MESOPOTAMIA NEWS „ON LIBERTY“ (JOHN STUART MILL)

Im Zweifel für die Freiheit – Von Otfried Höffe  (DIE WELT  3. 2.2021)

Der Philosoph Otfried Höffe :  Die Sicherheit der Menschen ist ein hohes Gut. Aber eben nicht der Trumpf, der die anderen Grundrechte sticht – vor allem nicht die Freiheit, meint unser Autor, der Philosoph Otfried Höffe. Besonders die Legislative sei nun gefordert.

Man will es nicht glauben: Mehr als 70 Jahre nach Verabschiedung einer aller Diktatur widersprechenden Verfassung, des Grundgesetzes, erscheinen zwei ihrer Grundsätze nicht mehr selbstverständlich, inhaltlich die Grundfreiheiten und staatsorganisatorisch die Gewaltenteilung.

Dass durch die Covid-19-Pandemie die Politik aller Staaten in vieler Hinsicht herausgefordert wurde, versteht sich von selbst, ebenso, dass man kaum erwarten durfte, man könne aus dem Stegreif die optimale Strategie, entwickeln. Allerdings darf man nicht vergessen, dass das Virus, daher Covid-19, seit Dezember des Jahres 2019 bekannt war.

“Jahrzehntelang haben Gesellschaftswissenschaftler und Sozialpolitiker mehr Gemeinschaftlichkeit und Solidariät eingefordert. Die Freiheitseinschränkungen des Lockdown-Regeln sorgen nicht etwa für kurze Zeit, sondern langfristig und nachhaltig für das Gegenteil: Die Innenstädte veröden; weil die Bürger mehr und mehr die Lieferdienste in Anspruch nehmen, werden die bisher zuständigen, schon jetzt von Insolvenz bedrohten kleineren Geschäfte weitgehend verschwinden. Bei den Cafés und Restaurants geht über deren erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinaus noch ein wichtiges Stück Lebens- und Sozialkultur verloren, denn sie werden ja nicht bloß zum Essen und Trinken, sondern auch zur Geselligkeit, bei entsprechender Qualität auch zu kulinarischem Genuss besucht. Nicht zuletzt ist das Vereins- und Club- sowie das so reiche Kulturleben, sofern es nicht zusammenbricht, in der Schrumpfform der Online-Meetings bemitleidenswert verarmt. (…)

Außerdem darf man nicht übersehen, dass die Sorge um die Gesundheit nur zu einer der Grundfreiheiten zählt und nicht den Rang eines Trumpfes hat, der alle anderen Grundfreiheiten ausstechen dürfte. Da kein absoluter Vorrang gegeben ist, der jede Güterabwägung mit den anderen Freiheiten ausschließt, ist es damals wie heute geboten, freiheitlichere Lösungen zu überlegen. (…)

Dies lässt sich jedenfalls schwerlich bestreiten: Die Exekutive hat sich ein Übergewicht genommen, nur wenig zugespitzt: an sich gerissen, das demokratietheoretisch nicht unbedenklich ist. Im Übrigen fehlt es in den Parlamentsdebatten an gewichtigen Kritikstimmen. Die Abgeordneten wiederholen nur oder bekräftigen, was ihre Regierungsparteien vorgeben. Und nimmt man die Länderparlamente hinzu, sind außer der AFD so gut wie alle Parteien irgendwo in der Regierung.”

 

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