Von Dominik Feusi, Bern. Aktualisiert um 07:27
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Geri Müller führte den Sex-Chat auch aus Damaskus fort, wo er mit einem Diplomatenpass weilte. Warum er überhaupt über einen Diplomatenpass verfügt, ist unklar.
Selbsternannter Geheimvermittler. Geri Müller nutzte seinen Diplomatenpass für private Missionen nach Syrien und Libanon – und schickte von dort Selfies.
Die Geschichte, wie sie die Schweiz am Sonntag berichtet und ein Vertrauter des Dossiers der BaZ schildert, ist einfach: Geri Müller, 53, Nationalrat für die Grünen und Stadtammann von Baden, geschiedener Vater von drei Kindern und längst wieder mit einer jungen Frau zusammen, hat nebenher eine Chat-Freundin aus dem Kanton Bern, mit der er sich auch ab und zu trifft.
Das läuft offenbar bereits über mehrere Wochen so. Der Sex-Chat soll mehrere 100 Seiten lang sein. Müller schickt der jungen Dame immer extremere Fotos, auch aus seinem Büro im Stadthaus Baden und aus dem Nationalratssaal. Er zeigt und beschreibt seine Geschlechtsteile und macht gleichzeitig erniedrigende Bemerkungen über seine Sekretärin im Stadthaus. Als er «unten ohne» in seinem Büro sitzt, meint er, die Sekretärin könnte sich bei ihm «bedienen», wenn sie nun ins Büro käme.
SMS aus Syrien und Libanon
Müller steckt derart tief in der Chat-Beziehung, dass er offensichtliche Sicherheitsregeln ignoriert. Mitte Februar sendet er SMS aus Damaskus, wo er sich dank einem Diplomatenpass zu geheimen Gesprächen zwischen der Regierung und der Opposition aufhalte, wie er seiner Chat-Gespielin meldet. Er flucht über die Amerikaner und lacht über die Geschlechtsteile seiner Gegenüber. Müller müsste eigentlich wissen, dass dies nicht ohne Risiko ist, weder für ihn selbst, noch für die schweizerische Aussenpolitik. Längst ist Müller auf dem Radar internationaler Geheimdienste, weil er eigenwillige Haltungen zum Konflikt im Nahen Osten hat.
Warum Müller über einen Diplomatenpass verfügt, ist unklar. Am Sonntag wollte das Aussendepartement keine Auskunft geben. Die Parlamentsdienste bestätigten hingegen der BaZ, es könne gut sein, dass Müller aus seiner Zeit als Präsident der aussenpolitischen Kommission (APK) noch einen Diplomatenpass besitze. Genaueres wisse jedoch nur das Passbüro des Aussendepartements (EDA).
Diplomatenpässe für alle
Die Rechtslage ist nicht eindeutig: Diplomatenpässe gibt es gemäss Verordnung nur für die beiden Ratspräsidenten und Ratsmitglieder, die «im Rahmen einer parlamentarischen Kommission ins Ausland reisen». Diplomatenpässe sind also an einen bestimmten offiziellen Anlass gebunden. Die untergeordnete Verordnung des EDA baut dann die Berechtigung auf einen Diplomatenpass wieder aus. Dort genügt plötzlich ein Mandat oder ein Amt. Wer sich im Parlament genügend stark darum bemüht, erhält einen derartigen Pass. Wer alles über ein solches Dokument verfügt, wollte das EDA nicht offenlegen. Bei den Parlamentsdiensten wusste niemand von der Reise nach Damaskus. Anders im EDA. Müller informierte das EDA darüber, dass er via Libanon nach Syrien reise. Was er dort tat, ist nicht bekannt.
Carlo Sommaruga, Genfer SP-Nationalrat und APK-Präsident, erläutert der BaZ die gängige Praxis. Grundsätzlich könnten alle Mitglieder der APK einen Diplomatenpass verlangen, meist geschehe das aber, wenn ein Mitglied zum ersten Mal mit der Kommission ins Ausland reise. Dann werde der Pass vom EDA ausgestellt. Dafür müsse das Ratsmitglied seinen eigenen Pass beim EDA hinterlegen. Das Problem dabei: Der Diplomatenpass ist zehn Jahre gültig. Obwohl die Ausgabe des Passes an eine Reise ins Ausland geknüpft ist, muss er danach nicht zurückgegeben werden. Wenn er aufgrund der Mitgliedschaft in der Kommission vergeben wurde, ist er nur zurückzugeben, wenn die Mitgliedschaft erlischt.
Sommaruga betont, er sehe in einer privaten Reise Müllers nach Damaskus keinen Missbrauch des Diplomatenpasses. Entscheidend sei, dass die dortigen Behörden im Besuch keine offizielle Mission der Schweiz sähen.
Viele offene Fragen
Die lokalen Parteien verlangen nun von Müller Auskunft darüber, was tatsächlich geschah. Die CVP fordert beispielsweise eine «klare und detaillierte Stellungnahme», womit auch gesagt ist, dass Müllers bisherige Verlautbarungen nicht genügen.
Dabei wird Müller auch die bestehenden Ungereimtheiten aus dem Weg räumen müssen. Hat der Aargauer Nationalrat der jungen Bernerin tatsächlich gedroht? Er fragte sie gemäss Schweiz am Sonntag: «Hast du das Handy noch?» Als sie mit Ja antwortet, schreibt er: «Die Chance ist gross, dass du es bald nicht mehr hast.»
Die Frau sei darauf noch mehr eingeschüchtert gewesen und soll spätestens von da an die Drohungen teilweise aufgezeichnet haben. Wie hat Müller erfahren, dass die Frau plante, mit dem Material an die Öffentlichkeit zu gelangen? Wem hat sie sich anvertraut und von wem wurde sie verraten?
Müller rief die Polizei an
Geklärt ist seit gestern, dass Müller hinter beiden Polizeieinsätzen steckt. Er war zumindest informiert darüber, dass seine Ex-Frau die Bernerin zurück nach Baden lockte. War diese Aktion der Ex-Frau mit Müller abgesprochen? Hatte seine Ex-Frau die Handynummer der Chat-Geliebten von Geri Müller? Handelte sie in seinem Auftrag? War es tatsächlich eine Falle, um der Frau das Handy abzunehmen?
Die Aargauer Polizisten kamen bei der Befragung der Frau zum Schluss, dass die Frau mitnichten Selbstmordabsichten hatte. Hat Müller die Polizei angelogen, um mit einem Vorwand an das Handy mit dem Chat und den Bildern zu gelangen?
Auch der zweite Polizeieinsatz vom Donnerstagabend wurde von Geri Müller veranlasst, diesmal über seinen Anwalt. Doch wann zeigte er seine Freundin an? Etwa als er merkte, dass die Stadtpolizei Baden es nicht geschafft hatte, das Handy in Gewahrsam zu nehmen? Und nicht zuletzt: Was sagt es über das Frauenbild des grünen Politikers aus, wenn er schreibt, seine Sekretärin könne sich bei seinem entblössten Unterkörper «bedienen»? (Basler Zeitung)
Erstellt: 19.08.2014, 07:27 Uhr