MESOPOTAMIA NEWS ROT CHINA : WIR LIEFERN VIREN & WAREN / DER WIRTSCHAFTLICHE SIEGER DER PANDEMIE IST PEKING

 

Wuhan nach dem Corona-Ausbruch : Wer Aufklärung forderte, wurde zum Volksfeind erklärt

  • Von Friederike Böge, Wuhan FAZ .12.2020-13:21  – Fast ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind die Regeln nirgendwo sonst in China so streng wie in Wuhan. Gleichzeitig sind Märkte und Kinos gut besucht. Über eine Stadt, die zum politischen Symbol geworden ist.

Die Stadtverwaltung von Wuhan hat Xiao Yaxing bis heute nicht dafür gedankt, dass sie drei Monate lang Ärzte und Krankenpfleger kostenlos in ihren drei Hotels wohnen ließ. Deshalb hat sie sich nun ihre eigene Ehrenurkunde gebastelt. „Hotel mit Herz im Kampf gegen Covid-19“ steht auf der goldfarbenen Plakette, die sie in ihrem Hotel „Venus“ an die Wand gehängt hat.

„So ist das in China“, sagt die junge Managerin. „Die Regierung würdigt vor allem ihre eigenen Leute. Unternehmer stehen in der Hierarchie weiter unten.“ Soziales Engagement ist in Chinas autoritärem System nicht vorgesehen. In dem Skript, das die Kommunistische Partei für die kollektive Erinnerung an die Corona-Krise geschrieben hat, kommen Leute wie Xiao Yaxing nicht vor. Es ist nur eine von vielen Leerstellen.

Dabei hätte Wuhan die 76 Tage des Lockdowns ohne die vielen freiwilligen Helfer wohl kaum bewältigt. Noch am selben Tag, als die Stadt im Januar von der Außenwelt abgeriegelt wurde, öffnete Xiao Yaxing ihre Türen. 318 andere Hotels in der Stadt folgten ihrem Beispiel und schlossen sich zu einer Allianz zusammen.

Gemeinsam kamen sie auf mehr als 500.000 kostenlose Übernachtungen. Überdurchschnittlich viele Ärzte und Pfleger steckten sich damals mit dem Coronavirus an. Die Nachbarschaftskomitees erlaubten ihnen nicht, in ihren Wohnungen zu übernachten. Viele wollten das auch nicht, um ihre Angehörigen nicht zu gefährden. Ohnehin gab es in der lahmgelegten Stadt keine öffentlichen Verkehrsmittel, die sie nach Hause hätten bringen können.

Xiao Yaxing koordinierte damals eine Gruppe von 75 Freiwilligen. Sie betrieben ein Lagerhaus, in dem jeden Tag 200 Tonnen Essens- und Maskenspenden angeliefert wurden. Selbst die Bezirksverwaltung wandte sich hilfesuchend an sie. Es ging um zehn Lastwagen voller Gemüse, das verteilt werden musste, weil die Bewohner zwischen Februar und April ihre Häuser nicht verlassen durften. Dem mächtigen Staat fehlten die Leute.

„Ohne uns hätten sie es nicht geschafft“, sagt Xiao. Bürgergruppen wie ihre sind aus Sicht der Partei wegen ihrer Mobilisierungskraft eine potentielle Bedrohung. Deshalb wurden sie gleich nach dem Ende des Lockdowns in Freiwilligengruppen der Partei integriert, wo sie sich um arme und alte Menschen kümmern können. Xiao Yaxing gehört allerdings nicht dazu. „Ich bin nicht die Art von Mensch, die sich von der Regierung kontrollieren lässt.“ Sie hat ihre eigenen Pläne: Als Nächstes will sie ein Tierheim gründen.

Wirtschaftlich hat sich die Stadt von der Pandemie noch lange nicht erholt. Den Wuhanern sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche. Viele Läden, die vom Tourismus lebten, sind pleitegegangen. Die Hotels mussten ihre Preise drastisch senken, um überhaupt Kunden anzulocken. Viele Geschäftsreisende machten auch nach dem Lockdown einen Bogen um Wuhan und verlegten ihre Konferenzen in umliegende Provinzen, aus Angst vor dem Virus und der Quarantänepflicht, die damals in anderen Städten für Wuhan-Reisende galt.

Eine Hotelbesitzerin versuchte, sich das Leben zu nehmen

Das Vertrauen wuchs erst, als im August die Studenten an die mehr als 20 Universitäten der Stadt zurückkehrten und sich in ihren Heimatprovinzen herumsprach, dass Wuhan sicher sei. Für Xiao Yaxing hieß das: endlich wieder Kundschaft. Rund die Hälfte ihrer Gäste sind Studenten, die in Mehrbettzimmern auf dem Campus wohnen. Sie kommen für eine Nacht ins Venus-Hotel, um sich hier mit ihrer Freundin oder ihrem Freund zu treffen.

Die Managerin hat noch Glück gehabt. Mit umgerechnet rund 37.000 Euro fällt ihr Verlust moderat aus, weil ihr Vermieter der Staat ist. Deshalb musste sie drei Monate keine Miete zahlen. In einem anderen Hotel stellte der Vermieter dagegen Strom und Wasser ab, um die säumigen Zahlungen einzutreiben. Die Besitzerin versuchte daraufhin, sich das Leben zu nehmen.

Das erste Konzert fand in Wuhan schon am 15. Mai statt, illegal, einen Monat nach dem Ende des Lockdowns. Die Punkkneipe „Wuhan Prison“ feierte Geburtstag. Der Laden war voll, die Polizei rückte an. Clubchefin Dong Dong musste mit aufs Revier. „Ich habe mich reumütig gezeigt“, sagt die Frau mit den langen Rastas und grinst. Ohnehin sei sie zu betrunken gewesen, um der Polizei von Nutzen zu sein. Dong Dong durfte gehen – und die Party ging weiter.

In der Szene trägt Wuhan den Beinamen „Stadt des Punks“, weil hier 1996 die erste Punkband des Landes gegründet wurde. Das Umfeld stimmte: die rauhe Arbeiterkultur, die vielen Studenten und ein sprichwörtlicher rebellischer Geist, der sich 1911 in einem erfolgreichen Aufstand gegen die Qing-Dynastie entlud. Doch der Punk hat sich überlebt. Die jüngeren Generationen sind politisch konservativ. Sie sind mit patriotischer Erziehung aufgewachsen. Und Wuhans „Vater des Punks“, Wu Wei, sitzt wegen der Pandemie seit Monaten in Portugal fest.

Wer fiebersenkende Medikamente kauft, gerät in den Fokus

An diesem Abend ist es leer im „Wuhan Prison“. Hinter der Theke steht ein Grafikdesign-Student mit langen Haaren und Schiebermütze. Er dürfte eigentlich nicht hier sein. Seine Uni hat allen Studenten verboten, den Campus zu verlassen, damit sie das Virus nicht einschleppen. „Ich bin über die Mauer geklettert und habe ein Loch in den Zaun geschnitten“, sagt der Student. An anderen Unis, wo die Regeln laxer sind, können die Studenten per App eine Ausgehgenehmigung beantragen.

Das ist bezeichnend für die Lage in Wuhan: Einerseits herrscht Normalität. Die Restaurants sind gut besucht, die U-Bahnen voll und die Kinos geöffnet. Anderseits herrscht Nervosität. Zwar ist schon seit Juni in Wuhan keine Neuinfektion mehr gemeldet worden. Doch die Sorge ist groß, dass das Virus im Winter zurückkehren könnte. Für das medizinische Personal gilt deshalb seit Oktober eine Urlaubssperre.

 

Jeden Tag nimmt das Gesundheitsamt Proben in U-Bahnen und Einkaufszentren, um sie auf Spuren von Sars-CoV-2 zu untersuchen. Wer fiebersenkende Medikamente kauft, gerät automatisch in den Fokus der Behörden. Alte Leute werden regelmäßig untersucht. Wer die Stadt verlässt, muss sich nach seiner Rückkehr zweimal auf Corona testen lassen. Das wird vom Nachbarschaftskomitee überwacht.

In diesen Tagen ist das Internet voll mit Beschwerden von Reisenden aus Chengdu, die am Wuhaner Flughafen und Bahnhof ohne Vorwarnung in eine vierzehntägige Zwangsquarantäne gesteckt wurden, weil es in ihrer Heimatstadt einige wenige Corona-Fälle gab. Ein Konzert einer Chengduer Band wurde abgesagt. Den Rest der Tournee konnte sie problemlos fortsetzen. Nirgendwo sonst in China sind die Regeln im Moment so streng wie in Wuhan.

Ein Personenkult wie zuletzt unter Mao Tse-tung

Das liegt auch daran, dass Wuhan zum politischen Symbol geworden ist. Im Norden der Stadt hat sich die Kommunistische Partei in einer Messehalle ein Denkmal gesetzt. In einer Ausstellung stellt sie im Stil des sozialistischen Realismus ihre Version der Corona-Krise zur Schau. Der Kampf gegen das Virus habe die „bedeutenden Vorteile des sozialistischen Systems unseres Landes offenbart“, heißt es gleich zu Anfang. Das könnte man für kommunistische Folklore halten, wenn nicht so viele Menschen in Wuhan daran glauben würden. Auch solche, die mit der Partei bisher nicht viel am Hut hatten.

Der erste Raum ist einem einzigen Mann gewidmet: dem Generalsekretär der Partei, Xi Jinping. Vor einem meterhohen Bild des Machthabers posieren junge Besucherinnen für ein Selfie. Über die ganze Wand erstreckt sich ein Zeitstrahl mit Daten, die wichtige Ereignisse während der Krise markieren sollen. Jeder der Einträge beginnt mit den gleichen drei Schriftzeichen: Xi Jinping. Einen solchen Personenkult gab es zuletzt unter Mao Tse-tung.

ie ganze Welt spricht über das Coronavirus. Alle Nachrichten und Analysen über die Ausbreitung und Bekämpfung der Pandemie täglich in Ihrem E-Mail-Postfach.

In den folgenden Räumen werden die Ärzte und Pfleger gezeigt, die um das Leben der Corona-Patienten rangen. Die Parteikader der Nachbarschaftskomitees, die dabei halfen, die eingeschlossenen Bürger in ihren Wohntürmen mit Essen zu versorgen. Das Militär, das Ärzte und Ingenieure stellte. Die Reinigungskräfte, die U-Bahnen, Straßen und öffentliche Gebäude desinfizierten. Und die Pakete mit Schutzkleidung, die China in alle Welt verschickte. Auch ein Karton für Deutschland ist dabei.

Ärzte, die früh vor dem Virus warnen wollten, wurden gemaßregelt

Unter den Besuchern sind Belegschaften von Staatsunternehmen, die sich stolz mit ihrer Parteifahne vor dem Eingang fotografieren lassen. Es sind aber auch viele junge Pärchen darunter, die aus fernen Orten angereist sind, um sich jene Stadt anzuschauen, in der das Virus besiegt wurde. „Sehr bedeutungsvoll“ sei die Ausstellung, sagt eine junge Frau aus Guangzhou. „Die Ärzte sind für mich Vorbilder, Verantwortung für unser Land zu übernehmen.“ Die Ausstellung endet mit einem Sinnspruch von Friedrich Engels. Frei übersetzt: Es gibt kein großes historisches Übel, auf das nicht historischer Fortschritt folgt. Bei so viel Pathos hat es die Wirklichkeit schwer, sich zu behaupten.

 

In einer Ausstellung in Wuhan stellt die Kommunistische Partei ihre Version der Corona-Krise zur Schau: Der erste Raum ist Xi Jinping gewidmet. : Bild: Friederike Böge

 

„Wenn wir die Fehler vergessen, die am Anfang gemacht wurden, vergessen wir die Familien, die Angehörige verloren haben“, sagt eine Journalistin, die anonym bleiben will. Sie meint damit die Versuche der Behörden, den Ausbruch am Anfang zu vertuschen. Ärzte, die warnen wollten, wurden gemaßregelt. Einträge in eine Präventionsdatenbank wurden gelöscht. Labore wurden angewiesen, Proben zu zerstören. Die Gefahr einer Ansteckung wurde bis zum 20. Januar heruntergespielt, obwohl der Leiter der Gesundheitskommission, Ma Xiaowei, schon am 14. Januar in einer internen Sitzung vor einer „Pandemie“ und dem „hohen“ Risiko einer Ausbreitung gewarnt hatte. Vier Tage später fand in Wuhan noch eine Neujahrsveranstaltung mit angeblich 40.000 Teilnehmern statt.

„Ist doch gut, dass es so intransparent ist“

Die Wuhaner Journalistin kann nicht verstehen, dass selbst ihre Großmutter ein Loblied auf die Partei singt, obwohl sie im Chaos der ersten Wochen beinahe ihr Leben verloren hätte. Damals gab es nicht genügend Betten in den Krankenhäusern. Die kranke Großmutter wurde zwei Wochen ohne jegliche medizinische Versorgung in einem Isolationszimmer in einem Hotel untergebracht. „Sie hat uns am Telefon schon ihren letzten Willen bekundet. Es ging um Geld für meine Hochzeit“, sagt die Journalistin.

Diese hatte damals in der Quarantäneeinrichtung angerufen und das Gespräch aufgezeichnet. Aus dem Mitschnitt geht hervor, dass sich selbst die Ärzte und Krankenschwestern aus Angst vor Ansteckung nicht in die Zimmer trauten. Ob die Patienten noch lebten, prüfte der Aufseher allein durch Klopfen an der Tür und der Frage nach dem Befinden. „Ich mache ihnen keinen Vorwurf, alle hatten Angst“, sagt die Journalistin. Doch all das müsse aufgearbeitet werden. Mit dieser Forderung fühlt sie sich allein: „Viele Leute sagen, ist doch gut, dass es so intransparent ist. Warum willst du so viel wissen?“

Nach welchem System damals die knappen Krankenhausbetten vergeben wurden, ist bis heute unklar. Jede Familie versuchte ihre Verbindungen zu nutzen. Nach der Corona-Krise ist in China das Interesse an staatlichen Jobs stark gewachsen. Ein leichterer Zugang zum Gesundheitssystem ist wohl ein Grund dafür.

Alle, die für Aufklärung und Rechenschaft plädiert haben, sind längst zu Volksfeinden erklärt worden. Zum Beispiel die 37 Jahre alte Juristin Zhang Zhan, die als Bürgerjournalistin über die Frühphase der Pandemie berichtete und sich im Hungerstreik in Haft befindet. Ihr soll noch in diesem Monat der Prozess gemacht werden. Oder die Schriftstellerin Fang Fang, die ein Tagebuch über den Lockdown veröffentlicht hat, das auch auf Deutsch erschienen ist. Ihr Ziel sei es gewesen, sagte sie kürzlich, für die Geschichte Inhalte zu produzieren, die der Wahrheit nahekämen. Inzwischen kann sie in China gar nicht mehr veröffentlichen.

Auch die Medizin ist nicht frei von Politik

Mehr als alle anderen ist Fang Fang zum Symbol für einen wahrhaftigen Umgang mit der Krise geworden, der von ihren Gegnern als Nestbeschmutzung betrachtet wird. Dabei muss sie sich nicht nur der Zensur des Staates erwehren, sondern hunderttausendfacher Hassbotschaften im Internet und einer feindseligen Stimmung in der Stadt.

In einem Wuhaner Staatsbetrieb wird in Bewerbungsgesprächen nun standardmäßig danach gefragt, wie man zu Fang Fang stehe. Die korrekte Antwort lautet: „Karl Marx sagt, wenn du die Wahrheit über den Wald wissen willst, kannst du nicht nur die Bäume anschauen.“ Manche Geschäftsleute, die sich im sozialen Netzwerk Wechat auf Fang Fangs Seite stellten, haben viele ihrer Kunden verloren. Eine Professorin verlor ihre Stelle.

In einem solchen Klima kann auch die Medizin nicht frei von Politik sein. Der Präsident des Tongji-Krankenhauses, Wang Wei, kann nicht über das Virus sprechen, ohne Xi Jinping zu zitieren, mit Sätzen wie „Leben ist das Wichtigste“. Doch Wang Wei ist auch Wissenschaftler und als solcher seit Monaten im Austausch mit deutschen Medizinern. An diesem Nachmittag ist ihm Eckhard Nagel vom Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth zugeschaltet.

Die beiden kennen sich gut. Nagel reist regelmäßig nach Wuhan. Er ist einer von zwei Präsidenten des Chinesisch-Deutschen Freundschaftskrankenhauses im Tongji-Klinikum. Von Beginn der Krise an trafen beide Teams sich jede Woche zur Videokonferenz. So hatte Nagel schon einen Eindruck von der „Katastrophenstimmung“ in Wuhan, als die Regierung in Peking offiziell noch beschwichtigte.

„Die Ausstattung in Wuhan ist anders“

„Das hat dazu beigetragen, dass wir in Deutschland schneller reagiert haben, noch bevor wir Informationen aus Italien hatten“, sagt Nagel. Gewarnt war man etwa über das hohe Ansteckungsrisiko für medizinisches Personal, das mit jeder zusätzlichen Arbeitsstunde stieg. Ein Thema, bei dem sich Peking lange bedeckt hielt. Die Erkenntnisse seien an das Bundesgesundheitsministerium und das Auswärtigen Amt in Berlin weitergegeben worden, sagt der Bayreuther. Nicht alle davon wurden ernst genommen. Nagel forderte schon früh eine Maskenpflicht für Deutschland, was damals noch belächelt und als unwissenschaftlich abgetan wurde.

Seit das Virus in Wuhan besiegt scheint und Wang Wei ihm ohne Mund-Nasen-Schutz gegenübersitzt, ringt Nagel mit der Frage: „Was können wir von Wuhan lernen?“ Eine einfache Antwort darauf hat er nicht. Wie auch? Dafür sind die politischen Systeme und „das Verständnis der menschlichen Existenz“, wie Nagel sagt, zu unterschiedlich.

Als Beispiel nennt er die Massen-Corona-Tests in Österreich. In Wien nahmen daran nur rund 14 Prozent der Bewohner teil, in Wuhan vermutlich fast 100 Prozent. Doch jenseits der offensichtlichen Unterschiede gebe es womöglich wichtige Erkenntnisse, wenn man die Daten nur genau genug analysiere. Zum Beispiel mit Blick auf die konsequente Isolation von Verdachtsfällen. Nagel weiß, dass das in Deutschland ein sensibles Thema ist. „Die Ausstattung in Wuhan ist anders“, sagt er. Es ist eine höfliche Formulierung für die technische und personelle Unterversorgung der deutschen Gesundheitsämter.

„In unserem Land gibt es nicht das Konzept, Menschen aufzugeben“

Die Mediziner aus Wuhan und Deutschland betreiben gemeinsame Forschungen. Gerade haben sie eine Studie zur Vorhersagbarkeit des Krankheitsverlaufs von Covid-19-Patienten bei einem Fachmagazin eingereicht. Dabei geht es unter anderem um die Veränderung des Blutbilds und von CT-Bildern der Lunge. Geplant ist auch eine vergleichende Untersuchung zu psychologischen Reaktionen von Corona-Patienten in beiden Ländern.

Doch bei einem anderen Thema ist Wang Wei wieder ganz der Parteifunktionär: bei der Triage, also der Priorisierung von Behandlungsmaßnahmen im Falle einer Knappheit von Ressourcen. Das Thema ist politisch heikel. Schließlich sind die Erinnerungen an die vielen Patienten noch frisch, die von den Krankenhäusern abgewiesen werden mussten, weil schlicht nicht genügend Betten zur Verfügung standen.

„In unserem Land gibt es nicht das Konzept, Menschen aufzugeben“, sagt Wang. China habe sehr schnell reagiert. Statt zu priorisieren, habe man die Ressourcen verstärkt und 40.000 Ärzte und medizinische Hilfskräfte aus dem ganzen Land nach Wuhan gebracht. „Deshalb sind wir gar nicht zu dieser Frage gekommen.“ Eine Situation, in der eine Triage nötig werden könnte, „passiert in China einfach nicht“. Viele Wuhaner haben das anders in Erinnerung.

In einem Interview mit der Parteizeitung „Changjiang Daily“ hat Wang berichtet, dass er von Ausländern, Deutschen, Italienern, Amerikanern, immer wieder gefragt werde: „Von welchem Alter an gebt ihr einen Patienten auf? Und nach welchen Kriterien gebt ihr einen Patienten auf?“ Für den Leser muss das klingen, als sei in diesen Ländern das Leben wenig wert. Die Überschrift des Interviews lautet „Menschen zuerst, Leben zuerst“, so wie der Titel der Propagandaausstellung im Norden von Wuhan. Unter den Text hat ein Leser geschrieben: „Was für ein Glück, dass wir in China leben.“