MESOPOTAMIA NEWS CULTUR : NEUER FASCHISMUS = DAS IST NICHT ERDOGAN – PUTIN ODER ASSAD, die despotischen Endmoränen des 20. Jahrhunderts

DER FASCHISMUS WAR  EIN PROJEKT DER „KLASSISCHEN MODERNE“ / DER NEUE WIRD NOCH VIEL MODERNER SEIN

  • „Der Faschismus, geboren aus Interventionismus und Futurismus, zehrt selbst aus futuristischen Prinzipien”, erklärte der Dichter Filippo Tommaso Marinetti 1924

…… So lässt sich das (alte) faschistische Projekt auch als Verwandlung der Welt in eine gigantische Ausstellung beschreiben, mit dem Ziel der totalen Ermächtigung des Betrachters. Wenn in alten Wochenschauen der Duce zwischen Einweihungen eines Stadions und eines Autobahnabschnitts Museumstreppen erklimmt und die Galerien durcheilt, wird die Ausdehnung des Möglichen durch die Beschwörung reiner Bewegung und die Aufladung jedes Staatswinkels mit Bedeutung fassbar.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Begeisterung zahlloser Künstler und Intellektueller für die faschistische Bewegung verständlicher, der Stolz, mit dem sich die Futuristen dafür auf die Brust schlugen, dass sie mit ihren beschleunigten Formen dem Faschismus den Boden bereitet hatten. Schließlich bot dieser einen Platz an vorderster Front bei der Gestaltung des ganz großen Schicksals.

„Der Faschismus, geboren aus Interventionismus und Futurismus, zehrt selbst aus futuristischen Prinzipien”, erklärte der Dichter Filippo Tommaso Marinetti 1924, fünfzehn Jahre nach Veröffentlichung seines „Futuristischen Manifests”, zwei Jahre nach dem Marsch auf Rom und vier Jahre, bevor Marinetti Sekretär des italienischen Schriftsteller-und Autorenverbandes wurde.  (…)

Was ist das aber nun für eine eigentümliche Produktion, und wie müsste man sich eine Zeit vorstellen, in der diese wiederum rekonstruiert würde? Wenn die Futuristen schon 1916 im Buch eine überholte Form der Wissensvermittlung sahen, würden sie heute Malerei und Skulptur noch irgendeine Macht zuschreiben? Oder würden sie sich eher für größere Umschließungs- und Intensivierungsangebote interessieren, wie sie sich in der Konjunktur evangelikaler Kirchen in Nord- und Südamerika zeigen, im sogenannten Populismus oder im Dschihad, aber auch in den Feedbackschlaufen von Spa-Angeboten, Körpermessgeräten und Fototelefonen? Zielte die Immersion der Futuristen auf eine Synchronisierung der Körper im Raum und deren Ausrichtung auf ein geteiltes Schicksal, so zielen die Immersionen der Gegenwart eher auf eine Zersplitterung der Zeitstrahlen und eine Einschließung in viele asynchrone Welten ohne Außen: Jeder sein eigener Kosmos. Machtausübung wird da eher eine Frage stiller Nachjustierung auf Datenebene.

KOLJA REICHERT

‚Post Zang Tumb Tuuum. Kunst Leben Politik: Italien – 1918-1943″, Mailand, fondazione Prada, bis 25. Juli. Der fast 700 Seiten starke Katalog kostet vor Ort 90 Euro.