MESOPOTAMIA NEWS : NEUE ZÜRCHER ZEITUNG LESEN ! – Rechtsruck bei der türkischen «Cumhuriyet» – Die traditionsreiche Tageszeitung «Cumhuriyet» erhält eine neue Führung.

Aus Protest verlassen zahlreiche Mitarbeiter das Blatt. Es ist ein weiterer Rückschlag für die Pressefreiheit in der Türkei. –  Volker Pabst, Istanbul –  11.9.2018, 05:30 Uhr – NZZ

 Die türkische Presselandschaft verliert eine ihrer letzten kritischen Stimmen. Vergangenen Freitag wurde in einer kontroversen Wahl der zwölfköpfige Stiftungsrat der Tageszeitung «Cumhuriyet» neu bestellt. Kurz danach entliess das neue Aufsichtsgremium den Chefredaktor Murat Sabuncu, seine beiden Geschäftsführer und die Leitung des Hauptstadtbüros in Ankara und ersetzte sie durch nationalistische, weniger regierungskritische Journalisten. Seither haben mehr als ein Dutzend profilierter Redaktoren das Blatt verlassen. In Abschiedsartikeln oder per Twitter erklärten viele von ihnen, sie könnten es zurzeit nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, für die Zeitung zu arbeiten.

 Die 1924 gegründete «Cumhuriyet» ist die älteste Tageszeitung der Türkei. Der unerschrocken regierungskritische Kurs hat dem Blatt viel Anerkennung eingebracht. 2016 wurde es sogar mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. «Cumhuriyet» wurde aber auch unter mehreren Regierungen Ziel staatlicher Repression. Es gab Publikationsverbote und wiederholte Versuche, den redaktionellen Kurs zu beeinflussen.

Hilfe von der Staatsmacht? 

Eine neue Dimension des Drucks wurde unter der Regierung von Recep Tayyip Erdogan erreicht, insbesondere nachdem ein Bericht über türkische Waffenlieferungen an syrische Rebellen den Präsidenten erzürnt hatte. Erdogan kündigte daraufhin Vergeltung gegen die involvierten Journalisten an. Vor Gericht wurden 15 Cumhuriyet-Journalisten später zu teilweise langen Haftstrafen verurteilt. Ihnen wurde die gleichzeitige Komplizenschaft mit so unterschiedlichen Organisationen wie der kurdischen PKK und der Gülen-Bewegung vorgeworfen. 

Daneben gab es auch ökonomischen Druck. Unternehmen wurden davor gewarnt, im Blatt zu inserieren, es gab einen Übernahmeversuch. Dass die «Cumhuriyet» dennoch lange ihre Unabhängigkeit bewahrte, hängt auch mit ihrer Besitzstruktur zusammen. In einem Land wie der Türkei, in dem es traditionell eine starke Beeinflussung der Medien durch Politik und Geld gibt, erwies sich die Eigentümerschaft durch eine unabhängige Stiftung als Vorteil. Nun scheint es der Regierung aber doch gelungen zu sein, ihre ärgsten Kritiker bei «Cumhuriyet» mundtot zu machen – und zwar mittels der Stiftung. 

So sieht es zumindest Aydin Engin, einer der zurückgetretenen Kolumnisten. Er habe keinen Zweifel, dass der Machtwechsel von langer Hand geplant worden sei und die Staatsmacht mitgeholfen habe. Von einer «Übernahme von innen» durch die Regierungspartei AKP spricht der Journalist Yalcim Dogan. Über die neue redaktionelle Linie kann bisher nur gemutmasst werden. Der Leitartikel vom Sonntag kündigte an, «zu den Prinzipien von Staatsgründer Atatürk zurückzukehren». Obwohl es zwischen dem ultra-kemalistischen Lager der neuen Leitung und der Regierung durchaus Differenzen gibt, wird Erdogan künftig sicher weniger Grund haben, sich über die «Cumhuriyet» zu ärgern.

Tod der unabhängigen Medien 

Für die alte Garde der Zeitung dürfte es jedoch schwierig werden, sich weiter journalistisch zu betätigen. Mit Ausnahme einiger Internetportale gibt es kaum noch unabhängige Medien in der Türkei. Der im Exil lebende Journalist Yavuz Baydar, der ein in der Türkei gesperrtes Nachrichtenportal betreibt, kommentiert den jüngsten Rückschlag für die Pressefreiheit so: «Unabhängiger, investigativer Journalismus ist tot in der Türkei.»

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