MESOP: SCHMITTIANISCHER DECISIONISMUS DER NEUEN SOUVERÄNE / EZB HEBT EIGENE REGEL AUF – ES GILT ALLES NUR NOCH BIS ES AUFGEHOBEN WIRD

Europas Währungshüter tappen in ihre eigene Falle

Die EZB kauft jeden Monat für viele Milliarden Euro Staatsanleihen auf, um ein Aufflammen der Euro-Krise zu verhindern. Doch die wichtigsten Papiere sind bald ausverkauft – die deutschen. – Von Anja Ettel , Holger Zschäpitz – DIE WELT  – 21 Juli 2016 – Seit Juni kauft die Europäische Zentralbank neben Staatsanleihen auch Unternehmenstitel. Nun hat die EZB erstmals die Liste dazu veröffentlicht: Viele der Firmen haben ein Rating in der B-Kategorie.

Bundesanleihen werden zur Mangelware an den Märkten. Zumindest für die Europäische Zentralbank (EZB). Diese hat in den vergangenen Monaten bereits Papiere für über 200 Milliarden Euro gekauft. Doch die Zeit der unbesorgten Käufe neigt sich dem Ende zu. Schon in zwei Monaten könnte das Kontingent an Bundesanleihen für die EZB erschöpft sein.Das liegt nicht nur daran, dass Berlin keine neuen Schulden macht und damit keine neuen Papiere auf den Markt kommen, sondern vor allem auch daran, dass die Währungshüter in ihre eigene Falle getappt sind. Wenn der Rat also am heutigen Donnerstag in Frankfurt zusammenkommt, muss er eine Antwort darauf finden. Schließlich soll das Anleihenkaufprogramm, in dessen Rahmen die EZB Monat für Monat Papiere für 80 Milliarden Euro aufkauft, noch mindestens bis März kommenden Jahres laufen.

Eigene Regeln werden Notenbankern zum Verhängnis

Um möglichst nicht den Anschein zu erwecken, Staatsfinanzierung zu betreiben, hatte sich die EZB für ihr Anleihenkaufprogramm starre Regeln auferlegt. Diese verlangen unter anderem, dass bei den Käufen die Ländergewichte innerhalb des Euro berücksichtigt werden. Da Deutschland mit rund 26 Prozent den größten Anteil an der Währungsbehörde hält, müssen entsprechend auch am meisten deutsche Staatspapiere gekauft werden.

Gleichzeitig legt das Regelwerk der Notenbanker auch fest, dass von einer Anleihe niemals mehr als ein Drittel gekauft werden darf. Das soll verhindern, dass die Notenbanker eine Sperrminorität halten und im Fall einer Schieflage des Landes darüber bestimmen können oder müssen, wie die Gläubiger bedient werden. Zu guter Letzt dürfen nur Papiere gekauft werden, deren aktuelle Rendite nicht unter dem Einlagensatz für Banken liegt. Dieser beträgt seit März minus 0,4 Prozent. Insbesondere die letzte Vorschrift wird den Notenbankern bei Bundesanleihen jetzt zum Verhängnis. Die Renditen sind in den vergangenen Wochen so stark gefallen, dass viele Schuldtitel mit weniger als -0,4 Prozent rentieren. Nach Berechnungen des Datenanbieters Bloomberg sind mehr als 60 Prozent aller Bundesanleihen davon betroffen, sprich: Sie können nicht mehr von der EZB gekauft werden.

Im Zweifel müssten Staaten Eigenkapital nachschießen

“Wenn die aktuell gültigen Regeln angewendet werden, dann wird die Notenbank bei ihren Bundesanleihekäufen in weniger als zwei Monaten an ihr Limit stoßen”, sagt Marcel Alexandrovich, Stratege beim Investmenthaus Jefferies. Er rechnet fest damit, dass der EZB-Rat auf seiner aktuellen Sitzung die Kaufregeln ändern wird. Für wahrscheinlich hält er es, dass die bisher gültige Obergrenze von 33 Prozent auf 70 Prozent erhöht oder sogar vollständig aufgehoben wird.

Sollte sich die EZB für die 70-Prozent-Variante entscheiden, hätte sie immerhin noch zusätzliche sechs Monate für den Kauf von Bundesanleihen gewonnen. Sollte der Rat gleichzeitig die Rendite-Untergrenze für den Erwerb von Staatspapieren von aktuell -0,4 Prozent aufheben, gäbe es noch ausreichend Bundesanleihen für die nächsten 23 Monate. Allerdings würden die Verluste, die die Notenbank mit den Ankäufen macht, in die Höhe schießen. Im Zweifel müssten die Staaten sogar Eigenkapital nachschießen, wenn das Minus zu groß wird.

Die bevorstehende Entscheidung kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Am Freitag in einer Woche werden die Ergebnisse des europaweiten Banken-Stresstests von der europäischen Bankenbehörde und der EZB veröffentlicht.Bei dem Test wurde simuliert, wie sich die Kapitalquoten der Kreditinstitute in einer möglichen Krise entwickeln. Um etwaige Turbulenzen nach der Publikation zu vermeiden, muss das laufende Anleihekaufprogramm möglichst reibungslos funktionieren. Schließlich will sich die EZB die Option offenhalten, das Programm auch weit über März kommenden Jahres laufen zu lassen und gegebenenfalls das Kaufvolumen sogar noch zu erhöhen.

Zumindest für die deutschen Institute sind die Branchenvertreter zuversichtlich. “Ich erwarte nicht, dass es bei einer deutschen Bank oder bei mehreren deutschen Banken durch die Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse zu tief greifenden Verwerfungen kommt”, sagte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB).

Kritisch sieht Kemmer allerdings, dass ausgerechnet die Belastungen durch die EZB-Geldpolitik keinen Eingang in den Stresstest gefunden hat. So sei im sogenannten Stress-Szenario lediglich geprüft worden, welche Auswirkungen eine Zinserhöhung für Banken hätte. Die Folgen der lang anhaltenden EZB-Nullzinspolitik und die Auswirkungen der Strafzinsen auf die Geschäfte der Banken seien dagegen ignoriert worden, sagte der BdB-Hauptgeschäftsführer. “Das ist ein Kritikpunkt, den man vorbringen muss, denn die Banken leiden unter den niedrigen Zinsen.”

Für Geschäftsbanken könnte es noch dicker kommen

Kemmer zufolge sind einige Banker sogar der Ansicht, dass die Behörden auch deshalb auf ein Nullzinsszenario verzichtet haben, weil sie der EZB-Geldpolitik nicht indirekt eine Mitschuld an den Problemen der Geldhäuser geben wollten. Um möglichen Interessenskonflikten in Zukunft vorzubeugen, müsse die Banken-Aufsicht aus der EZB herausgelöst werden, forderte Kemmer.

“Langfristig halten wir es für vernünftig, wenn das getrennt wird, um solche Diskussion von vornherein zu vermeiden.” Auf die Frage nach einer Definition von “langfristig” räumte er allerdings ein, dass es dazu einer Änderung der EU-Verträge bedürfe: “Aber man darf ja noch Wünsche haben.”

Dabei könnte es für die Geschäftsbanken noch dicker kommen. Die Mehrheit der Experten rechnet damit, dass die EZB bereits auf der nächsten Sitzung im September weitere Lockerungsmaßnahmen beschließen und das mit den Folgen des Brexit-Entscheides der Briten begründen wird.Obwohl die Bilanzsumme kräftig ausgeweitet worden ist, liegen die Inflationserwartungen nach wie vor am Boden. Im Gespräch ist nicht nur eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms, sondern eine weitere Senkung des Einlagesatzes auf -0,5 Prozent. Mit einem solchen Schritt würde auch das Problem mit dem Mangel an verfügbaren Bundesanleihen weiter entschärft werden. http://www.welt.de/finanzen/article157193831/Europas-Waehrungshueter-tappen-in-ihre-eigene-Falle.html?wtmc=google.editorspick?wtmc%3Dgoogle.editorspick&google_editors_picks=true