MESOPOTAMIA NEWS : DAS UNBEHAGEN IN DER NEUEN KULTUR DER SIMULATIVEN &  VERWALTETEN  WELT  – Zu Besuch in Zuckerbergs Zuhause

  • Unsere Zukunft hat die Farbe von veganem Apfeleis –

So fühlt sich kognitiver Kapitalismus an: ein Besuch in Frank Gehrys Erweiterungsbau der Facebook-Zentrale in Menlo Park. – Von Sarah Pines – Januar 2019

Hier sieht alles sehr idyllisch aus. Und grün. Geradezu natürlich. Von der Seite betrachtet, gleicht der Neubau von Facebook keinem Bauwerk, sondern eher einer langsam in die Bucht von San Francisco hinein schwappenden Welle. Auf den Dächern gibt es Bäume, Blumen, Gras und schattige Arbeitsbänke; neben dem Gebäudekomplex liegt ein großer, natürlich auch begrünter Autoparkplatz, die Autos verschwinden ganz dezent unter der Oberfläche, als müsse hier keiner einen Tropfen Erdöl verschwenden, um zur Arbeit zu kommen, es gibt Solaranlagen und Wasserrecycling: schöne blaugrüne neue Welt.

Am zentralen Punkt, der „Bowl”, einem in den Komplex eingelassenen Atrium, sitzen lässig Bekleidete mit den neuesten Apple-Produkten und beschriften hektisch hin- und herschiebbare Whiteboards. Um sie herum: blühende Pflanzen, Bäumchen in Kübeln, fünf Restaurants.

 

Willkommen im Arbeitsparadies von Mark Zuckerberg, dem soeben erweiterten Headquarter des Facebook-Konzerns. Der hatte sich vor drei Jahren einen riesigen „Fun Palace” für seine Mitarbeiter errichten lassen, das größte Großraumbüro der Welt mit einer Dachlandschaft, dank derer die Mitarbeiter ihr Büro nur nach oben verlassen müssen, um mitten in der Natur zu sein. Jetzt wird im großen Maßstab erweitert. Die Bowl geht in die Großraumbüros MPK20 und 21 über, das vor ein paar Wochen eröffnet wurde. Drinnen ist alles flächig, ohne Trennwände. Es gibt Herman-Miller-Stühle und schmale Tische. Alles hat die Farben von veganem Apfeleis oder Gojibeerensaft, beim Betrachten fühlt man sich dick, langsam, aus der Zeit gefallen wie ein vom Alter grün angelaufener Ledersessel.

 

Bereits 2015 hatte Facebook das neue Headquarter bezogen, das mit der alten Zentrale auf der anderen Seite des Bayshore Expressway über einen Tunnel verbunden ist. Der Campus, laut Mark Zuckerberg der „größte offene Workspace der Welt”, wurde erweitert um noch mehr of-fene Bürofläche, diesmal allerdings mit lichtdurchlässigem Sheddach, Garten, Sitz- und Essgelegenheiten; andere Dienstleistungen wie Reinigungen, Friseure oder Hundesitter gab es schon vorher. Ein Veranstaltungsort, der zweitausend Personen fasst, ist noch im Bau. Durch den Komplex führt ein verschlungener Weg, geplant ist ein achttausend Quadratmeter großer Park um das Anwesen herum. Als Hybrid aus Netwcirking-Caf6, Sommerbank und mittelalterlichem Dorfplatz spiegelt das neue Headquarter das Selbstbild Facebooks — und das des Silicon Valley: die natürliche Symbiose von Mensch, Natur, digitalen Konzepten und konkreten Formen. Um das zu erreichen, pfiff man sogar den legendären Architekten Frank Gehry zurück, der im kommenden Monat neunzig wird. Gehry, der silberne, bauchige Ober-flächen mag und sowohl das Guggenheim Museum in Bilbao wie auch die Disney Concert Hall in Los Angeles entwarf, hatte für den Facebook-Campus ein weißes Stuckgebäude geplant:

 

Das war den Auftraggebern aber zu frivol, zu teuer und gab außerdem baulich nicht wieder, was Facebook sein sollte. Gehry fügte sich grollend, das Resultat ist eine naturtranszendentalistische Explosion: Facebook, so die Botschaft, verbindet modernstes Hightech mit Vorstellungen von Einfachheit und Selbstgenügsamkeit, ganz in der Tradition amerikanischer Transzendentalisten wie des Dichters Ralph Waldo Emerson. In seinem Aufsatz „Natur” von 1836 schrieb dieser, dass die Formen der Natur — am besten ebenmäßig und hell und eher rund als zu eckig — sowie ein steter Blick auf Himmel und Sterne für die menschliche Kommunikation und das intuitive Entstehen von neuem Wissen unentbehrlich seien.

 

Auf dem Facebook-Campus, so die Vision, verschmelzen Welt und Digitales in natürlich wirkenden Formen. Er ist offen, transparent — man kann von einem Ende bis zum anderen sehen — und gleichzeitig intim wie ein mittelalterlicher Dorfplatz; ähnlich wie bei der Facebook-App kennt hier jeder jeden, die Privacy settings gibt es nicht — dafür die beiden Eigenschaften, die, so der lokale Jargon, das Selbstbild der Tech-Welt ausmachen. Sie lauten „orga nisch” und „synergetisch”. „Organisch” bezeichnet Eigenschaften der ,Selbstoptimie-rung, wie Innovationsgeist, Wagemut, Phantasie. „Synergetisch” arbeiten meint die Schaffung eines Ganzen, das größer sein möge als seine Teile. Synergie, so die Überzeugung der Erbauer, komme durch interaktive Prozesse zustande, durch „Networking”, Palavern, Denken, „Sharen”, was hier zwischen Redwoods, Sonnenlicht und den sehr dünnen Wänden von MPK21 bewerkstelligt werden soll.

 

Aber was sehen wir noch, außer der ästhetischen Altersexplosion Gehrys und, für seine Verhältnisse, auch der Zuckerbergs? Etwas radikal Neues, eine selbstgenügsame Welt ohne Außen (alles, was wir brauchen; ist hier), deren Architektur, wie Roland Barthes gesagt hätte, allein auf die eigene Oberfläche mit nichts dahinter verweist (wir sind, in dem was wir tun, für alle sichtbar).

 

Der Facebook-Campus wirkt auf eine paradoxe Weise neu und alt zugleich: Alt wie die Redwood-Bäume Emersons und alt wie die Idee des Firmen- beziehungsweise Fabrikdorfes. Doch der FacebookCampus ist kein Kruppstahlfabrikgelände mit klobigen Baracken für die Elenden und einer Villa für den einen — obwohl auch hier „Zuck” in der Mitte von allem sitzt. Zuckerbergs Büro ist in jedem Facebook-Headquarter gesondert angelegt: ein Rondell aus durchsichtigem Panzerglas, davor gibt es eine Art Wartezimmer oder Aufenthaltsraum mit Nierentisch und Zeitungen. Hier lungern alle, die etwas von ihm wollen, posieren dabei ein wenig wie ehrgeizige Höflinge einst im Antichambre absolutistischer Könige, sie lachen besonders laut und euphorisiert. Was beim Anblick des neuen Campus so verstört, ist das Gefühl einer Welt, die das Außen nicht braucht. Der neue Campus gleicht ein wenig dem Raumschiff aus dem Film „Elysium” (2013), ebenso wie das neue Apple Headquarter, das Züge des üppigen mondförmigen Weltraumhabitats der dortigen „reichen Klasse” trägt. Könnten beide im Weltraum bauen, sie würden es tun.

 

Der Soziologe Lewis Mumford schrieb einst, dass das Leben in der Suburbanität — Einsamkeit, Abgeschottetheit und Monotonie — das Gefühl entstehen lasse, im Weltraum zu sein. Das Silicon Valley, eine Kette architektonisch monotoner, suburbaner Gemeinden, lässt ein ähnliches Gefühl räumlicher Vagheit und Isolation aufkommen, wozu auch bestimmte Erscheinungen der typischen Silicon-Valley-Existenz — Tesla, iPhone, Google-Busse — bei-tragen. Sie sind Teil des öffentlich-visuellen Gemeinguts geworden. Zu bestimmten Tageszeiten — mittags, wenn entlegene Straßen unbefahren sind — sticht die leise-ergonomische Gestalt des Tesla in der sanft gewellten Landschaft gelbbegraster Hügel des Silicon Valley besonders hervor. Innen, hinter verdunkelten Scheiben, erinnert das ruhig und blau leuchtende Armaturenbrett an den Blick aus dem All auf den Blauen Planeten. Nun lädt auch Facebooks gläserner Neubau zum staunenden Betrachten ein. Aber verstehen wir die Durchsichtigkeit, die vor uns liegt, wirklich? Von oben gleicht der Campus auch einem Mikrochip, er steht, wie der Chip, für etwas anderes als die eigene Materialität.

 

Der offene Bau ist auch eine zu Architektur geronnene Pose, er beruhigt das Gemüt. Datenskandal, Geheimnistuerei? Von wegen, seht her, wir sind sichtbar. Aber betreten dürfen dieses Raumschiff nur die Eingeweihten. Die User können den Campus nur auf virtuellen Bildern betrachten, die verheißungsvoll schimmern. Sie kennen das Haus nur als Bild — zugänglich ist es nicht, nur seine ideale Online-Version. Facebooks Alltag kennen sie nicht, die dortige Sprache und Formeln auch nicht. Wahrscheinlich sind die pflanzenbewachsene Bowl fahler, die Sofas zur Arbeitszeit leerer, die Wege staubiger und die Whiteboards karger beschriftet, leergefegter, als Bilder es je vermitteln könnten. Und vielleicht ist das Facebooks geniale, in Architektur umgesetzte Ironie: Das Gebäude ist, obwohl physisch da, nur als Simulation wahrnehmbar.

 

App und Campus sind so real, wie Online-Chats richtige Kommunikation sind: Man verlässt sich auf die Simulation, weil das Echte nicht zur Verfügung steht und hinter dem Surrogat verschwindet, bis man seine Existenz irgendwann vergessen hat.

SARAH PINES