MESOP NEWS „VOR ORT KURDISCHES JERUSALEM “ : KIRKUK HEUTE – REFERENDUM

  • WANN ? WENN NICHT JETZT ? / IRAN’S QASSEM SOLEIMANI DROHT

GEGEN Widerstand halten die Kurden im Irak ihr Referendum ab. Bagdad kündigt an, um jedes Stückchen Boden zu kämpfen. Die Kurden fürchten aber vor allem die schiitischen Milizen.

Von Christoph Ehrhardt – ARBIL , 25. September – FAZ –  Präsident Massud Barzani gibt seine Stimme schon am Morgen ab. Wie viele Politiker und Funktionäre der kurdischen Autonomieregierung im Irak zeigt er sich früh in einem der Wahllokale. Nach langem Ringen — und gegen massiven Widerstand — findet das Referendum über die Unabhängigkeit von Irakisch-Kurdistan am Montag statt. Familien spazieren zur Volksabstimmung, manche haben Mädchen in glitzernde Festtagskleider gesteckt oder kleine Jungen in Tarnuniformen. „Es ist ein historischer Tag”, sagt ein junger Mann vor einem Wahllokal in Arbil. Er trägt eine kurdische Flagge über der Schulter, ist keiner der Bedenkenträger, die eine militärische Konfrontation mit der Zentralregierung oder schiitischen Milizen befürchten. Keiner von denen, die angesichts der Drohungen aus der Türkei oder Iran klein beigeben. ‚Wann, wenn nicht jetzt?”, sagt der Mann. „Es gibt keinen guten oder schlechten Zeitpunkt.”

Präsident Barzani hatte am Sonntag die letzten Zweifel an seiner Entschlossenheit ausgeräumt. Er, Barzani, sehe keinen anderen Weg als die Unabhängigkeit, sagte er während einer Pressekonferenz. Die Partnerschaft mit dem Irak sei gescheitert. „Von jetzt an sind wir Nachbarn.” Daran, dass eine große Mehrheit mit Ja stimmen wird, herrscht kein Zweifel. Barzani will nach eigenem Bekunden mit dem Mandat durch das Referendum ein, zwei Jahre lang mit Bagdad über die Unabhängigkeit verhandeln.

Die ersten Reaktionen aus der Haupt-stadt lassen aber kaum Gesprächsbereitschaft erkennen. Das Parlament verlangt am Montag, dass Truppen in die umstrittenen Gebiete entsendet werden sollen — zum Schutz irakischer Bürger, wie es in einer Erklärung heißt. Zu diesen Regionen, in denen mehrere Bevölkerungsgruppen leben, gehört etwa Kirkuk mit seinen Ölfeldern. Die Kurden hatten in Kirkuk und an anderen Orten die Kontrolle übernommen, nachdem die irakischen Kräfte durch den „Islamischen Staat” (IS) vertrieben wurde] oder vor den Dschihadisten geflohen waren. Ministerpräsident Haider al Abad hat angekündigt, seine Regierung werd „um jeden Zoll” irakischen Boden kämpfen. Der Nationale Sicherheitsrat hat verkündet, es werde keine Verham lungen mit den Kurden geben.

Auch Barzanis Aufruf an das Auslan, man solle die Kurden in Ruhe und ihre Zukunft selbst bestimmen lasse: schien zunächst auf taube Ohren zu stoßen. Die Nachbarn erhöhen den Druck.  Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigt am Montag an, die Grenze werde in beide Richtungen geschlossen. Er droht der Autonomieregierung in Arbil außerdem damit, die für sie überlebenswichtigen Ölexporte zu unterbinden. „Der Hahn ist bei uns. Sie sind erledigt, sobald wir ihn zudrehen”, sagt Erdogan. Iran hat nach Berichten der Staatspresse schon am Sonntag seinen Luftraum geschlossen. Das Außenministerium in Teheran teilt am Montag mit, dass auf Wunsch Bagdads die Grenzen geschlossen wurden.

Bis zuletzt hatte es fieberhafte Versuche gegeben, Barzani dazu zu bewegen, das Referendum zu verschieben – oder zumindest in den umstrittenen Regionen auszusetzen. Die westliche Diplomatie hatte vergeblich versucht, auf den kurdischen Präsidenten einzuwirken. Qassem Soleimani, der Kommandeur der für Auslandseinsätze zuständigen iranischen Quds-Brigaden, war ebenfalls aktiv. Er besuchte nach kurdischen Angaben in den vergangenen Tagen mehrere Orte im Nordirak. Er habe während eines Treffens damit gedroht, die gefürchteten schiitischen Milizen der Volksmobilisierung (Al Haschd al Schaabi) nicht mehr von einem Eingreifen abhalten zu können, berichtet ein hoher Funktionär der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), des großen Rivalen des Barzani-Lagers. Am Sonntag war noch eine kurdische Delegation in Bagdad gewesen, um mit führenden Politikern zu sprechen. „Sie haben uns gesagt, dass sie uns mit allen Mitteln bekämpfen werden”, sagt ein Mitglied der kurdischen Delegation. Aber Angst will er keine haben. „Sie werden zwei Wochen lang beleidigt sein”, sagt der Politiker.

Doch Sorgen hat es reichlich gegeben. Die Angst vor einem Gewaltausbruch hat auch die Kurden gespalten. In der PUK von Kirkuk ging der Widerstand so weit, dass einige Milizionäre am Wochenende kurzzeitig den Sitz der für das Referendum zuständigen Kommission umstellten. Sie hätten vor allem Angst vor den Haschd-Milizen, sagt ein PUK-Funktionär in Arbil. Schon seit längerem ist die Stimmung in Kirkuk angespannt. „Seit einer Woche habe ich keine Kundschaft mehr. Die Leute trauen sich nicht mehr hierher”, klagt am Sonntag ein Ladenbesitzer auf dem Basar.

In Kirkuk bleibt es am Montag zunächst friedlich. Am Nachmittag beginnen die Feiern, später verhängt die Polizei aus Sicherheitsgründen eine Ausgangssperre. Doch aus dem Ort Tuz Khurmatu südlich von Kirkuk, wo sich die Bevölkerungsgruppen feindlich gegenüberstehen, kommen übereinstimmende Berichte über Zusammenstöße. Demnach eröffneten Kämpfer einer Miliz schiitischer Turkmenen das Feuer auf kurdische Peschmerga-Kämpfer und töteten einen von ihnen.

FAZ 26 Sept 2017

www.mesop.de