NORD KURDISTAN : Iran-Spione tragen syrischen Bürgerkrieg in die Türkei

DIE WELT – Boris Kalnoky – 4.9.2012 – Bei mehreren Angriffen der PKK auf türkische Militärposten sind am Sonntag zehn Soldaten ums Leben gekommen. Offenbar spielen dabei sowohl der Iran als auch der Bürgerkrieg in Syrien tragende Rollen.

PKK-Kämpfer griffen am späten Sonntagabend unerwartet eine ganze Reihe türkischer Militärposten an – am Ende waren zehn Soldaten tot und mehrere verletzt. Es war der jüngste Höhepunkt einer intensiven PKK-Offensive, die offenbar mit der Entwicklung im benachbarten Syrien zusammenhängt.

Dort hat die Kurden-Organisation massive Verstärkungen ins Feld geführt.

Zusammen mit der befreundeten syrischen Kurdenpartei PYD kontrolliert sie weite Teile des syrischen Kurdengebiets. Die durch den Bürgerkrieg bedrängte syrische Armee hat sich aus der kurdischen Region zurückgezogen, und die heterogenen syrischen Rebellengruppen wollen sich erstens nicht gegen die Kurden verzetteln, sondern ihre Kräfte auf das Assad-Regime konzentrieren, und sind zweitens in diesem Kampf gegen Damaskus mit den Kurden verbündet. Das kann sich freilich ändern, sobald das Regime stürzt und die inneren Widersprüche der Assad-Gegner aufbrechen. Die Frage, die in der Türkei diskutiert wird, ist, woher die plötzlich erheblich gesteigerte Wirksamkeit und Tödlichkeit der PKK-Angriffe kommt. Viel war dabei von syrischer, iranischer oder gar iraelischer Unterstützung für die Terroristen die Rede.

Die Debatte erhält nun neue Nahrung, nachdem ein iranischer Agentenring in der Türkei aufflog. Am vergangenen Freitag wurden neun Personen festgenommen und sieben davon wenig später verhaftet, unter dem Vorwurf, für den Iran spioniert zu haben. Zwei von ihnen sind iranische, die anderen türkische Staatsbürger.

Die regierungsnahe Zeitung “Zaman” berichtete, in den Verhören sei zutage gekommen, dass der Iran seit März 2012 “100 gut trainierte Spione” in die Türkei entsandt habe. Sie hätten unter anderem mit der PKK Kontakt aufgenommen und türkische Sicherheitseinrichtungen ausspioniert – Einrichtungen, die sich auch als Ziele für PKK-Angriffe eignen. Die beiden Iraner waren festgenommen worden, nachdem nachdem sie ein regionales Gendarmerie-Hauptquartier fotografiert hatten.

Früher haben beide Länder zusammengearbeitet

Eigentlich hatten die Geheimdienste der beiden Länder im Kampf gegen die PKK bisher zusammengearbeitet. Denn auch im Iran betreibt die Terrororganisation einen örtlichen Ableger. Der türkische Vizepremier Bülent Aric hatte den bisher üblichen “Informationsaustausch” im August sogar öffentlich bestätigt.

Die Zusammenarbeit scheint aber anlässlich des Syrienkonflikts zum Stillstand gekommen zu sein. Türkische Medien berichten von Hinweisen, dass die Iraner nicht nur keine Informationen mehr liefern, sondern der PKK aktiv helfen. Vor einigen Wochen war es zu spektakulären Kämpfen in der Region um den Ort Semdinli gekommen. Unbemerkt von den Türken waren 200 PKK-Kämpfer samt schwerer Waffen eingesickert, und lieferten den Sicherheitskräften über Wochen hinweg erstmals eine regelrechte Schlacht, statt nur schnell zu zuzuschlagen und dann zu verschwinden. Die Zeitung “Türkiye” zitierte Sicherheitsexperten mit der Auffassung, dass die 200 PKK-Kämpfer über die iranische, nicht wie sonst üblich über die irakische Grenze gekommen waren, und dass es “unmöglich” sei, dass der Iran darüber nichts gewusst habe. Es sei aber kein Hinweis aus Teheran gekommen. In den Medien kursieren zudem Gerüchte, wonach die PKK iranische Armee-Außenposten benutze.

Widersprüchliche Interessen in der Region

Wieviel davon stimmt, ist unklar. Ein Ziel der festgenommenen Iraner war offenbar, Informationen über die von der Türkei aus operierenden syrischen Rebellen zu sammeln. Klar ist aber, dass die türkische Strategie, Assad zu Fall zu bringen, in direktem Widerspruch steht zur iranischen Politik, die Assad als ihren einzigen Verbündeten in der Region zu stützen versucht.

Zur Komplexität der Lage trägt bei, dass die Türkei zugleich eine lebenswichtige wirtschaftliche Nabelschnur für den den Iran darstellt, und der iranische Markt wichtig ist für die türkische Wirtschaft. Das Mullah-Regime ist in diesem Jahr zum größten Handelspartner der Türkei aufgestiegen – vor Deutschland. Vor allem türkisches Gold wird in den Iran exportiert.

Diese materiellen Interessen verbinden die beiden Länder. Aber die Zeiten sind längst vorbei, da – bis Ende 2010 – die verbalen Ausbrüche des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gegen Israel zum Verwechseln ähnlich klangen, die Türkei im UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen das iranische Atomprogramm ablehnte, und Ahmadinedschad wärmstens in Istanbul empfangen wurde, wo er sich und Erdogan als “Leuchttürme der Menschlichkeit” pries und von der “Totenglocke für Israel” schwadronierte.

Bürgerkrieg offenbart unterschiedliche Interessen

Inzwischen hat der syrische Bürgerkrieg schwelende Interessenkonflikte zwischen beiden Ländern offen zum Ausbruch gebracht. Es geht nicht nur um Syrien – wo die Türkei den Iran als bestimmenden Einflussfaktor verdrängen will, sondern auch um den Irak. Schon im Januar 2010 – so ist es in den Wikileaks-Depeschen zu lesen – sprach die Türkei die Amerikaner mit der Idee an, den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki von der Macht zu trennen, weil er “dem Iran zu nahe steht”. Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger soll laut Wikileaks Anfang 2010 nach einem Treffen mit Erdogan gesagt haben, dieser wolle Führer der islamischen Welt werden.

Das geht nur, indem man den anderen Kandidaten für diesen “Posten”, Irans Präsident Ahmadinedschad, aus dem Feld sticht. Es scheint, als habe die Türkei den Iran lange nur umarmt, um ihn zu ersticken; jetzt geht es um die Macht in der Region, und der Iran hält dagegen. In Syrien geht es für Teheran ums Ganze. Da kann auch eine Stärkung der PKK opportun erscheinen, selbst wenn diese zugleich ein Gegner der Iraner ist.

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