MESOP : THE GERMAN KURDISH CHAPTER – Kurdisch-deutscher Junglehrer
Von Oliver Trenkamp, Würzburg / SPIEGEL ONLINE 26.6.2014
Sollten Lehrer so tough sein sein wie in “Fack Ju Göhte”? Mehmet Kara, 33, wäre es gern: Der Referendar hört Hip-Hop, stammt aus einer kurdischen Familie – und ist schon dadurch ein Exot in deutschen Lehrerzimmern.
Ob das funktioniert? “Habt ihr gewusst, dass die meisten Hip-Hopper Abitur haben?” Herr Kara wartet darauf, dass die Jungen und Mädchen der 9c hineinschlurfen; gleich beginnt die erste Stunde, Ethik. Die Zu-früh-Kommer versucht er, in ein Gespräch zu verwickeln.
“Kollegah studiert sogar”, sagt Herr Kara und betont damit ein biografisches Detail des Rappers, der sonst eher durch Textzeilen wie diese von sich reden macht: “Ich gebe den Bitches, was die Bitches verdienen.” Herr Kara klingt dabei wie jemand von der Sparkasse, der einen Bausparvertrag “cool” nennt, oder wie ein Friseur, der einem “was Freches” schneiden will.
Mehmet Kara, 33, stammt aus dem Osten der Türkei, seine Familie floh 1988 nach Deutschland, vor dem Konflikt zwischen Kurden und türkischer Regierung. Kara sprach kein Wort Deutsch, seine Brüder und Schwestern auch nicht. Die Eltern organisierten Nachhilfestunden für den Ältesten, der musste die anderen dann unterrichten, auch Mehmet. In der zehnten Klasse schrieb Kara seine erste Eins in Deutsch, jetzt unterrichtet er das Fach.
In Lehrerzimmern fehlen Männer und Migranten
Wir Karas, das ist die Botschaft, sind Aufsteiger. Seine Geschwister arbeiten als Mathematiker und Bio-Physiker, studieren Jura und Wirtschaft. Er selbst ist Referendar an einem Gymnasium in Würzburg, die letzte Lehrprobe steht bevor.
In deutschen Lehrerzimmern sind solche Biografien selten, Bildungsforscher kritisieren die Gleichförmigkeit als “zu weiblich und zu deutsch”: Gut 70 Prozent der Lehrer sind Frauen, nur zwei Prozent stammen aus dem Ausland. Herr Kara vermarktet sich als Gegenmodell. Denn es herrscht zwar Lehrermangel in Deutschland, aber nicht unbedingt in den Fächern Deutsch und Sozialkunde. Im Sommer endet Herr Karas Referendariat, er muss sich um eine Stelle bewerben. Er versucht es deshalb mit Eigen-PR, zumal seine Noten eher mittelmäßig sind.
Er vertont mit seinen Schülern “Kabale und Liebe” als Rap-Song, gibt dazu Radio- sowie Fernseh-Interviews und vergleicht seine Arbeit mit dem Film “Fack Ju Göhte”, in dem Elyas M’Barek als Ex-Knacki und Aushilfslehrer die Schüler anpöbelt: “Chantal, heul’ leise.” An Journalisten schreibt Herr Kara: “Als Deutschlehrer mit dem Namen Mehmet ist es schon etwas Besonderes, in Bayern zu unterrichten.”
Für Schüler sind Referendare immer etwas Besonderes: jünger, aufgeregter und – wenn es gut läuft – inspirierender als die Routiniers. An Herrn Karas Gymnasium fällt dieser Bonus weg, es ist eine Ausbildungsschule, hier unterrichten ständig angehende Lehrer. Herr Kara aber fällt auch den Schülern auf: Vielleicht finden manche das Gerede über Hip-Hop ein bisschen peinlich, aber er dringt damit durch, sie mögen ihn. Der Schulleiter sagt über den Rap-Projekttag: “Das ist etwas Lebendiges.” Eine Siebtklässlerin sagt, Herr Kara sei “voll süß”, er habe den Schülern seine Hochzeitsfotos gezeigt.
Neulich, so erzählt Herr Kara es, hat er einem Schüler “kulturspezifisch” ins Gewissen geredet. Der Junge hatte eine Lehrerin angepöbelt, wollte sich von einer Frau nichts sagen lassen. Herr Kara drohte, den Vater in der Moschee zu besuchen und ihn damit bloßzustellen, wie ungezogen sein Sohn sich benehme. “Der Junge hat sich bei der Kollegin entschuldigt.”
Seine Referendarskollegen schwärmen von Herrn Karas offener, kommunikativer Art, von seinem Improvisationstalent, sagen aber auch, er sei manchmal chaotisch. Sie dürfen nicht oben im Lehrerzimmer sitzen, sondern haben einen eigenen Raum im Keller der Schule, an die Tafel haben sie die Zahl 28 geschrieben und umkringelt: So viele Tage noch bis zum Schuljahresende – und damit bis zum wirklichen Lehrerdasein.
Im Ethik-Unterricht, ein paar Etagen drüber, geht es um Gerechtigkeit, es hat geklingelt, das Hip-Hop-Gespräch ist vorbei. Ein Projektor strahlt Zitate von Kant, Cicero, Oscar Wilde und Margot Käßmann an die Wand. Für Herrn Kara beginnt ein neuer Schultag.