(Un-)Schuld und Sühne / Ein Film aus Californien

Von Stefan Frank

In den ersten Berichten über »Innocence of Muslims« hieß es, der »Film« sei von einem »israelisch-amerikanischen« Immobilienhändler produziert worden, der dafür »fünf Millionen Dollar« von »hundert Juden« erhalten habe. Inzwischen weiß man mit Sicherheit, daß eine solche Person nicht existiert. Doch schon von Anfang an hätte jeder Journalist sich durch einmaliges Anschauen des Videos davon überzeugen können, daß die Geschichte nicht stimmen kann – und es folglich unterlassen sollen, diese Ente weiterhin zu verbreiten. Die Behauptung, der Film habe einen jüdischen Urheber, kann letztlich keinen anderen Grund haben als den, dass unter Muslimen noch mehr Haß auf Juden entfacht werden soll.


Es ist eine Lüge zu behaupten, die Djihadisten, die überall auf der Welt marodieren, seien »wütend« auf einen »islamfeindlichen Film«, weil in ihm der Prophet Mohammed geschmäht werde.

Erstens: Djihadisten sind immer wütend, darum sind sie ja Djihadisten.

Zweitens: Sie würden sich auch dann über einen Angriff auf ihre Religion beklagen, wenn Mohammed in einem Film als durch und durch vorbildlicher Mensch gezeigt würde, weil auch dies eine Verletzung des Bildverbots wäre.

Unlängst erst beschimpfte die iranische Regierung den britischen Fernsehsender BBC wegen einer Dokumentation über das Leben des Propheten, obwohl dieser darin nicht einmal vorkommt. Auch der Cartoon-Djihad 2005 entzündete sich ja nicht etwa daran, dass gewalttätige Muslime etwas daran auszusetzen gehabt hätten, dass Mohammed in den Cartoons als gewalttätig dargestellt wurde – sondern daran, dass die Zeichner ihn überhaupt abbildeten.

Das Gerede über einen »Film« – oder gar, wie Spiegel Online es ausdrückte: einen »US-Film« – ist ganz und gar lächerlich. Werfen wir einen kurzen Blick auf das fragliche YouTube-Video namens »Innocence of Muslims«.

Es hat zwei Teile, die offenbar überhaupt nichts miteinander zu tun haben, also in Wahrheit zwei verschiedene »Filme« sind. Der erste spielt im Ägypten der Gegenwart, der zweite wohl auf der Arabischen Halbinsel zur Zeit des Propheten Mohammed. Das Video beginnt im Stil einer Sitcom. Die erste Person, die zu sehen ist, ist ein glatzköpfiger Mann in Militäruniform, der Adler auf dem Barett soll ihn als Angehörigen der ägyptischen Armee ausweisen. Er unterhält sich mit zwei Zivilisten in weißen Kitteln, die Ärzte sein sollen (die Kulisse ist aber die Nachbildung einer alten Apotheke!), über Polygamie. Was die 25-sekündige Szene soll, bleibt unklar.

In der zweiten Szene sieht man sieben barfüßige Personen, einige tragen weiße Gewänder und Kopfbedeckungen sowie angeklebte schwarze Bärte. Sie haben Stöcke und andere Schlagwerkzeuge in den Händen – sollen also wütende Muslime darstellen – und rennen durch ein fast menschenleeres Set; für Statisten fehlte offenbar das Geld. Wie die Website The Hollywood Reporter schreibt, handelt es sich bei dem Set um den so genannten Baghdad Square der Blue Cloud Film Ranch in Santa Clarita in der Nähe von Los Angeles, die oft für TV- und Filmproduktionen benutzt werde, die in nahöstlichen Kriegsgebieten spielen.

Bevor der jetzige Besitzer des Platzes Filmkulissen (hier sind weitere Fotos) errichtete, befand sich dort eine wilde Mülldeponie. Filmranches wie diese gibt es viele in Santa Clarita, sie sind unter Regisseuren sehr beliebt (auch Quentin Tarantino hat dort gedreht), weil sie eine große Auswahl an verschiedenen Sets und genug Platz bieten, ohne die Probleme, die mit Dreharbeiten im öffentlichen Raum verbunden sind. Zudem befinden sie sich noch in der 30-Meilen-Zone rund um Westhollywood, außerhalb welcher Gewerkschaftsmitgliedern Zuschläge gezahlt werden müssen.

Davon, dass der erste Teil des Films wirklich auf der Blue Cloud Ranch gedreht wurde, kann sich jeder überzeugen: Der Balkon, auf dem sich in der zweiten Szene die Frau befindet (0:37), ist exakt derselbe, der auf einem Foto zu einem Bericht eines Lokalblatts im Hintergrund zu sehen ist (zweites Haus von rechts). Warum das wichtig ist? Jeder kann dort drehen, man braucht keine Genehmigung, keine Hollywoodproduktionsfirma und auch nicht viel Geld. Das Militärfahrzeug, das im ersten Teil von »Innocence of Muslims« an einer Stelle benutzt wird, gehört zu den Requisiten der Ranch, brauchte also nicht extra beschafft zu werden.

Weiter im Film:

Die wütenden Bartträger werden nun beim Verwüsten einer Wohnung gezeigt, wobei sie aber anders als in Wirklichkeit darauf zu achten scheinen, nichts zu beschädigen (denn das würde Geld kosten). Der zweite Teil bzw. Film beginnt bei 2:15 und ist noch absurder als der erste. Es unterhalten sich zwei Männer, ein älterer mit Glatze und ein junger mit einem riesigen Rauschebart, der fast wie ein schwarzes Schaf aussieht. Die Kamera zeigt niemals beide gleichzeitig, sondern in Schuss und Gegenschuss. Dabei ist dem »Filmteam« ein grotesker Anschlussfehler unterlaufen: Während sich der Rauschebart in einer computergenerierten Sandwüste befindet, steht sein Gegenüber vor einem Theatervorhang! Hier wurden also verschiedene Aufnahmen kombiniert; die Behauptung der Schauspieler, sie hätten nichts von einem Film über Mohammed oder den Islam gewusst, ist somit ganz und gar glaubhaft, zumal der Satz »His name is Mohammed« (2:55) nachsynchronisiert wurde, auf die für den Film typisch stümperhafte Art. Das Gleiche gilt für alle anderen Dialogpassagen, in denen Mohammed oder der Islam erwähnt werden.

Der geradezu ostentative Dilettantismus ist auch in den Einstellungen ab 3:14 und 7:02 mit bloßem Auge zu erkennen. Der Akustik nach zu schließen wurden die Szenen in einem großen leeren Innenraum aufgenommen, vielleicht in einem Theater. Dann wurden die Personen am Computer in eine Wüstenlandschaft mit Palmen eingefügt (Bluescreen-Technik), in der sie sich bewegen wie Figuren in einem Videospiel der frühen achtziger Jahre. »Es gibt absolut keine Möglichkeit, dass dieser Film fünf Millionen Dollar gekostet hat. Eher fünf Dollar. […] Es sieht aus wie ein Hoax«, sagte ein unabhängiger Filmproduzent einem Reporter der Website FoxNews.com.

In den ersten Berichten über den »Film« war erwähnt worden, dass er von einem »israelisch-amerikanischen« Immobilienhändler produziert worden sei, der sich selbst »Sam Bacile« nenne und dafür »fünf Millionen Dollar« von »hundert Juden« (!) erhalten habe. Inzwischen wissen wir mit Sicherheit, dass eine solche Person nicht existiert. Doch schon von Anfang an hätte jeder Journalist sich durch einmaliges Anschauen des Videos davon überzeugen können, dass die Geschichte nicht stimmen kann – und es folglich unterlassen sollen, diese Ente weiterhin zu verbreiten. Die Behauptung der »jüdischen« Urheberschaft des Films kann keinen anderen Grund haben als den, dass unter Muslimen noch mehr Hass auf Juden entfacht werden soll.

Dafür sprechen auch Szenen in dem Film selbst. Bei 7:42 sagt der Film-Mohammed zu einem Mann, der ein Jude sein soll: »Erinnere dich, in der Torah befiehlt Gott den Juden, die Stadt Jericho zu zerstören und alle Menschen zu töten, sogar die Frauen und Kinder. Habe ich recht?« Der Jude antwortet: »Ja, das hat Elohim, unser Gott, getan.« Des Weiteren fordert Mohammed den Juden unvermittelt auf, »nach Palästina« zu gehen. Der Jude spuckt im Weggehen vor Mohammed auf den Boden. Was soll der ganze Quatsch? Gibt es eine andere Deutung als die, dass dieses Video respektive die nachträgliche Synchronisierung – denn was die Schauspieler ursprünglich gesagt haben, wissen wir ja nicht – nur dem Zweck dient, Hass auf Juden zu schüren? Dass ein Antisemit versucht hat, sich auszumalen, wie wohl ein von den ihm verhassten jüdischen Bösewichtern produzierter Film über den Islam aussähe?

Ohnehin gibt es einen regelrechten Film mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht. Denn hätte jemand die Absicht gehabt, einen Film zu drehen, der später einmal einem Publikum vorgeführt werden soll, dann hätte er sich etwas mehr Mühe gegeben: Mit der heutigen Technik könnte jeder Abiturient ein Ergebnis zustande bringen, das professioneller aussähe als das, was da im Internet zu finden ist. Die eigentlichen Nachrichten, die verbreitet werden sollten, sind also die folgenden:

  • Dass sich alle über etwas aufregen, das gar nicht existiert. Ein YouTube-Video gibt es, sonst nichts. Und nein: Es ist auch kein »Trailer«. Ein Trailer ist Werbung für Filme, die im Kino gezeigt wird, bevor der Film anfängt, den man eigentlich sehen will. 14 Minuten Videomaterial machen keinen Trailer. Wer »Trailer« sagt, erweckt darüber hinaus den Eindruck, es gebe einen Film, der bald in die Kinos kommt – was ja eindeutig nicht der Fall ist.
  • Wer auch immer das Video produziert (bzw. die Dialoge im Nachhinein verändert) und verbreitet hat, hatte vor, damit Hass auf Juden zu schüren. Fälschungen zum Zweck der Aufwiegelung sind ja gang und gäbe. 2005 reisten dänische Muslime in arabische Länder, um dort über die angeblichen Verunglimpfungen des Propheten in Dänemark zu klagen. Dabei beriefen sie sich auf ein Foto eines Mannes im Schweinekostüm – und waren selbst die Einzigen auf der Welt, die je behauptet haben, dass der Mann (ein französischer Bauer bei einem Wettbewerb im Schweinequieken) den Religionsstifter darstellen solle. Erst kürzlich wurde in Pakistan ein geistig behindertes Mädchen wochenlang im Gefängnis festgehalten, weil es den Koran verbrannt haben soll. Inzwischen wurde die Anklage fallengelassen, weil vermutet wird, dass ein Imam die Beweismittel selbst produziert hat.

Der jetzige Fall erinnert auch an die bedeutungsträchtigste antisemitische Fälschung: die »Protokolle der Weisen von Zion«. Wer würde glauben, dass einmal eine Versammlung von »weisen Juden« getagt hat, um Folgendes zu Papier zu bringen: »Wir haben grenzenlose Ziele, unerschöpfliche Gier, gnadenlose Rache und Hass jenseits jeglicher Vorstellung. Wir sind eine geheime Armee, deren Pläne mit ehrlichen Methoden unmöglich verstanden werden können. List ist unsere Herangehensweise, das Geheimnis ist unsere Methode. [Der Weg] der Freimaurer, an den wir glauben, kann von den Nichtjuden, die dumme Schweine sind, nicht verstanden werden […] Das endliche Ziel der Freimaurer ist es, die Welt zu zerstören und eine neue zu errichten, gemäß der zionistischen Politik, sodass die Juden die Welt kontrollieren können […] und die Religionen der Welt zu zerstören.«

Um sich diesen Bären aufbinden zu lassen, muss man nicht nur Antisemit sein, sondern ein wirklich kompletter Idiot, oder? Die obigen Sätze wurden 2001 in der quasi-staatlichen ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram zitiert; der Journalist wollte mit ihnen erklären, »was die Juden wollen«. In Ägypten findet man die »Protokolle« in Schaufenstern von Buchläden (oft neben Hitlers »Mein Kampf«). In Saudi-Arabien lernen alle Schüler, dass sie authentisch seien und es dafür »viele Beweise« gebe. Bei einer solchen Prädisposition wird es schwer fallen, wütenden Arabern auszureden, dass »Innocence of Muslims« kein von Juden in Hollywood produzierter Blockbuster ist – und wie zur Bestätigung haben arabische Zeitungen auf das Video mit einer neuen Welle antisemitischer Karikaturen im Stürmer-Stil reagiert, in denen die Juden als Drahtzieher verantwortlich gemacht werden. Da sich zudem mehr und mehr zeigt, dass sich die »Wut« der islamistischen Hooligans buchstäblich auf Knopfdruck einschalten lässt (und sie in Deutschland einige verständnisvolle Komplizen in den Redaktionen finden), wird eine Fülle solcher antisemitisch motivierter Fälschungen auf uns zukommen. Einige Kommentatoren werden sie als Beweis für die grassierende Islamophobie werten.

* Stefan Frank ist freier Journalist und Autor des Buches »Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise« (2009). In Kürze erscheint sein neues Buch »Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos«.