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Großbritanniens Symbole der Unterdrückung
- Ein Kommentar von Gina Thomas, London FAZ – 10.02.2021-08:14
Beinahe stündlich wächst in Britannien die Liste historischer Figuren, die gegen die hehren Maßstäbe der Geschichtsmoralisierer verstoßen. An einem Tag ist es der Entdeckungsreisende James Cook, den Aktivisten als Symbol rassischer Unterdrückung und Gewalt aus dem öffentlichen Raum tilgen wollen – durch die Entfernung von Denkmälern und die Umbenennung von Institutionen, die seiner gedenken; am nächsten Tag ist es Lord Curzon, den die Bilderstürmer zur Unperson erklären,
weil der konservative Staatsmann, der von 1899 bis 1905 als Vizekönig von Indien diente, ein „rassischer Ideologe“ gewesen sei.
Und so geht es immer weiter. In dieser Woche hat das staatliche Denkmalpflegeamt Historic England die Ergebnisse eines Forschungsprojekts veröffentlicht, bei dem es darum ging, die Auswirkungen der Sklavenwirtschaft auf die Bausubstanz zu untersuchen. Die Spuren sind überall greifbar – in Schulen, Kirchen, Fabriken, Bauernhöfen, Bürgerhäusern, Kneipen, Jagdhütten. Sogar ganze Dörfer können in Bezug stehen zu in die Infrastruktur investierten Erträgen aus dem transatlantischen Sklavenhandel. Historic England hofft, die Erkenntnisse einsetzen zu können, um bei bislang unterrepräsentierten Teilen der Bevölkerung ein stärkeres Interesse am Kulturerbe zu fördern.
Präzedenzfall könnte geschaffen werden
Sein 157 Seiten langer Bericht soll als strategische Grundlage dienen, die ebenso auf junge und sozial schwächere Menschen abzielt, wie auf Schwarze, Asiaten, andere ethnische Minderheiten und sich als LGBTQ+ Identifizierende. Das wäre zumindest ein positiverer Ansatz als das Nachgeben gegenüber dem Versuch, Geschichte nachträglich zu säubern. In Oxford steht demnächst die endgültige Entscheidung über das Denkmal des Kolonialisten Cecil Rhodes an der Fassade seiner Alma Mater Oriel College an. Seit 2015 kämpft die „Rhodes-Must-Fall“-Initiative, deren Reihen inzwischen durch „Black Lives Matter“ verstärkt wurden, um die Entfernung des als weißen Suprematisten geächteten Spenders. Oriel hat sich dazu durchgerungen, die Skulptur zu verlegen, womöglich in das ethnographische Pitt Rivers Museum der Universität. Das letzte Wort wurde jedoch einer Kommission überlassen; ihr für März erwartetes Urteil wird mit Spannung erwartet, weil Rhodes im Kulturstreit als Musterfall gilt. Diejenigen, die Rhodes an seinem Platz bewahren wollen, setzen auf die neuen Gesetze zum Schutz historischer Denkmäler vor den Bilderstürmern.
Proteste gegen Rassismus : Wohin mit „toxischen Denkmälern”?
Sie werden von der Regierung gerade im Eilverfahren durchs Parlament gebracht. Nigel Biggar, Königlicher Professor für Moral- und Pastoraltheologie, hat verkündet, auf den zuständigen Minister einwirken zu wollen, damit dieser eingreife, falls die Kommission den Sturz empfiehlt. Auch ein Kompromiss ist im Gespräch: Dieser sähe, als Ausgleich für den imperialistischen Rhodes, ein neues Denkmal für den amerikanischen Schriftsteller und Denker Alain LeRoy Locke vor, dem es 1907 gelang, als erster afroamerikanischer Rhodes-Stipendiat nach Oxford zu kommen, nachdem mehrere Colleges seine Bewerbung abgewiesen hatten. So wünschenswert ein solches Denkmal sein mag, fußt der Anstoß dazu auf einer Vorstellung der Vergangenheit als Moralitätenspiel zwischen Gut und Böse. Nichts lehrt die Geschichte so eindringlich, als dass die Helden von gestern und heute nicht unbedingt die von morgen sein werden.