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Kritik an Antisemitismus-Resolution – So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen

Die Kritik an der Resolution von Ampel und Union wird seit Monaten lauter. Über 600 Unterzeichner machen sich jetzt für einen Gegenentwurf stark.

2.11.2024  Von Daniel Bax  2-11-24 Ist das noch von der Staatsräson gedeckt? Demonstranten in Berlin bei einer Kundgebung gegen den Krieg in Gaza

 

Berlin taz | Ein gutes Jahr lang haben die Ampel-Fraktionen und die Union darüber verhandelt, wie eine gemeinsame Resolution gegen Antisemitismus aussehen könnte. Seit die ersten Entwürfe die Runde machten, wurde die Kritik an dem Vorhaben immer lauter. Ein Kreis von jüdischen und nichtjüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formulierte deshalb jüngst einen Gegenentwurf zu der Resolution, auf die sich die Fraktionsspitzen von Regierung und Union nun am Freitagabend geeinigt haben.

Vor zehn Tagen erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dieser Alternativvorschlag, verfasst von den Juristen Ralf Michaels, Jerzy Montag und Andreas Paulus, den Soziologen Armin Nassehi und Paula-Irene Villa Braslavsky sowie der Historikerin Miriam Rürup. Anders als die Union und die Regierungsparteien, deren Entwurf auf Sanktionen und rechtliche Verschärfungen zielt, stellen sie positive Maßnahmen zur Unterstützung jüdischen Lebens in den Vordergrund.

In einem offenen Brief, der der taz vorliegt, machen sich über 600 Unterzeichner aus Politik, Kultur und Gesellschaft für diesen Gegenentwurf stark.

 

Er zeige, „wie Staat und Zivilgesellschaft jüdisches Leben in Gänze und im Rahmen des Rechts schützen können, ohne Minderheiten gegeneinander auszuspielen“, heißt es darin. Für den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus brauche es „das pluralistische Selbstverständnis und den Einsatz einer demokratisch gestärkten Zivilgesellschaft“. Rechtliche und moralische Sanktionierung reichten dafür nicht aus.

Unterzeichner aus Politik, Kultur und Wissenschaft

Zu den prominenten Erstunterzeichnern aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft zählen der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer, die ehemalige Verfassungsrichterin Susanne Baer, die Intendantin Amelie Deuflhard von der Kampnagel-Kulturfabrik Hamburg, der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der Fotograf Wolfgang Tillmanns, die Literaturagentin Karin Graf, die Schriftstellerinnen Eva Menasse und Mithu Sanyal, die Philosophin Eva von Redecker sowie die Rektorin des Wissenschaftskollegs Berlin, die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger, um nur einige zu nennen.

Viele Kri­ti­ke­r befürchten eine Einschränkung der Meinungs-, Kunst-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit, sollte der Bundestag die von den Fraktionsspitzen von Ampel und Union jetzt vereinbarte Resolution mehrheitlich beschließen. Der Hauptvorwurf: Statt Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, werde Kritik an israelischer Politik eingeschränkt und teilweise sogar kriminalisiert.

Dass sich die Resolution zudem in Teilen auf einen angeblich aus dem Nahen Osten „importierten Antisemitismus“ konzentriert, lenke vom einheimischen Antisemitismus ab, der zum deutschen Völkermord an Europas Juden geführt habe. Der Resolutionsentwurf von Ampel und Union fordert, repressive Möglichkeiten insbesondere „im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“ konsequent auszuschöpfen. Das richte sich bedrohlich deutlich gegen Einwanderer und Asylsuchende. Vielen stößt auch auf, dass die Fraktionsspitzen über den Inhalt der Resolution monatelang hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten – ohne relevante zivilgesellschaftliche Gruppen einzubinden, etwa aus Kultur und Wissenschaft. Dass die Einigung spät an einem Freitagabend öffentlich wurde, verstärkt den Eindruck eines Hinterzimmerdeals.

Kritik kommt von vielen Seiten

Der Entwurf, auf den sich Friedrich Merz (CDU), Rolf Mützenich (SPD), Alexander Dobrindt (CSU), Christian Dürr (FDP), Katharina Dröge und Britta Haßelmann (Grüne) nun geeinigt haben, ähnelt weitgehend der Version, die bereits im Sommer kursierte. Nur wenige Details haben sich geändert. Schon damals meldeten sich hundert jüdische Intellektuelle und Künstler in Deutschland zu Wort. Sie sehen sich durch diese Resolution „zum Schutz jüdischen Lebens“ nicht geschützt, sondern sogar gefährdet, schrieben sie in einem Protestbrief, der im August in der taz erschien.

Auch israelische Menschenrechtsorganisationen übten damals schon scharfe Kritik: Die Resolution sei illiberal und könnte auch auf ihre Arbeit in Israel zurückfallen und dort zu noch mehr Zensur führen. Deutsche Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty und medico international, schlossen sich dieser Kritik an: Sie sehen Grundrechte in Gefahr. Schon jetzt erhielten viele humanitäre Projekte und Entwicklungs-Hilfsorganisationen aufgrund ihrer Kritik an völkerrechtswidrigen Handlungen Israels keine Fördermittel des Auswärtigen Amtes oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mehr. Dafür sorgen fragwürdige „Antisemitismus“-Klauseln, die eine staatliche Förderung aus Deutschland schon jetzt einschränken.

Renommierte Juristinnen und Juristen warnen schon lange vor Gesinnungsprüfungen und Rechtsunsicherheit, sollte die umstrittene Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in deutsches Recht einfließen und zur Grundlage von Gesetzen gemacht werden. Die israelischen Juristen Itamar Mann und Lihi Yona kritisieren jüngst zudem im Fachmedium Verfassungsblog, dass sich die Verfasser der Resolution anmaßen zu entscheiden, welche Juden schutzwürdig seien und welche nicht. Jüdinnen und Juden, die Israels Politik kritisch sähen, wären durch diese Resolution genau so gefährdet wie alle anderen, die der deutschen „Staatsräson“ einer bedingungslosen Solidarität mit dem jüdischen Staat kritisch gegenüber stehen.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Resolution konzentriere sich auf Bereiche, die von staatlicher Förderung abhängig sind – insbesondere auf Bildung, Wissenschaft und Kultur. Nicht, weil Antisemitismus dort virulenter sei als anderswo. Sondern, weil die staatlichen Sanktionsmöglichkeiten dort am größten sind.