MESOPOTAMIA NEWS SURPRISE : „MEINUNGSFREIHEIT“ IST FÜR HEUTIGE LINK*E EINE RECHTE KAMPFPAROLE / QUERDENKER = NAZIS!

Und das lesen Sie nur in der NZZ: Früher kämpften Linke und Nonkonformisten für die Meinungsfreiheit. Heute dagegen lassen rot-grüne Städte Demonstrationen verbieten, und das Wort «Meinungsfreiheit» gilt als rechte Kampfparole. Was läuft da schief? Die demokratische Grundregel ist doch einfach: Selbst wer Ansichten vertritt, die die meisten Bürger ablehnen, hat das Recht, sich Gehör zu verschaffen

KOMMENTAR – Erlaubt ist, was uns nicht stört – vom progressiven Umgang mit Andersdenkenden

Die Sorge um die Meinungsfreiheit war einst ein linkes Thema. Heute lassen rot-grüne Städte Demonstrationen verbieten, und das Wort «Meinungsfreiheit» gilt als rechte Kampfparole. Was läuft hier schief?

Lucien Scherrer 03.09.2020, 05.30 Uhr – NZZ

 

Proteste beleben die Demokratie – aber nicht, wenn sie andere mundtot machen sollen.

Von Internettrollen hat noch niemand gehört, aber Polarisierung, Hass und Massenhysterie, das kennt man schon im Sommer 1977. In Deutschland bereitet sich die Rote-Armee-Fraktion auf die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor, die Sex Pistols verängstigen das Bürgertum, und in Erlenbach bei Zürich wird gerade eine linke Lehrerin gecancelt.

Maya Klemm, so stellt sich nämlich heraus, hat mit ihren Schülern ein Jugendbuch des Schriftstellers und Honecker-Bewunderers Walter Matthias Diggelmann gelesen, in dem Polizisten als «Arschlöcher» bezeichnet werden und das Wort «gevögelt» vorkommt. Als auch noch bekannt wird, dass sie ein ehemaliges Mitglied der kommunistischen Progressiven Organisationen (Poch) ist, organisieren bürgerliche Politiker eine Kampagne gegen die Lehrerin, die nationales Aufsehen erregt.

Unter anderem mischt sich der Lobbyist Rudolf «Fänsch» Farner ein, dem die Gabe zugeschrieben wird, Kartoffelsäcke in Bundesräte zu verwandeln; Klemm, so behauptet er in einem Leserbrief, würde den Kindern jeden Tag ihr «Gift gegen die soziale Marktwirtschaft, gegen den Kapitalismus, gegen die Landesverteidigung und gegen das Christentum» einimpfen. Derart dämonisiert, muss sich die Lehrerin einem Plebiszit stellen. Sie wird abgewählt, obwohl ihre fachlichen Qualitäten unbestritten sind, und zuletzt kündigt man ihr die Wohnung.

Nicht bei uns!

Seither hat sich bekanntlich einiges geändert. Die Kinder zum Beispiel lernen heute in Schulbüchern, dass die Gewerkschaft Unia und andere NGO für eine gerechte Welt kämpfen, Walter Matthias Diggelmann gilt als edel gesinnter Querdenker, dessen DDR-Fimmel wortreich verschwiegen werden muss, und wer sich weigert, weinende Pinguine für den Klimastreik zu malen, ist mehr Aussenseiter als Konformist.Die einstigen Nonkonformisten dagegen müssen sich heute selber fragen, wie sie es mit abweichenden Meinungen halten sollen – zumal ihr Gedankengut in öffentlichen Verwaltungen, Medien, Kirchen, Hochschulen und grösseren Städten mehrheitsfähig, wenn nicht gar dominant ist.

Eine gute Antwort, das wird derzeit in der Schweiz und in anderen Ländern deutlich, hat man noch nicht gefunden, auch wenn man sich gerne bunt, tolerant und weltoffen gibt. Ein grosser Teil der modernen Linken, so stellte der deutsche Literaturwissenschafter Jan Freyn kürzlich in der «Zeit» fest, suhle sich lieber in einem längst zur Karikatur verkommenen Subversiven- und Alternativenbewusstsein, als sich die eigene Diskursmacht einzugestehen. Gerade das mache sie zwangsläufig zu unerbittlichen, moralisierenden Meinungswächtern. Denn eine unerlässliche Voraussetzung für Toleranz liege im ehrlichen Selbsteingeständnis von eigener, auch diskursiver Macht.

Tatsächlich offenbaren Progressive in ihren Revieren immer wieder eine seltsame Mischung aus Widerstandspathos, lokalpatriotischem Herr-im-Haus-Gebaren und Willkür. Der Berliner Senator Andreas Geisel (SPD) zum Beispiel verkündete vor der Corona-Demo am Samstag, dass er Berlin nicht von «Corona-Leugnern und Rechtsextremen» missbrauchen lassen werde.

Gleichzeitig duldet «seine» Stadt eine sesshafte Demo- und Besetzerszene, die Polizisten angreift, Hausverwalter verprügelt oder Anwohner mit Sprüchen wie «Yuppie Schweine, Schüsse in die Beine» eindeckt. Juristisch war Geisels Gebaren denn auch nicht haltbar, wie das Berliner Oberverwaltungsgericht festgestellt hat.

Merkwürdiges spielt sich auch in der Schweiz ab. Hier hat das urbane Publikum ebenfalls kaum Probleme damit, wenn an Klima-, 1.-Mai- und Anti-was-auch-immer-Demos Gruppen mitmarschieren, die Verschwörungstheorien über Handystrahlen verbreiten, Plakate à la «Kill Bolsonaro» mitführen, zu Gewalt gegen Polizisten aufrufen oder Maos Kulturrevolution nachtrauern.

Kompliziert wird es erst, wenn «Reaktionäre» im Spiel sind. So hat sich der rot-grüne Zürcher Stadtrat ausserstande gesehen, den christlich-konservativen «Marsch fürs Läbe» in der gewünschten Form zu bewilligen – wegen akuter Sicherheitsbedenken.

«Widerstand» gegen Minderheiten

Das Problem ist allerdings nicht, dass die christlich-konservativen Abtreibungsgegner auf ihrem Marsch jeweils alles kurz und klein schlagen würden. Vielmehr bereitet es der linksextremen Szene jedes Jahr einen Heidenspass, die Halleluja rufenden Frauen, Priester, Bibelzitierer und Kinder in einem Akt heroischen Widerstandes anzubrüllen, anzuspucken und wenn möglich am Reden zu hindern.

Letztes Jahr forderte dieses Ritual drei verletzte Polizisten, aber das war es auch nach Ansicht der Jungsozialisten wert. Diese distanzierten sich zwar pro forma von jeglicher Gewalt, solidarisierten sich aber gleichzeitig mit den gewaltbereiten Gegendemonstranten, denn: «Es kann nicht sein, dass christliche Fundamentalisten in Zürich ihre Hetze verbreiten können.» Solche Aussagen lassen tief blicken in das Demokratieverständnis der jungen Sozialisten, die immerhin die Geschicke der Bundesratspartei SP mitbestimmen.

Dabei hat das Zürcher Verwaltungsgericht die Zürcher Stadtbehörden erst kürzlich an eine einfache demokratische Grundregel erinnert: Selbst wenn eine Gruppe Ansichten vertritt, die von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, hat sie das Recht, sich Gehör zu verschaffen. Und wenn diese Gruppe bedroht wird, hat der Staat die Interessen der Bedrohten zu schützen und nicht umgekehrt.

Die Willfährigkeit, mit der in Zürich linksextremen Gruppen ein Vetorecht in Sachen Meinungsfreiheit eingeräumt wird, weist auf ein tiefer liegendes Problem hin. Bezeichnenderweise gilt heute in linken Kreisen allein schon der Begriff «Meinungsfreiheit» als Provokation.

Wer das M-Wort in den Mund nehme, so der Tenor in sozialen, aber auch in einigen klassischen Medien, wolle sich zum Opfer stilisieren, um ungehindert Hass und Hetze verbreiten zu dürfen. Solche Behauptungen stimmen allein schon deshalb nachdenklich, weil es einst ganz anders tönte. So listete der Schweizer Autor Max Schmid 1976 unter dem Stichwort «Meinungsäusserungsfreiheit, Einschränkung der» Dutzende Fälle auf, von Auftrittsverboten für Kommunisten bis zur Entfernung von Mao-Plakaten an der Uni.

Es stimmt zwar, dass das Gejammer mancher Rechter über «Zensur», «Meinungsdiktatur» und dergleichen übertrieben ist. Das heisst jedoch nicht, dass Attacken auf die Meinungsfreiheit bloss Hirngespinste oder gutdemokratische «Proteste» wären, wie in den Medien oft suggeriert wird. Dazu sind in der Schweiz oder in Deutschland schon zu viele Auftritte von Politikern, Wirtschaftsführern, Ökonominnen, Islamkritikern oder Künstlern abgesagt worden, weil «Proteste» von Linksextremen drohten.

Dass einzelne Leute am Reden gehindert werden, ist denn auch nicht das Beunruhigende an diesem Phänomen, das neuerdings unter dem Begriff «cancel culture» für Schlagzeilen sorgt, obwohl in der Realität natürlich niemand gelöscht (gecancelt) wird (was es den Apologeten linksradikaler Gewalt leicht macht, das Ganze als rechte Propaganda abzutun).

Das Beunruhigende ist vielmehr, dass sich Teile der demokratischen Linken als Erfüllungsgehilfen oder Claqueure für radikale Gruppen betätigen, die von Demokratie und Rechtsstaat ebenso wenig halten wie von Gewaltfreiheit. Die Jungsozialisten zum Beispiel mögen in «ihrem» Zürich weder christliche Abtreibungsgegner noch SVP-Politiker wie Christoph Mörgeli und Roger Köppel dulden.

Applaus für den mutigen Mob

Als Aktivisten der maoistisch inspirierten Revolutionären Jugend die beiden in einem Restaurant mit Milchshakes übergossen, würdigten das die Juso als «Widerstand gegen Rechts». Schliesslich dürfe die Meinungs- und Pressefreiheit nicht «zum Deckmantel der Hetze werden».

In Deutschland bekamen betrunkene Fans des 1. FC Köln Twitter-Applaus von einem SPD-Parteivorstand, weil sie den AfD-Gründer Bernd Lucke und dessen Gattin während einer Zugfahrt angepöbelt hatten. Und als Studenten Lucke während einer Vorlesung niederbrüllten, verkündete ein SPD-Funktionär, dass hier ein paar Mutige gerade die «Ehre der Gesellschaft» retteten.

Legitimiert werden diese kaum verhohlenen Aufrufe zur Selbstjustiz mit Behauptungen, wonach die Meinung der Betroffenen keine Meinung, sondern Sexismus, Rassismus oder schlicht ein «Verbrechen» sei. Wobei nicht die Gesetze, sondern die Gefühle der Aktivisten bestimmen, was rassistisch, sexistisch, hetzerisch und verbrecherisch ist. Wer zum Beispiel «Wirtschaftsflüchtling» sagt, betreibt rassistische Hetze. Wenn eine Kolumnistin dagegen fordert, alle Polizisten auf dem Müll zu entsorgen, ist das ein satirischer Gedankenanstoss, den nur Feinde der Meinungsfreiheit kritisieren können.

Wohin die Kooperation zwischen radikalen Aktivisten und vermeintlich fortschrittlichen Institutionen führen kann, zeigen die USA: Dort haben schon mehrere Universitätsmitarbeiter und Journalisten infolge gefährlicher Ansichten ihren Job verloren. So weit ist es hier noch nicht, aber einige können es kaum erwarten, die 1970er Jahre wieder aufleben zu lassen.

1977, als Schweizer Lehrerinnen noch wegen falscher Gesinnung abgesetzt werden konnten, veröffentlichten sozialistisch gesinnte Lehrer in der NZZ einen Leserbrief. «Eine tolerante, liberale Haltung auch politischen Minderheiten gegenüber», so heisst es darin, «ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Gesunderhaltung und den Weiterbestand einer demokratischen Ordnung.»

Dem ist nur ein Satz hinzuzufügen: Diese Regel gilt auch dann, wenn du nicht mehr in der Minderheit bist.