MESOPOTAMIA NEWS : SCHWERE LUFTANGRIFFE AUF PKK POSITIONEN IM NORD IRAK / Trump unterstützt Kurden

 

 

Türkei startet neue Offensive gegen PKK im Nordirak – und verfolgt damit auch innenpolitische Ziele

Die türkische Luftwaffe hat zahlreiche Stellungen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans jenseits der Grenze bombardiert. Der Kampf gegen die PKK wirft für die Regierung in Ankara nicht nur sicherheitspolitische Dividenden ab.

Volker Pabst, Istanbul15.06.2020, 15.45 Uhr NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar verfolgt persönlich die Luftangriffe gegen die PKK. Die Offensive wurde von der Regierung öffentlich in Szene gesetzt.

AP

Die türkischen Streitkräfte haben in der Nacht auf Montag im Nordirak eine neue Offensive gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gestartet. Unter dem Namen «Adlerklaue» flog die Luftwaffe von Stützpunkten in der Südosttürkei zahlreiche Angriffe in dem Nachbarland. Dabei wurden laut dem Verteidigungsministerium 81 Ziele unter anderem in den Regionen Sinjar, Hakurk und Kandil zerstört, wo sich das Hauptquartier der PKK befindet.Laut kurdischen Quellen ist auch die Region um das Flüchtlingslager Makhmur südwestlich der Regionalhauptstadt Erbil unter Beschuss geraten. Über zivile Opfer gab es zunächst keine Berichte. Die PKK, die sich seit Jahrzehnten einen blutigen Kampf mit dem türkischen Staat liefert, nutzt das unzugängliche Kandil-Gebirge an der iranischen Grenze und andere Regionen im Nordirak als Rückzugsgebiet.

Innerkurdische Spannungen im Nordirak

Ankara begründet die neue Offensive mit verstärkten Angriffen gegen türkische Stützpunkte in letzter Zeit. In den Medien kursieren schon seit einigen Wochen Gerüchte, dass die Türkei eine grössere Offensive gegen die PKK im Nordirak plane. In die Dynamik hineinspielen dürfte ein sich zuspitzender Konflikt zwischen der PKK und der kurdischen Lokalregierung im autonomen Nordirak, bei dem es unter anderem um die Kontrolle eines strategisch wichtigen Passüberganges geht.

Der Präsident der Autonomen Region Kurdistan, Nechirvan Barzani, hatte nach einem türkischen Luftangriff im April die Präsenz der PKK im Nordirak als illegitim bezeichnet. Auch bei der Visite des türkischen Geheimdienstchefs in Bagdad vergangene Woche dürfte es um die PKK gegangen sein. Die Türkei greift immer wieder Stellungen im Nordirak an. Im Ausmass, aber auch in der medialen Begleitung stechen die jüngsten Angriffe jedoch heraus.

Angriff überlagert Protestmarsch der HDP in der Türkei

Regierungskritische Stimmen in der Türkei stellen die Offensive in einen innenpolitischen Zusammenhang und vermuten eine Verbindung zu dem Protestmarsch, den Anhänger der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) am Montag begonnen haben.

Von Edirne im Nordwesten und Hakkari im Südosten des Landes wollen Anhänger der Partei Richtung Ankara marschieren. An den Ausgangspunkten, aber auch entlang der Strecke gab es grosse Polizeipräsenz. Zum Teil hatten Lokalbehörden Zugangssperren erlassen. In Silivri, einem Vorort Istanbuls, wurden nach Handgreiflichkeiten zehn Personen festgenommen.

Mit ihrer Aktion will die linke Oppositionspartei gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von zweien ihrer Abgeordneten Anfang Juni sowie den allgemein steigenden Druck auf die HDP protestieren. Von den 65 HDP-Bürgermeistern, die nach den Lokalwahlen 2019 ihr Amt antraten, wurden seither mehr als 50 von der Regierung abgesetzt.

Der Militärschlag überlagert nun alle Nachrichten über den Marsch. Ob sich der Generalstab in der Planung einer komplexen Offensive massgeblich an einer isolierten Protestaktion der Opposition orientiert, ist allerdings fraglich.

Die Kurdenfrage spaltet die türkische Opposition

Richtig ist jedoch, dass im angespannten innenpolitischen Klima die Regierung ihre Bemühungen verstärkt, die politische Opposition zu delegitimieren. Vor einigen Wochen warf sie der kemalistischen CHP, der grössten Oppositionspartei, vor, Putschabsichten zu hegen. Einsätze gegen die PKK wiederum bringen immer auch Seitenhiebe gegen die prokurdische HDP mit sich, die von der Regierung als politischer Arm der verbotenen Guerillagruppe dargestellt wird.

Vor allem ist die Kurdenfrage ein effizientes Mittel, um einen Keil ins Lager der Regierungsgegner zu treiben. Dessen Erfolg an den Lokalwahlen vor einem Jahr wäre ohne die Stimmen der Kurden nicht möglich gewesen. Auch bei nationalen Urnengängen hat die Opposition ohne kurdische Unterstützung kaum Aussicht auf eine Mehrheit. Obwohl erst 2023 Neuwahlen anstehen, sprachen sich die beiden grössten Oppositionsparteien, CHP und HDP, vergangene Woche für die Bildung einer «Plattform aller demokratischen Kräfte» aus.

Während sich die Oppositionsparteien in der Ablehnung der Regierung von Präsident Erdogan einig sind, vertreten sie in der Kurdenfrage sehr unterschiedliche Positionen. Dies zeigte sich besonders im vergangenen Herbst bei der Militäroffensive in Nordostsyrien gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die enge Kontakte mit der PKK unterhalten. Die nationalistisch-säkulare IYI-Partei und die CHP unterstützten den Einsatz im Parlament, die HDP stimmte dagegen.

Ankara wirbt um amerikanische Unterstützung

Auch international macht Ankara den Kampf gegen die PKK aus durchschaubaren Gründen verstärkt zum Thema. Nachdem der amerikanische Präsident Donald Trump der Antifa eine Mitschuld an den Ausschreitungen bei den Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt in den USA gegeben hatte, beeilten sich türkische Regierungsvertreter zu betonen, dass sich unter den Freiwilligen der YPG auch Antifa-Anhänger befänden.

Die Türkei betrachtet die syrische Kurdenmiliz als Arm der PKK und somit als Terrororganisation. Die USA führen, wie auch die EU, zwar die PKK auf ihrer Terrorliste. Die YPG ist aber der wichtigste amerikanische Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien. Diese Zusammenarbeit wurde von der Türkei immer stark kritisiert. Durch die Unterstützung der YPG, so die etwas abenteuerliche Darstellung Ankaras, habe Washington auch jene Kräfte gestärkt, die nun in amerikanischen Städten randalierten.