MESOPOTAMIA NEWS : POLITISCHE FRAGMENTIERUNG IN ISRAEL – ALLES, NUR NICHT NETANJAHU!

Eine Partei ohne Namen mischt Israels Innenpolitik auf

15 Dec 2020 – Angesichts der Ankündigung Gideon Sa’ars, den Likud zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen ist die Preisfrage, ob es jetzt überhaupt noch zu Neuwahlen kommen wird.

Letzte Woche kam es zu einer ebenso plötzlichen, wie dramatischen Wende, als Gideon Sa’ar bekanntgab, es würde seine angestammte Fraktion, den Likud, verlassen, und eine eigene Partei gründen. Bei den nächsten Wahlen wolle der ehemalige Netanjahu-Kronprinz seinem einstigen Chef als Kandidat für das Amt des Premierministers entgegentreten.

Böses Blut und nicht erst seit gestern

Es ist nicht das erste Mal, dass Sa’ar mit Netanjahu überkreuz liegt. Bereits vor sechs Jahren trat der ehemalige Unterrichtsminister, ob des bösen Blutes zwischen ihm und dem Ehepaar Netanjahu, aus der Regierung aus. Als er vor zwei Jahren dann wieder in die Politik zurückkehrte, forderte er seinen ehemaligen Vorgesetzten zum Duell über die Führung der Fraktion heraus. Allerdings erhielt er nur 27% der Stimmen. Netanjahu rächte sich für den misslungenen Aufstand, indem er seinen Widersacher, der immerhin auf Platz vier der Likud-Liste firmiert, bei der nächsten Regierungsbildung keinerlei Position zuteilte.

Gideon Sa’ar setzt auf Anstand und „nur nicht Bibi“

Monatelang schien sich Gideon Sa’ar mit dieser Demütigung abgefunden zu haben. Letzte Woche holte er dann zu einem heftigen Gegenschlag aus. Er, der Erzvertreter des Likud, der sich politisch wohl noch rechts von Netanjahu ansiedelt, kündigte an, er würde mit sofortiger Wirkung aus der Partei austreten. Sie habe nämlich ihren Charakter verloren, „sei zu einem Tool in den Händen ihres Anführers geworden“.

Die Ideologie sei einem Persönlichkeitskult gewichen, so Sa’ar weiter, damit könne er sich einfach nicht identifizieren. Netanjahu sei schon zu lang an der Macht. Dereinst habe Menachem Begin vor einer solch ausgedehnten Herrschaft gewarnt.

Er, Sa’ar, wolle eine Partei gründen, in der Anstand herrsche, eine Partei, die dem Land Einheit und Stabilität brächte. Diese Funktion könne Netanjahu einfach nicht mehr erfüllen. „Das Allerwichtigste ist jetzt, Netanjahu zu ersetzen“ versicherte Sa’ar denn auch. Er selbst stelle sich für diesen Job zur Verfügung.

Senkrechtstart für Sa’ar

Sa’ars Ankündigung fiel sofort auf fruchtbarem Boden. Gleich am nächsten Tag zeigten diverse Umfragen an, seine noch namenslose Partei würde bei anstehenden Wahlen 15 bis 18 Mandate ergattern und damit die zweit- oder drittgrößte Fraktion im Land stellen. Sollten sich dann noch namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Militär anschließen, könnte sich Sa’ars Senkrechtsart noch potenzieren.

Tatsächlich haben sich zwei Parlamentarier, Zvi Hauser und Yoaz Handel, ehemalige Alliierte der Blau-Weiss-Partei, bereits zu Sa’ar bekannt. Als weitere, prominente Kandidaten für die Sa’ar-Liste sind zudem Yifat Shasha Biton, die selbstbewusste Vorsitzenden des Corona-Ausschusses und der ehemalige IDF-Stabschef, General Gadi Eisenkot, im Gespräch. Beide stehen Sa’ar ideologisch nahe und beide genießen in der Bevölkerung Achtung und Beliebtheit.

Des Einen Freud’…

Gideon Sa’ar hat also Grund zur Freude. Viele seiner Parlamentskollegen müssen indes bangen. Zum einen Naftali Bennett, der Vorsitzende der Yamina Partei, der bislang gleich hinter Netanjahu als Favorit für den Premierposten gehandelt wurde und jetzt einen direkten Konkurrenten aus einer ähnlichen ideologischen Ecke, hinzubekommen hat. Er lässt denn auch verlauten, die Botschaft „Nur nicht Bibi“ sei kein Wahlprogramm. Es gelte nicht, sich auf die Person Netanjahus zu konzentrieren, sondern vielmehr tiefschürfende gesundheitliche, militärische und wirtschaftliche Probleme zu lösen.

Auch für den alternativen Ministerpräsidenten Benny Gantz sieht es nicht gut aus. Schon vor der Sa’ar-Ankündigung war seine Partei bei Umfragen von über dreißig Mandaten auf knapp zehn heruntergerutscht. Jetzt geht es für ihn noch weiter abwärts und die noch vor Kurzem stärkste Partei Israels erreicht kaum die Mindestanzahl an Mandaten, um im Parlament zu bleiben.