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«Mutter» Minster Dschabro will sie vor allem rechtlich absichern

30 Juli 2020 – Nach langen Monaten ohne handlungsfähige Regierung und einem Volk auf der Strasse, das gegen seine Verarmung im viertreichsten Erdölland der Welt und die dafür hauptsächlich verantwortliche Korruption demonstrierte, sind im Irak seit Anfang Mai wieder halbwegs geordnete Verhältnisse eingekehrt, ein Verdienst der neuen Regierung.

Es ist der Verdienst des neuen Regierungschefs Mustafa al-Kadhimi, eines recht aufgeschlossenen schiitischen Muslims, und weitgehend auch seiner christlichen Ministerin für Vertriebene, Evan Dschabro. Sie wurde damit direkt für die meisten irakischen Christen zuständig: Die sind Flüchtlinge im eigenen Land.

Kadhimi war als junger Mann einer der Wenigen, die Widerstand gegen Langezeitdiktator (1968 bis 2003) Saddam Hussein wagten. Vor dessen Folterkerkern rettete ihn nur die Flucht. Im Westen, vor allem im deutschen Exil, wurde er erst recht zum überzeugten Demokraten. Beruflich liess sich Kadhimi als Journalist ausbilden. Nach dem Sturz Saddams kehrte er nach Bagdad zurück. Im folgenden chaotischen Jahrzehnt baute er am Tigris ein freies Pressewesen auf. Nachdem 2014 die sunnitische Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) ein Drittel vom Irak überrannt hatte, wurde Kadhimi die Koordinierung seiner Niederwerfung anvertraut. Mit Erfolg!

Evan Dschabro, die «Mutter von Mossul»

Während der Schreckensherrschaft von IS und seinem selbsternannten Kalifen Abu Bakr Bogdadi in der nordirakischen Metropole Mossul hielt dort eine christliche Biologielehrerin aus, Evan Dschabro (auch Jabro geschrieben). Die chaldäische Katholikin tat sich mit evangelikalen Frauen und Schiitinnen zusammen. Ihr Geheimbund «Firdaus» (Paradies) rettete viele Menschenleben, bot Verfolgten Unterschlupf, heilte die Wunden von Gefolterten. Nach der Befreiung der Stadt 2017 wurde Evan Dschabro in ganz Irak als «Mutter von Mossul» bekannt. Im Juni bekam sie nun ihren Ministerposten, gegen den Willen ihres eigenen Kirchenführers Kardinal Louis Sako. Dem war sie zu charismatisch…

Christen auf der Flucht

Im Vertriebenen-Ressort ist Dschabro jedoch am genau richtigen Platz. Seit Jahrzehnten sind Iraks Christen auf der Flucht. In den 1980er Jahren hatten sie sich vor dem Giftgas Saddams aus dem kurdisch-christlichen Norden in die Anonymität der Grossstädte im Süden gerettet, vor allem von Bagdad und Basra. Mit dem Ende des Saddamismus kamen – begünstigt durch die amerikanischen und britischen Besatzer – die von jenem unterdrückten radikalen Schiiten ans Ruder. Basra wurde von ihnen so gut wie «christenrein» gemacht, in Bagdad waren die Christen nun Freiwild für Plünderungen und Entführungen, es gab Bombenanschläge auf Kirchen und Fememorde an Gemeindeleitern. Wer nur konnte, suchte sein Heil in der Flucht, im Ausland oder wenigstens wieder Richtung Norden.

Dort hatten die USA schon im ersten Golfkrieg 1991 für die irakischen Kurden ein autonomes Schutzgebiet eingerichtet. Und dorthin flüchteten sich nun viele Christen, Erbil wurde zu ihrem Zentrum. Da nicht alle zwischen den engen Bergen Kurdistans Platz fanden, entstanden in der vorgelagerten Ebene des biblischen Ninive weitere Niederlassungen christlicher Vertriebener aus dem Süden. Sie wurden vom IS überrannt, aber inzwischen zurückgewonnen und neu aufgebaut. So ist heute die irakische Christenheit im Nordosten des Landes zusammengedrängt, aber dort halbwegs in Sicherheit.

Hauptproblem Rechtsunsicherheit

Gefahr droht allerdings von den Türken, die immer wieder ins irakische Kurdistan einfallen. Mit dem Vorwand, dort Kämpfer für die Loslösung kurdischer Gebiete von der Türkei zu verfolgen. Bei ähnlichen Aktionen drüben im syrischen Kurdistan haben türkische Truppen und Freischaren auch christliche Dörfer und Stadtviertel mit ihren Kirchen und Schulen verwüstet. Doch mit dem Irak kann sich Machthaber Erdogan nicht so leicht wie mit dem vom Bürgerkrieg geschwächten Staatschef Baschar al-Assad in Damaskus anlegen. Unmittelbares Hauptproblem der evangelisch/evangelikalen, orientalisch-katholischen und orthodoxen Christen im Irak ist aber dessen Rechtssystem.

Wichtiges evangelisches «Religionsvolk»

Genau dieses Reformanliegen nimmt Ministerin Dschabro jetzt in Angriff, ist sich darin sogar mit Kardinal Sako einig. Unter osmanisch-türkischer Herrschaft vom 17. bis ins 20. Jahrhundert waren die verschiedenen Christen als «Religionsvölker» (millet) organisiert. Jedes von ihnen hatte im Familien- und Erbrecht seine eigene Hoheit. Das jeweilige Kirchenrecht war verbindlich. Das heisst z.B. dass sich Katholiken auch staatlich nicht scheiden lassen durften, Orthodoxen das hingegen gestattet war. Da für katholische Priester immer, für orthodoxe oft, die Ehelosigkeit vorgeschrieben war, wurde das auch auf die evangelischen Christen angewandt. Daher war es so wichtig, dass ihnen der Sultan um 1840 ihr eigenes «Protestantisches Millet» gewährte.

Heute islamische Scharia für alle

Diese Rechtsordnung hatte sogar noch unter der Schreckensherrschaft von Saddam Hussein Bestand. Erst die in dieser Frage völlig blauäugigen Amerikaner gestatteten ihren schiitischen Liebkindern den Aufbau eines islamischen Staates mit der Scharia als einzigem Recht für alle. Nach diesem sehen sich im heutigen Irak auch christliche Mädchen zu Zwangsehen genötigt, können von ihren Männern ganz einfach verstossen werden und bleiben in der Erbfolge hinter den Herren der Schöpfung immer benachteiligt. Das muss ein Ende haben, sagt Evan Dschabro und weiss sich darin der Unterstützung durch ihren Regierungschef sicher…

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Datum: 30.07.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet