MESOP NEWS SÜD KURDISTAN : PESHMERGA WIE SADDAM ?

Kriegsverbrechen

Eine Menschenrechtsorganisation erhebt schwere Vorwürfe gegen Kurden im Irak / HUMAN RIGHTS WATCH (HRW)

ATHEN,  ! März 2018 . Von Michael Martens – FAZ – Wenn zutrifft, was die Berichterstatter einer amerikanischen Menschenrechtsorganisation zusammengetragen haben, dann haben kurdische Sicherheitskräfte im Nordirak im vergangenen Jahr binnen weniger Tage mehrere hundert wehrlose Kriegsgefangene getötet.

Ein Bericht von „Human Rights Watch” (HRW) über die Vorfälle wurde kürzlich veröffentlicht, fand bisher aber kaum Widerhall in westlichen Medien. Womöglich liegt das daran, dass die Aufmerksamkeit für Themen aus der Region derzeit stärker dem Kampf der Kurden in der nordwestsyrischen Region Afrin gegen die türkische Invasion gilt. Die Vorwürfe, die HRW erhebt, richten sich allerdings ausdrücklich nicht gegen syrische, sondern gegen irakische Kurden. Dies zu unterscheiden ist auch deshalb wichtig, weil insbesondere die Kurden in Afrin, vor allem die Kämpfer der dortigen „Volksschutzeinheiten” (YPG), seit Jahren in einem schlechten Verhältnis zu den kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak stehen.

Die meisten Peschmerga orientierten sich bis vor kurzem an Massud Barzani, dem lange Zeit mächtigsten Mann in Irakisch-Kurdistan, der wiederum bis ungefähr Mitte vergangenen Jahres politisch eng mit dem türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan verbunden war. Für die YPG dagegen ist der in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilte Führer der kurdischen Terrororganisation PKK, AbdulIah Öcalan, das Vorbild. Öcalan und die PKK sowie Barzani und die Peschmerga standen nicht nur machtpolitisch gegeneinander, sondern entstammen auch ideologisch gegensätzlichen Welten. Schon deshalb trauten sich Peschmerga und YPG-Kämpfer bisher kaum über den Weg.

Während die Menschenrechtsorganisationen den kurdischen „Volksschutzeinheiten” in Syrien bisher zwar einzelne Menschenrechtsverletzungen, nicht aber systematische Kriegsverbrechen vorgeworfen haben, ist das bei den bewaffneten Kräften der irakischen Kurden anders. Laut HRW haben kurdische Sicherheitskräfte im Irak zwischen Juli und Anfang September 2017 gefangene arabische Kämpfer, von denen viele zuvor mutmaßlich für die Terrorbande „Islamischer Staat” (IS) gekämpft hatten, erschossen und in Massengräbern verscharrt. Von möglicherweise „mehreren hundert” Opfern ist die Rede. Im Zentrum der Vorwürfe stehen die Asayisch, die Polizei- und Geheimdiensteinheiten der Kurden.

HRW stützt sich auf Fotos, Videos, Aus, sagen von Dorfbewohnern in der Nähe der mutmaßlichen Tatorte, den Bericht eines Informanten aus dem Umkreis der Sicherheitskräfte, Satellitenbilder sowie mehrere Untersuchungen von Massengräbern.

Hinzu kommen Prahlereien mutmaßlicher Täter selbst, die sich in sozialen Netzwerken mit ihren Taten brüsteten. Die Massaker ereigneten sich demnach an mehreren Tatorten in einer Gegend etwa 70 Kilometer nordwestlich von Mossul. Einer der Zeugen ist gemäß Darstellung von HRW ein früherer Angehöriger der kurdischen Sicherheitskräfte, der sich an die Organisation gewandt hatte. Er ergänzte seine Schilderungen durch Foto- und Videomaterial. Die Authentizität dieser Bilder sei durch technische Expertisen und Besuche an einigen Tatorten bestätigt worden, wird in dem Bericht versichert. So sei eine Gruppe der Opfer —etwa 100 bis 150 Mann — am Abend des 30. August 2017 in einen „großen Kühllastwagen” geladen und bei Minustemperaturen im Innern des Laderaums stundenlang umhergefahren worden. Diejenigen, die bei der Ankunft an der Exekutionsstätte noch nicht erstickt oder erfroren waren, seien erschossen worden, heißt es in dem Bericht weiter. Einer der Täter hat sich laut HRW auf Twitter damit gebrüstet, dass 375 gefangene IS-Kämpfer getötet worden seien. Auf einem anderen Twitter-Konto eines mutmaßlichen Täters sei diese Zahl bestätigt worden. Fotos eines Nutzers zeigten einen weißen Lastwagen und einen Leichenhaufen darunter. Ein weiterer Tweet zeigt einen Mann in Uniform mit unkenntlich gemachtem Gesicht vor einem Leichenhaufen, der aus Opfern desselben Verbrechens bestehen soll.

Als sich HRW mit diesen Indizien an die Behörden der kurdischen Regionalregierung in Erbil wandte, wurde der Organisation mitgeteilt, niemand habe Gefangene exekutiert. Vielmehr hätten Peschmerga gegen den IS gekämpft, wobei viele IS-Terroristen getötet worden seien. Die Massengräber seien „wahrscheinlich” für im Kampf getötete IS-Kämpfer angelegt worden, so die offizielle Antwort. Das erinnert an die Behauptungen, die man bis heute von serbischen Nation listen und ihren Fürsprechern zur Erkl rung des Massakers von Srebrenica in Bo nien-Hercegovina 1995 hören kann. D’ Toten in den Massengräbern, hieß un heißt es oft, seien nicht zivile Opfer, son dem im Kampf gefallene bosnisch-musli mische Glaubenskrieger. Doch wenn Darstellung von HRW zutrifft, dann fäll 2018 im Irak wiederum auf, was schon i den neunziger Jahren bei der Öffnun: von Massengräbern in der Umgebung von Srebrenica solchen Deutungen entgegenstand: Im Kampf Gefallene können schwerlich alle durch einen exakten Kopf-schuss getötet worden sein.

Die Autoren von HRW interviewten nach eigener Darstellung auch Dutzende irakisch-arabische Familien, die angaben, ihre männlichen Angehörigen nicht mehr gesehen zu haben, seit diese von Peschmerga oder Asayisch festgenommen wurden.

Fälle von „verschwundenen” Häftlingen in Peschmerga-Gewahrsam hatte HRW schon Ende 2017 berichtet. Als weiteres Indiz für die Massaker wird die Auswertung von Satellitenbildern angeführt, die auf die Anlage von Massengräbern genau im mutmaßlichen Tatzeitraum hindeuteten. Die Menschenrechtsorganisation fordert die Behörden der kurdischen Autonomieregion nun auf, die Vorwürfe zu untersuchen und etwaige Täter „bis zur höchsten Verantwortungsebene” zur Rechenschaft zu ziehen.

Für die Kurden im Irak sind die Vorwürfe auch deshalb sehr ernst, weil eine glaubwürdige Achtung der Menschenrechte ein wichtiger Teil ihres politischen Kapitals ist, mit dem sie sich von der Umgebung abgrenzen wollen, um die Unterstützung der Staatengemeinschaft und die Sympathie der internationalen Öffentlichkeit zu gewinnen. Mangelt es nun auch noch an Aufklärung, könnten Berichte wie der von HRW für die Führung der Kurden im Irak einen herben Rückschlag solcher Bemühungen bedeuten.

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