THEO VAN GOGH ÜBERSICHT: EU/DEUTSCHLAND BEZAHLT = USA REÜSSIERT!
Die USA und die EU : Beim Geld hört die Freundschaft mit den Europäern auf
- Von Hendrik Kafsack und Winand von Petersdorff FAZ 11.12.2022- Die gigantischen US-Subventionen stellen die Europäer vor eine schwierige Aufgabe. Wie lässt sich ein Handelskonflikt vermeiden, ohne die eigene industrielle Basis zu opfern?
Es hat etwas von enttäuschter Liebe. „In der aktuellen geopolitischen Lage und bei unseren gemeinsamen Klimaschutzzielen sollten wir doch Allianzen bilden ,statt Konflikte zu riskieren“, beschwor Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Donnerstag im Europäischen Parlament. Auf dem Programm: das gigantische amerikanische Subventionspaket für grüne Technologien, der Inflation Reduction Act. Sicher, dass die USA die Hilfen daran knüpfen, dass die Vorprodukte von dort stammten und die Produkte in Amerika zusammengefügt würden, sei wohl gegen China gerichtet, schob Dombrovskis nach. Aber den Preis zahlt die EU.Sie muss zusehen, wie Unternehmen dem Geld folgen und ihre Investitionen in die USA verlagern, wo zu allem Überfluss auch noch die Energiekosten viel niedriger sind. Anfang der Woche, nach dem jüngsten Treffen des europäisch-amerikanischen Handels- und Technologierats (TTC) bei Washington, hat Dombrovskis den USA deshalb ein kleines Ultimatum gesetzt. Bis Ende des Jahres muss eine Lösung her.
Nicht, dass die USA Ultimaten interessieren würden. Ihre politische Führung ist beseelt. Ronald Klain, Präsident Joe Bidens Chefstratege und Stabschef, feiert nahezu täglich auf Twitter: sinkende Preise für Benzin, für Gebrauchtautos oder Medizin, die Eröffnung neuer Mikrochip-Fabriken und ein kaum erwarteter Erfolg bei den Zwischenwahlen.
Bestätigung für Biden
Bidens Mannschaft fühlt sich bestätigt in der Neuausrichtung der Industriepolitik. 369 Milliarden Dollar investieren die Amerikaner mit dem Inflation Reduction Act oder kurz IRA in grüne Zukunftstechnologien. Mit 3,5 Billionen Dollar insgesamt will das Weiße Hause die industrielle Kapazität stärken. Der Großteil ist privates Kapital. Durch Steuergutschriften sollen Investitionen animiert werden.
Es ist eine Reaktion: darauf, dass die Deindustrialisierung Landstriche verarmen ließ und Ungleichheit förderte. Dass der Klimawandel bekämpft werden muss. Dass China technologisch, wirtschaftlich und militärisch in Schach gehalten werden muss. Dass die Globalisierung dann zu weit getrieben wurde, wenn die Versorgung wichtiger Güter nicht gewährleistet ist. Also müssen junge Industrien gefördert und geschützt werden – mit einer Kombination aus Subventionen und Protektionismus.
Die Aufgabe ist enorm. „Wir sprechen über 950 Millionen Solarpaneele und 120.000 Windräder bis Ende dieser Dekade, Milliarden Geräte mit Mikroprozessoren, Millionen Elektrofahrzeuge, Tausende Meilen von Glasfaserkabel und Übertragungsleitungen“, sagt Brian Deese, Bidens Wirtschaftsberater. Angesichts der Größe der Aufgabe wirken Bedenken der transatlantischen Freunde über protektionistische Akzente kleinlich. „Die verstehen gar nicht, warum wir sie kritisieren, wir sollen uns freuen, dass sie endlich in den Klimaschutz investieren“, sagt die niederländische Europaabgeordnete Catharina Rinzema. Sie hat sich gerade in Washington mit demokratischen US-Abgeordneten getroffen.
„America First“ gilt immer noch
Solchen Aussagen schmerzen. Sie zeigen, wie wenig sich verändert hat, seit Biden ins Weiße Haus eingezogen ist. Kommt es hart auf hart, gilt für Biden wie Trump „America First“. Die Folgen für die EU sind bestenfalls ein Kollateralschaden – und das, obwohl die EU in ihren Förderprogrammen konsequent auf protektionistische Akzente verzichtet. Immer wieder wird das in Brüssel betont. Und sie haben sich in Europa doch so Mühe gegeben, die Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen, Handelskonflikte entschärft und Foren wie den TTC geschaffen.
Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine sah sich die EU fest an der Seite der USA. Die haben ja auch alles getan, die Europäer nach dem Wegfall der russischen Lieferungen mit verflüssigtem Gas (LNG) zu versorgen – wenn auch zu einem hohen Preis, einem zu hohen, sagen manche. Beim Geld hört die Freundschaft auf. Auch das schafft Spannungen. Und jetzt das, der IRA.
Um in den Genuss großzügiger Subventionen zu kommen, müssen Elektroautos in Amerika zusammengefügt werden, ihre Batterien mit Komponenten gebaut sein, die in Amerika oder bei Freihandelspartnern gefördert oder verarbeitet wurden. Die EU gehört nicht dazu. Auch für andere Felder gilt „Buy American“. Die USA fördern die heimische Produktion kritischer Materialien, die für Solarpaneele, Windräder und Batterien benötigt werden. Erneuerbare Energie wird direkt gefördert und zusätzlich, wenn für die Anlagen Stahl und Eisen aus heimischer Produktion verwendet werden. Zu den großen Subventionsprojekten gehört ferner der Aufbau einer Produktionsinfrastruktur für „grünen Wasserstoff“. 231 Milliarden Dollar des 369-Milliarden-Pakets verstoßen nach Berechnungen der EU-Kommission gegen die WTO-Regeln, da sie klar protektionistisch sind.
Der Geldregen wirkt
Noch ist unklar, wie gravierend die Folgen für die EU sein werden. „Es zeichnet sich aber ein immer deutlicheres Bild“, sagt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Es gehe nicht mehr nur um „anekdotische Evidenz“. Viele Unternehmen hätten Interesse geäußert, angesichts der Subventionen in den USA zu investieren, betont Jason Bordoff, Fachmann für globale Energiepolitik an der Columbia-Universität. Einige hätten angedeutet, dass sie dafür Projekte in anderen Ländern sausen lassen. Der Geldregen wirkt.
Der schwedische Hersteller Northvolt hat den Bau einer Batteriefabrik in Heide in Schleswig-Holstein genauso auf Eis gelegt wie Tesla in Grünheide, weil der IRA lockt. Linde baut seine größte Elektrolyse-Anlage im Bundesstaat New York. Sie sei nur der erste mehrerer amerikanischer Anlagen, teilte der Konzern im September mit. Der Chef des Konzerns Fortescue Future Industries , Mark Hutchinson, warnt, dass es für Europa schwer werde, seine Wasserstoffziele zu erreichen, wenn es nicht mit dem US-Subventionspaket mithalten könne.
Die Europäer wollen zumindest eingeladen sein, wenn die Party Anfang Januar mit dem Inkrafttreten des IRA beginnt. Sie wollen einen Teil des Förderkuchens. Die protektionistischen Anreize müssten weg. Illusionen gibt sich dabei niemand hin. Dass Biden das Gesetz noch einmal aufschnürt, glaubt niemand mehr. Dazu kam die Aufregung auch etwas zu spät. Der Kongress hat den IRA im September verabschiedet. Erst Wochen später hat man auf der anderen Seite gemerkt, was da dräut. Anfang November haben beide Seiten eine Arbeitsgruppe zur Bewältigung des Konflikts eingerichtet. Die sollte bis zum TTC am vergangenen Montag eine Lösung erarbeiten – und scheiterte.
Kein Interesse an offenem Konflikt
Dennoch gibt sich Dombrovskis plötzlich vorsichtig optimistisch, dass der große Krach vermieden werden kann. Das hat viel mit dem Washington-Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu tun. Biden sagte danach zu, auf die Sorgen der Europäer einzugehen. An einem offenen Konflikt haben auch die Amerikaner angesichts der aktuellen geopolitischen Lage kein Interesse.
Nur, was bedeutet das? Es geht vor allem darum, Interpretationsspielräume zu nutzen, die der IRA bei der Umsetzung hergibt. Das kann die flexible Auslegung der Vorgabe sein, dass Elektroautos in Amerika nur zusammengefügt werden müssen. Die Amerikaner könnten, überspitzt gesagt, hinnehmen, dass nur die letzten Schrauben dort angezogen werden. Oder die EU kommt doch noch in den Genuss der nur Freihandelspartnern vorbehaltenen Sonderbehandlung, etwa wenn die USA das TTC oder andere Kooperationsformate als „Handelsabkommen light“ einstufen.
Sicher ist nichts. Die Gespräche laufen auf Hochtouren. Am Freitag tagte die EU-US-Arbeitsgruppe wieder, am Montag soll das nächste Treffen folgen. Ideal wären erste Erfolge bis zum Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs Ende kommender Woche.
„Das löst das eigentliche Problem nicht“
Wie stark das am Ende den Kollateralschaden des IRA für die EU mindert, ist offen. Zunächst geht es vor allem darum, eine gesichtswahrende Lösung für beide Seiten zu finden. Damit sich die EU nicht gezwungen sieht, den Partner USA nach dem Jahreswechsel vor die Welthandelsorganisation in Genf zu zerren. Selbst wenn die Europäer doch von den symbolträchtigen US-Subventionen für Elektroautos profitierten, ist damit nicht alles gut. „Das löst das eigentliche Problem nicht: dass Hunderte Milliarden an Subventionen in Schlüsselindustrien fließen, die in Amerika produzieren“, sagt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat deshalb am vergangenen Sonntag – nicht zufällig einen Tag vor dem TTC – skizziert, wie sie sich die Antwort der EU auf den IRA vorstellt. Sie will den Staaten großzügige Staatshilfen erlauben, um grüne Technologien bis zur Massenproduktion zu fördern. Selbst die Subventionen gegenüber stets skeptische dänische Liberale Vestager unterstützt sie – auch von der FDP aus Berlin kommen positive Töne. Bei ihrer zweiten Idee sieht das anders aus. Von der Leyen will, dass die EU einen – schuldenfinanzierten – Souveränitätsfonds auflegt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht „nur die immer gleiche Lösung auf der Suche nach immer neuen Anlässen“. Dombrovskis warnt, ein Subventionswettlauf sei teuer und ineffizient.
Und das Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet vor, dass die US-Hilfen gar nicht so groß sind, wie es scheint. Schließlich fließt das Geld bis 2032. Anderswo, nicht nur in Paris, stößt von der Leyen auf große Zustimmung. Dort sind ohnehin nicht so sehr der IRA und die protektionistischen Anreize das Problem, sondern dass die EU selbst nicht längst den gleichen Weg beschreitet. Das ist dann nicht mehr enttäuschte Liebe, sondern der Neid, dass der große Partner USA mal wieder etwas schneller war als die EU.