ZUCKERBERGS FINALE WELTHERRSCHAFT ALS WILLE & VORSTELLUNG AM ENDE ALLER UTOPIEN

Facebook &das Metaversum: warum wir Meta auch in der neuen virtuellen Welt nicht vertrauen können

Mark Zuckerberg möchte die kommende Revolution des Internets anführen. Doch für das Metaversum sind weder der Multimilliardär noch sein Konzern Meta Platforms moralisch gerüstet. Christiane Hanna Henkel Neue Zürcher Zeitung – 15-11-22

Der amerikanische Technologieunternehmer Mark Zuckerberg drängt mit Macht ins Metaversum. Er will die bevorstehende Revolution des Internets mitgestalten und in der künftigen virtuellen Welt eine führende Rolle einnehmen. Zuckerberg denkt dabei in grossen Zeiträumen und nimmt zweistellige Milliardenbeträge in die Hand.

Vor rund einem Jahr hat er seine Vision für das Metaversum dargelegt und sein Unternehmen entsprechend in Meta Platforms umgetauft. Seitdem geht es bergab. Die Aktionäre nehmen Reissaus. Der Wert an der Börse ist um 80 Prozent eingebrochen. Sie glauben nicht daran, dass Meta die Kompetenzen und Fähigkeiten besitzt, um das Metaversum zu erobern. Eine ähnliche Haltung spiegelt die auch in einer breiteren Öffentlichkeit vorhandene Skepsis gegenüber Zuckerbergs Metaversumsvisionen. Die zahlreichen Skandale der letzten Jahre und die Implikationen eines von den Daten der Nutzer angetriebenen Geschäftsmodells haben das Vertrauen in den Konzern erodieren lassen.

Die einen glauben also nicht an Zuckerbergs Vision, die anderen sprechen ihr die ethische Integrität ab. Beim Rennen um die Macht im Metaversum fehlt Zuckerberg und seinem Tech-Konzern vor allem eines: Vertrauenswürdigkeit. Diese haben Zuckerberg und seine Spitzenmanager wie Sheryl Sandberg in den letzten Jahren verspielt – erstens mit der Ausgestaltung des Geschäftsmodells, zweitens mit der Art und Weise, wie sie die Strategie umgesetzt haben, und drittens – ironischerweise – mit ihren verzweifelten Bemühungen, das ramponierte Image des Konzerns aufzupolieren.

Lernen in wenigen Stunden statt in Dekaden

Das Metaversum steht heute ganz am Anfang. Virtuelle Welten, wie sie die Spielehersteller aufgebaut haben und in denen sich Hunderttausende von Menschen vergnügen, geben nur einen kleinen Vorgeschmack auf das, was das Metaversum einmal sein könnte.

Experten wie der ehemalige Manager von Amazon Studios Matthew Ball (in seinem Buch «The Metaverse and How It Will Revolutionize Everything») oder der Gründer und CEO des Tech-Unternehmens Improbable Herman Narula (in seinem Buch «Virtual Society. The Metaverse and the New Frontiers of Human Experience») heben drei möglicherweise prägende Eigenschaften des künftigen Metaversums hervor. Für die Nutzer fühlt sich erstens die virtuelle Welt an, als sei sie real; diese gefühlte Teleportation geschieht dank neuen Technologien. Der Nutzer kann zweitens in der virtuellen Welt mit anderen Personen oder Gegenständen interagieren, die sich ebenfalls real anfühlen. Und drittens ist diese immersive virtuelle Welt mit der realen Welt verbunden. Im Metaversum erzieltes Einkommen, dort generierte Ideen, dort aufgebaute Identitäten oder dort erreichter Einfluss können in die reale Welt transferiert werden.

Damit dürfte das Metaversum seinen Besuchern Erfahrungen bescheren, die bisher nicht möglich waren. An einem Beispiel veranschaulicht Narula diese Eigenschaften: «Stell dir eine Welt vor, in der du eine neue Fähigkeit an einem einzigen Nachmittag erlernen kannst, indem du fortgeschrittene Simulationstechnologie benutzt, mit der du in zwei Stunden jene Versuch-und-Fehler-Schritte vollziehen kannst, für die du früher eine Dekade gebraucht hättest.»

Manipulation und Vertrauensmissbrauch – bei Meta nichts Neues

Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass wir uns in das Metaversum als Individuum in digitalisierter Form begeben, ist Vertrauen. Vertrauen, dass unser digitales Ich nicht ausspioniert, manipuliert oder anderweitig missbraucht wird. Genau das aber ist auch Teil der DNA von Meta Platforms.

Der Meta-Konzern ist trotz Zuckerbergs edel klingenden Visionen letztlich eine schlichte Werbeplattform. Die Kunden sind mehrheitlich Firmen, die mit ihrer Werbung potenzielle Konsumenten erreichen wollen – also Konsumgüterhersteller, Anbieter von Dienstleistungen, Gewerbetreibende und Ähnliche. Mit diesem Ziel betreibt der Meta-Konzern heute drei Kommunikationsplattformen: die beiden sozialen Netzwerke Facebook und Instagram und den Kurznachrichtendienst Whatsapp. Sie gehören zu den weltweit wirtschaftlich erfolgreichsten ihrer Art. Rund 3,6 Milliarden Menschen und damit fast die Hälfte der Weltbevölkerung loggt sich laut Unternehmensangaben mindestens einmal im Monat in einen der drei Dienste ein.

Die Nutzer geben über den Besuch der sozialen Netzwerke einiges von sich preis: Welche Medien sie konsumieren, welche Posts von Kollegen sie liken, wann sie sich ein- und wann sie sich wieder ausloggen, was sie kaufen usw. Tausende von Programmierern sind bei Meta vor allem mit zwei Dingen beschäftigt: die Nutzer zum einen dazu zu bewegen, so viele Daten wie möglich zu generieren. Über alle möglichen Anwendungen werden sie auf Instagram oder Facebook dazu bewogen, möglichst lange auf den Plattformen zu verbleiben und viele Datenspuren zu hinterlassen.

Zum andern schreiben die Programmierer Software, mit der sie die Datenspuren der Facebook- und Instagram-Kunden so auswerten können, dass sie für die Werbekunden möglichst wertvoll sind. Die Nutzer von Facebook oder Instagram sind als Datenlieferanten nur Teil der Dienstleistung, die Meta seinen Kunden anbietet. Die Nutzer sind das Produkt. Das ist Teil der DNA von Meta Platforms.

Die Philosophie von Meta Platforms zeigt sich überdies in der Art, wie der CEO Mark Zuckerberg die Wachstumsstrategie umgesetzt hat. Hier galt lange das Prinzip des rücksichtslosen Voranstürmens. Nach dem Motto «Move fast and break things» wurden Konkurrenten aufgekauft, nur um sie dann im Konzern selbst in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen. Das Unternehmen expandierte in fast alle Länder dieser Welt, ohne zuvor kulturelle Eigenheiten oder politische Befindlichkeiten ausreichend zu prüfen. Das Ziel von Meta Platforms war es, mit diesem «Blitzscaling» so schnell wie möglich Netzwerkeffekte spielen zu lassen und sich als marktbeherrschende Plattform in Stellung zu bringen. Auch das ist Teil der DNA von Meta Platforms.

Hass und Hetze: die hässliche Seite des Geschäftsmodells

Für Millionen von Menschen sind die Plattformen und Kommunikationsdienste des Facebook-Konzerns eine Bereicherung. Die Perfektionierung des Milliardengewinne einbringenden Geschäftsmodells und die Fokussierung auf dessen möglichst rasche Umsetzung und Wachstum aber haben verheerende Nebenwirkungen und Skandale hervorgebracht. Der Meta-Konzern muss sich etwa verantworten dafür, dass ausländische Akteure in den letzten Jahren Einfluss auf das US-Wahlgeschehen genommen haben, dass er teilweise den Wettbewerb in der Tech-Branche ausgehebelt hat, oder auch dafür, dass in Schwellen- und Entwicklungsländern Konflikte eskaliert sind.

Diese hässliche Seite von Metas Geschäftsmodell zeigte sich vor fünf Jahren in dramatischer Weise: Damals ging das Militär im mehrheitlich buddhistischen Myanmar massiv gegen die muslimische Rohingya-Minderheit vor. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Verfolgung als Völkermord. Während Meta Platforms nicht ursächlich war für den Konflikt, hatten auf Facebook eskalierende Hetze und Hass den Konflikt angeheizt.

Davon will man in Menlo Park am Hauptsitz von Meta Platforms heute nichts mehr wissen. Vor einem Jahr hat Zuckerberg seinen Konzern von Facebook in Meta Platforms umbenannt. Die Mitarbeiter nennen sich seitdem «Metamates». Nach aussen tritt man für unverfängliche und gefällige Ziele ein, etwa im Bereich Klima oder LGBTQ. Das alles offenbar in der Hoffnung, etwas möge von den damit verbundenen Werten auf das ramponierte Image von Meta Platforms abfärben.

Es ist der verzweifelte Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dabei hätte es Mark Zuckerberg als Mehrheitsaktionär, Gründer, CEO und Verwaltungsratspräsident von Meta Platforms in der Hand gehabt, dass sein Unternehmen verantwortungsbewusst mit den Nutzern von Facebook, Instagram und Whatsapp und deren Daten umgeht. Das Geschäftsmodell einer Werbeplattform ist per se nicht bedenklich; wie es Zuckerberg aber umsetzt, schon. Das Konzept des «Blitzscaling» ist grundsätzlich nicht bedenklich, wie es Zuckerberg ausführt, ist es das sehr wohl. Jeder Unternehmer begeht Fehler, und viele Firmen geraten in Skandale; wie Zuckerberg diese über die Umbenennung seiner Firma, die derzeitige Aneignung unternehmensfremder Werte und letztlich die Flucht ins Metaversum verdrängen will, ist mehr als bedenklich.

Was steht für Zuckerberg künftig im Mittelpunkt? Gewinn oder Menschen?

Mark Zuckerberg und Meta Platforms stehen heute unter enormem Erfolgsdruck. Der Tech-Konzern ist bereits heute als Werbeplattform eine Gewinnmaschine von in der Wirtschaftsgeschichte bis anhin unbekanntem Ausmass. Letztes Jahr hat Meta Platforms bei einem Umsatz von 118 Milliarden Dollar einen Gewinn von 39 Milliarden Dollar erzielt. Die Grösse und vor allem die Gewinnkraft lasten allerdings wie ein Fluch auf der Zukunft des Konzerns. Soll dieser auch in den nächsten Jahrzehnten wachsen und Milliardengewinne abwerfen, dann muss Zuckerberg den Koloss schon heute darauf vorbereiten, rasch neue Märkte und vor allem jene mit Milliardenpotenzial zu erobern. Dass Zuckerberg und Meta Platforms unter diesem enormen Druck bei der Eroberung des Metaversums den Menschen in den Mittelpunkt stellen, darf bezweifelt werden.

In Werbespots lockt Meta Platforms mit dem süssen Versprechen, dass es dort Gemeinschaften aufbauen und die Welt näher zusammenbringen möchte. Mit diesem Versprechen hat Zuckerberg schon in der realen Welt Schaden angerichtet. Für das virtuelle Metaversum sind weder der Multimilliardär noch sein Konzern moralisch gerüstet.