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Streit um Historiker Mbembe – Antisemitismusbeauftragter als diskursiver Schrankenwärter
Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, wirft dem Historiker und politischen Philosophen Achille Mbembe eine Relativierung des Holocaust vor. Stephan Detjen geht diese Kritik zu weit. Klein schwinge sich zu einem zivilen Glaubensrichter auf, kommentiert er.
Von Stephan Detjen
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Seitdem der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem kamerunischen Historiker Achille Mbembe antisemitische Argumentationsmuster vorgeworfen hat, liegt das Werk Memebes und dazu eine ganze Forschungsrichtung, der Postkolonialismus, auf dem Seziertisch der Feuilletons. Es wird diskutiert, ob und wie afrikanische Wissenschaftler die Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei in Beziehung zur Shoa setzen dürfen. Ein weites Feld.
Felix Klein hat es mit regierungsamtlicher Autorität beackert. Seine Forderung, Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale auszuladen, verbietet Mbembe nicht den Mund. Aber sie markiert eine Grenze des in Deutschland öffentlich Sagbaren. Öffentlich geförderte Musikfestivals, Kulturforen, Theater und Bildungseinrichtungen, also ein wesentlicher Teil der kulturellen und politischen Öffentlichkeit, sollen für Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle gesperrt werden, die Felix Klein mit dem Antisemitismus Vorwurf brandmarkt. Hier liegt das Problem.
Fragwürdige Exegese weniger Zeilen
Für sein Verdikt im Fall Mbembe genügte dem Antisemitismusbeauftragten eine fragwürdige Exegese weniger Zeilen eines tausende Seiten umfassenden Gesamtwerks. Um seinen folgenreichen Vorwurf zu begründen, blendete Klein Kontexte der inkriminierten Passsagen aus und bog sie sich zurecht, bis das eigentlich Gesagte hinter der interpretierenden Zuspitzung kaum noch erkennbar war.
Der von Mbembe mit Blick auf die Besatzungspolitik Israels verwendete Begriff von einem „israelischen Projekt“ sollte als Beleg dafür dienen, dass der Autor dem Staat Israel schlechthin das Existenzrecht abspreche. Dass Mbembe – wie neben vielen anderen auch ein ehemaliger Bundesaußenminister – die südafrikanische Apartheidpolitik und das israelischen Besatzungsregime vergleichend – nicht gleichsetzend – in Verbindung brachte, wurde als antisemitische Dämonisierung Israels verurteilt.
Klein nutzte sein staatliches Mandat, um einen renommierten Wissenschaftler zu verbannen
In einem wissenschaftlichen oder feuilletonistischen Diskurs gibt es alle Freiheit, Mbembe und die geschichtsphilosophischen Analogien der Postkolonialismus-Forschung kritisch zu hinterfragen. Felix Klein sagt, er betrachte es als seine Aufgabe, Diskussionen darüber anzustoßen. Doch was er tat, war etwas anderes. Klein nutzte sein staatliches Mandat für den Versuch, einen international renommierten Wissenschaftler aus einem deutschen Diskursraum zu verbannen.
Der Regierungsbeauftragte machte sich damit eine Strategie von Lobbygruppen zu eigen, die einen entgrenzten Antisemitismus-Begriff instrumentalisieren. Politisch oder wissenschaftlich begründete Kritik an der israelischen Besatzungspolitik soll auf diese Weise systematisch delegitimiert werden.
Der Fall Mbembes illustriert, dass es dabei längst nicht mehr nur um evidenten Antisemitismus geht. Das Bundesinnenministerium, in dem Klein mit seinem Amt angesiedelt ist, vermied es in einer gewundenen Stellungnahme, den direkten Antisemitismus-Vorwurf gegen Mbembe zu wiederholen. Stattdessen erklärte der Sprecher des Ministeriums, es müsse – Zitat – : „als problematisch angesehen werden (…), wenn die Verbrechen des Holocaust in Zusammenhang gebracht werden mit anderen geschichtlichen Zusammenhängen“. Die Formulierungen Achille Mbembes könnten „im deutschen Diskurs (…) anders wahrgenommen werden als in anderen Ländern.“ Wohl wahr.
Intellektuelle Abschottung Deutschlands zum politischen Programm
Eine Geschichte ist der Wert eines Austauschs mit Teilen der Welt, die über Generationen nur als unterworfene Kolonien oder Adressaten von Entwicklungspolitik wahrgenommen wurden. In der Rechtsfertigungslogik des Bundesinnenministeriums aber werden schon der bloße Perspektivwechsel und die Konfrontation mit unterschiedlichen Wahrnehmungen zur gefährlichen Bedrohung eines deutschen Erinnerungskanons.
Die Bundesregierung macht damit eine intellektuelle Abschottung Deutschlands zum politischen Programm. Als diskursiver Schrankenwärter setzt sich der Antisemitismusbeauftragte ein und versucht, ein in Deutschland gewachsenes Geschichtsbild gegen Irritationen von außen zu immunisieren. Politische Staatsraison wird so zur Zivilreligion und der Antisemitismusbeauftragte ihr Hohepriester. Der geschichtswissenschaftlich begründete Satz von der Einmaligkeit des Holocausts wandelt sich zu einer doktrinären Glaubenslehre, die mit staatlicher Autorität gegen häretische Hinterfragung verteidigt wird, als handele es sich um ein geistiges Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Während die Regierung einerseits den akademischen und kulturellen Dialog mit der südlichen Welt propagiert, treibt sie im Namen des Kampfes gegen den Antisemitismus zugleich eine Selbst-Provinzialisierung voran.
Felix Klein kommt in der vor zwei Jahren geschaffenen Funktion des Antisemitismusbeauftragten die Verantwortung zu, Profil und Wirkung des neuen Amtes zu prägen. Sein Vorgehen im Fall Mbembe könnte indes eine weit über das Thema Antisemitismus hinausgehende Wirkung haben. Andere Interessenverbände fordern die Regierung auf, weitere Beauftragte für den Kampf gegen andere Übel unserer Zeit wie Extremismus und Rassismus einzusetzen. Wenn das Beispiel Felix Kleins Schule machte, entstünde neben Verfassungsschutzbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten ein paralleles Tugendwächterwesen, das nach jeweiliger Opportunität definiert, wer heute Rassist, morgen Antisemit und übermorgen Extremist ist. Niemand bräuchte sich dann noch zu wundern, wenn der Antisemitismusbeauftragte als erster auf der Anklagebank des Rassismusbeauftragten einer solchen Regierung landen würde.