällig eine der meistzitierten Passagen aus seinem umfangreichen Werk. Bei der Auslese für Jüngers Blutadel zählt biologische Abstammung nichts, bedingungslose Opferbereitschaft alles. Und bei Jünger finden sich auch die palingenetische Vorstellung des »Aufstiegs einer neuen Ära« des Abendlands aus den Schlachtentrümmern und das Ideal vom Herrenvolk als »Schützengrabengemeinschaft«. Diese kann Frieden bestenfalls als »Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln« dulden, wie Kracauer ein Merkmal faschistischer Zukunftsentwürfe beschrieb.

 

Volltext www.mesop.de