MESOPOTAMIA NEWS : NACH EUROBONDS DANN GLOBAL-BONDS ? – ODER DER GERADE WEG IN DEN FINALEN CRASH

Die EZB ebnet den Weg der Euro-Zone in Richtung einer Transferunion

In der Euro-Zone herrscht entgegen manchen Behauptungen grosse finanzielle Solidarität, nämlich primär durch die EZB. Davon profitiert nicht zuletzt Italien. Doch Solidarität darf keine Einbahnstrasse sein. 

Michael Rasch, Frankfurt Kommentare 09.04.2020, 05.30 Uhr  NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Wenn die Europäische Union (EU) eine echte Gemeinschaft sein will, dann muss dies nun die Stunde der Solidarität in der Euro-Zone, in der EU und in Europa insgesamt sein. Wer könnte das verkennen angesichts der Bilder von verzweifelt kämpfenden Ärzten in überfüllten Krankenhäusern in Teilen von Italien, Spanien und Frankreich. Inzwischen ist die medizinische Hilfeleistung auf Touren gekommen, nachdem sie am Anfang der Krise ernüchternd, ja enttäuschend langsam angelaufen war. Es mussten erst medienwirksam Hilfsflugzeuge aus China und Russland in Mailand landen, bis man in Europas Hauptstädten aufgewacht ist. Inzwischen dreht sich die Diskussion jedoch stark um finanzielle Hilfen, vor allem für Italien und Spanien. Europäische Unterstützung ist wohl unausweichlich, denn zwei der am stärksten verschuldeten Länder Europas sind nun auch vom Coronavirus am heftigsten befallen. Wenn Italien seinem Unternehmenssektor ähnlich stark helfen will wie Deutschland, könnten viele italienische Firmen zwar am Ende gerettet, der Staat aber zahlungsunfähig sein. So erging es Irland mit der Bankenrettung in der Finanzkrise. Das Motto der Hilfeleistung darf deshalb nicht «Not kennt kein Gebot» sein.

Vermischung von Fiskal- und Geldpolitik

In Italien beschwert man sich derzeit besonders laut über die angeblich mangelnde Hilfe der europäischen Freunde. Was für den langsamen Anlauf der medizinischen Unterstützung nach der Verbreitung des Coronavirus in der Lombardei, dem wirtschaftlichen Kraftwerk Italiens, richtig gewesen ist, trifft jedoch bei den Finanzhilfen nicht zu. Wohl kein anderes Euro-Mitglied, mit Ausnahme von Griechenland, hat in den vergangenen zehn Jahren derart viel Hilfe bekommen wie das Bel Paese. Die Unterstützung kam vor allem durch die Europäische Zentralbank (EZB) – mit Billigung des Politikbetriebs in den Hauptstädten Europas. Das gilt bis heute. Auch in der Pandemie-Krise preschte die EZB vor. In einer mitternächtlichen Entscheidung Mitte März beschlossen die Führungsverantwortlichen der Notenbank, bis Ende Jahr ein Pandemie-Notfall-Anleihekaufprogramm (PEPP) über sage und schreibe 750 Milliarden Euro aufzulegen – und dabei fast alle bisher geltenden Restriktionen ausser acht zu lassen. Sollte die EZB mit PEPP Unternehmensschulden kaufen, um die Liquidität in diesem Markt sicherzustellen, wäre dies noch gerechtfertigt. Doch vermutlich wird sie den Löwenanteil für den Kauf von Staatsanleihen von Ländern wie Italien einsetzen, um deren Refinanzierungskosten im Zaum zu halten. Damit vermischt sie nicht nur die Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik weiter, sondern sie betreibt letztlich die in der Euro-Zone verbotene monetäre Staatsfinanzierung, die in der Geschichte immer zu grossen wirtschaftlichen Verwerfungen geführt hat.

Natürlich bekam die EZB für die Notfallhilfe einmal mehr von vielen Seiten Applaus, doch es gab auch andere Stimmen. Manche Ökonomen kritisierten zu Recht, dass es sich bei dem Pandemie-Programm nicht um Geldpolitik im klassischen Sinn handle und die behauptete Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus einmal mehr vorgeschoben sei. Die angeblich gestörte Übertragung der Frankfurter Geldpolitik in die Regionen Europas dient der EZB seit Jahren als willkommene Ausrede, um alle möglichen Interventionen zu rechtfertigen. Das Pandemie-Programm ist ein Kriseninstrument und erinnert an das Securities Markets Programme (SMP), mit dem die EZB unter dem damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet ab dem Jahr 2010 vor allem italienische, spanische und griechische Staatsanleihen kaufte. Das Programm wurde 2012 durch das OMT-Programm von Trichets Nachfolger Mario Draghi abgelöst. Der EZB-Rat hat jedoch kein demokratisches Mandat dafür, einzelnen Ländern zu helfen, sondern er ist allein der Preisstabilität im Euro-Raum verpflichtet. Länderspezifische Hilfen sind die Aufgabe der Politik.

Künstlich tiefe Zinsen

Das OMT-Programm – das Akronym steht für Outright Monetary Transactions (vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte) – wurde in der Staatsschuldenkrise unter gewissen Bedingungen zum gezielten und potenziell unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen einzelner Euro-Länder eingeführt. Die Refinanzierungskosten von Staaten wie Italien, Spanien, Griechenland und anderen waren an den Finanzmärkten derart stark gestiegen, dass den Ländern mittelfristig der Staatsbankrott drohte. Die Ursache dafür lag in Italien primär in der unsoliden Haushaltspolitik und der hohen Verschuldung, während andere Länder zusätzlich durch die Hilfen für ihren Bankensektor in Not geraten waren. Obwohl das OMT-Programm nie eingesetzt wurde, sorgte allein seine Ankündigung potenziell unbeschränkter Staatsanleihekäufe durch die EZB dafür, dass die Renditen an den Märkten für staatliche Schuldpapiere massiv sanken. Davon profitierten letztlich alle Länder, doch für Italien galt das ganz besonders. Das Bel Paese wiederum war auch einer der grössten Profiteure der seit fünf Jahren stattfindenden Staatsanleihekäufe der EZB im Rahmen verschiedener Programme über mehr als 2,1 Billionen Euro. So kam Italien trotz schwachem Bonitäts-Rating von «BBB» in den Genuss von Renditen von derzeit bloss 1,7 Prozent für zehnjährige Staatsanleihen. Länder ausserhalb der Euro-Zone mit vergleichbar schlechter Kreditwürdigkeit zahlen viel mehr, in Ungarn sind es 2,8 Prozent und in Indonesien 8,2 Prozent.

Durch die von der EZB gesenkten – sprich nicht risiko- und marktgerechten – Refinanzierungskosten profitierte Italien wie kaum ein anderes Land, wenngleich alle Finanzminister der Euro-Länder in den Genuss von künstlich tiefen Zinsen kamen. Dies senkte erwartungsgemäss für viele Staaten den Anreiz, den Haushalt zu konsolidieren und sich selbst so aufzustellen, dass die Teilnehmer an den Finanzmärkten ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen. Die Kreditgeber wollen schliesslich davon ausgehen können, ihre Gelder irgendwann zurückzubekommen. Durch die Interventionen der EZB hat Italien Dutzende, wenn nicht Hunderte von Milliarden Euro an Kreditkosten gespart. Auch das ist finanzielle Solidarität – geleistet durch die EZB mit ausgesprochener und unausgesprochener Unterstützung der Regierungen in der Euro-Zone.

Solidarität als Einbahnstrasse

Doch Solidarität sollte keine Einbahnstrasse sein. Wo war Italiens Solidarität in den letzten fünf konjunkturell guten Jahren? Warum hat das Land nicht seine Finanzen besser in Ordnung gebracht, um den Kriterien der Maastricht-Verträge über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion wenigstens näher zu kommen und sich auf eine potenzielle Krise, die immer unerwartet kommt, vorzubereiten? Darf man solche Fragen nun angesichts der Bilder aus den Krankenhäusern in der Lombardei stellen? Für Italien scheint sich die Strategie jedenfalls zu bewähren. Zwar bleibt das stolze Land in der Rolle des Bittstellers, doch neue Hilfe naht, wenngleich man sich in Brüssel am Dienstag noch nicht auf ein gemeinsames finanzielles Hilfspaket verständigen konnte. Im Raum steht ein «Sicherheitsnetz» über 500 Milliarden Euro mit drei Elementen: Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), ein Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investmentbank (EIB) und ein europäisches Kurzarbeitergeld namens «Sure». Keine Einigkeit besteht weiterhin über die Emission von Euro-Bonds, die in der Krise nun euphemistisch Corona-Bonds heissen.

Die Haftung für Euro-Bonds wäre aller Voraussicht nach gesamtschuldnerisch, das bedeutet, ein Land würde im Extremfall für das gesamte Portefeuille dieser Anleihen haften, wenn beispielsweise alle anderen Mitemittenten zahlungsunfähig würden. Gemeinsame Anleihen trennen zudem Verantwortung und Haftung. Dadurch ergeben sich für alle Teilnehmer noch mehr Anreize zu nicht nachhaltigem Schuldenmachen, und es entsteht ein moralisches Risiko, weil jedes einzelne Land die Vorteile davon geniesst, die Nachteile aber alle treffen. Die Nordländer befürchten ferner, dass sie den Südländern eine Kreditkarte ohne Limite in die Hand geben, weil sie das Ausgabenverhalten der Länder nicht beeinflussen können.

Die Euro-Zone ist längst eine Währungsunion auf Wanderschaft. Sie bewegt sich von Krise zu Krise weiter weg von ihrer ursprünglichen Idee einer auf Verträgen gegründeten und basierenden Rechtsgemeinschaft ohne finanzielle Beistandsklausel der Staaten untereinander. Diese Nichtbeistandsklausel sollte das Funktionieren einer Währungsunion von so unterschiedlichen Staaten wie Deutschland und Italien oder Finnland und Griechenland gewährleisten – und so hat man sie den Menschen verkauft, beispielsweise in Deutschland. Die Trennung der Kassen sollte dafür sorgen, dass es nicht zum Streit unter Freunden kommt. Allerdings war die Hoffnung auf eine solche Entwicklung wohl von Anfang an naiv. Getrieben von Krisen, bewegt sich die Euro-Zone stattdessen immer mehr in die Richtung einer Transferunion.

Schaden für die Unabhängigkeit

Die EZB leistet dazu seit Jahren einen zentralen Beitrag, denn die massiven Anleihekäufe, deren Volumen Ende des Jahres bei rund 3,5 Billionen Euro liegen dürfte, sichern einigen Ländern trotz hoher Verschuldung den (preiswerten) Marktzugang und begünstigen letztlich eine implizite Vergemeinschaftung der Schulden. Zugespitzt könnte man von Euro-Bonds durch die Hintertür sprechen, weil die Notenbank einen immer grösseren Anteil der Staatsanleihen einzelner Länder hält. Ein früherer Chefökonom der EZB spricht treffend von der Aushöhlung des Prinzips der demokratischen Legitimierung ausgerechnet durch die unabhängige Notenbank. Das spiele den populistischen Gegnern Europas in die Hände. Sicherlich hat sich die EZB als genuin gemeinschaftliche Institution in Krisen zum Handeln verpflichtet gesehen, um die Unterlassungen der untätigen und uneinigen Regierungschefs im Euro-Raum auszubügeln und die Währungsunion vor noch grösseren politischen Zerreissproben zu bewahren. Sie hat sich dadurch aber auch von der Politik instrumentalisieren und zum Handlanger machen lassen – zum Schaden für ihre Glaubwürdigkeit und wohl auch für ihre Unabhängigkeit.

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