MESOP NEWS DEBATTE : DER ISLAM IST POLITISCH RECHTER ALS DIE AfD – Samuel Schirmbeck

Samuel Schirmbeck: Zum Linkssein gehört es, den Islam zu kritisieren

„Der Islam ist rechter als die ganze AfD“
Von Marcel Leubecher | Veröffentlicht am 04.10.2017 | Jeder Linke sollte islamkritisch sein, sagt Filmemacher Samuel Schirmbeck. Er kritisiert die weit verbreitete Dritte-Welt-Romantik vom nichtkapitalistischen Edlen, an dessen Elend die Europäer schuld sein sollen.

Samuel Schirmbeck war zehn Jahre lang Korrespondent für die ARD in Algerien, Tunesien und Marokko. In seinem Buch „Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen: Warum wir eine selbstbewusste Islamkritik brauchen“ beschreibt er den Kampf von Intellektuellen der islamischen Welt gegen religiösen Fanatismus, der Gesellschaften verwüstet, aber eine Islamkritik hervorgebracht hat, die er auch in Europa vermisst.

DIE WELT: Herr Schirmbeck, Sie verorten sich links und stören sich am Islam, warum ist das so?

Samuel Schirmbeck: Ich bin links und störe mich am Islam, weil der Islam rechter ist als die ganze AfD und von einer reaktionären Wirkungsmächtigkeit, gegen die der Rechtspopulismus ein Klacks ist. Wenn Sie die Einstellungen der meisten ostentativ gläubigen Muslime zum Minderheitenschutz, Frauenrechten, Gewissensfreiheit und Selbstkritik summieren, kommt etwas ganz Rechtes dabei heraus. Die logische Folge des Linksseins ist die Islamkritik.
Nur die Linken und Grünen sind blind auf diesem Auge. Ohne diese skandalöse Islamverharmlosung der Linken hätte es den Aufstieg der AfD nicht gegeben, deren Führung brandgefährlich ist und den Islam in einer die Muslime als Menschen beleidigenden Weise kritisiert, die den Fundamentalisten noch Auftrieb gibt.

DIE WELT: Warum kritisieren Sie den Islam und nicht nur den Islamismus?

Schirmbeck: Ich nenne es bewusst Islamkritik, weil der Islamismus die Aktivierung der im Islam selbst ruhenden Gewalt ist – um das zu erkennen genügt eine Lektüre des Koran. Der Islamismus ist inhärenter Teil des Islam, weswegen ich diese strenge Islam-Islamismus-Trennung für eine bewusste öffentliche Irreführung halte.
So sieht es auch die gesamte muslimische Aufklärung. Wir sollten es ernst nehmen, wenn Yahya Staquf, Präsident der größten Muslimvereinigung Indonesiens, des größten muslimischen Landes, den politischen Führern Europas zuruft: Hört auf damit, den Leuten immer zu erzählen, der Islam habe nichts mit dem Islamismus zu tun, das ist ein unglaublich gefährliches Spiel, das ihr da treibt, und die Konsequenzen werdet ihr noch bedauern.

DIE WELT: An der Auffassung, Gewalt durch Islamisten habe nichts mit dem Islam zu tun, halten doch nur noch wenige fest. Stattdessen wächst die pauschale Ablehnung des gesamten Islam.

Schirmbeck: Die Deutschen sind mehrheitlich nicht islamophob, sondern gewaltophob, fanatophob, intolerantophob, mysoginophob und homophobophob. Wir haben die fremdenfreundlichste Gesellschaft Mitteleuropas.
Es ist nicht das Fremde, das Deutsche am Islam stört, sondern das allzu Bekannte, das sie aus der Vergangenheit ihres Landes kennen. Die meisten Leute schätzen doch das Zusammenleben mit vielen Menschen aus anderen Kulturen. Wenn es nach mir geht, kann Deutschland auch noch fünf Millionen mehr Ausländer verkraften. Wenn unter uns deutschen Besorgtgesichtern frohere Varianten ins Spiel kommen, tut uns das gut.

Das Kopftuch trägt dazu aber nicht bei. Ich habe in meinen zehn Jahren in Nordafrika erlebt, wie Islamisten sich verhalten, wenn sie in der Mehrheit sind, und sei es erst einmal nur lokal. Ich habe beobachtet, wie ein relativ tolerantes Land wie Algerien, das multikulturell war, die himmlische Hausordnung des Islam aufgedrückt bekam, wie es der ehemalige Großmufti von Marseille beschrieben hat. Ich weiß, wie bleischwer sich eine Gesellschaft anfühlt, in der nur noch haram und halal gilt.

DIE WELT: Was hat das mit unserer Gesellschaft zu tun?

Schirmbeck: Auch bei uns nehmen Kopftücher und Verhüllung zu, werden zunehmend Gebetsräume außerhalb der Moscheen gefordert, in Schulen, Unternehmen und Universitäten. Man versammelt sich zum Protestbeten im Freien, wenn der Forderung nicht nachgegeben wird. Frauen wird der Handschlag verweigert. Viele haben begründet Angst vor zu harter Kritik an Mohammed, weil das böse Folgen haben könnte: Genauso hat es im Maghreb angefangen. Wenn man dem Fundamentalismus innerhalb des Islam keine rechtlichen Grenzen setzt, erleben wir hier ähnliche Zustände.

DIE WELT: Haben Sie persönlich Angst vor Angriffen?

Schirmbeck: Habe ich schon, einige meiner Freunde wurden in Algerien erschossen, wir mussten uns teilweise mit Äxten verbarrikadieren, manche Dinge in meinem Buch „Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen: Warum wir eine selbstbewusste Islamkritik brauchen“ habe ich auf Anraten meiner Familie nicht so deutlich geschrieben wie vorgesehen. In Algier habe ich Todesdrohungen unter der Tür durchgeschoben bekommen oder morgens Anrufe: „You are killed today.“ Gleich nach meiner Rückkehr nach Frankfurt hat mir jemand in den Briefkasten einen Zettel geworfen: „Not East Not West Islamic Is The Best.“

DIE WELT: Wurde es in Deutschland auch schon einmal gefährlich?

Schirmbeck: Nein, ich habe einen entscheidenden Vorteil gegenüber meinen Freunden wie Hamed Abdel-Samad: Ich war nie Muslim, kann also auch nicht vom Islam abfallen, darauf steht nämlich laut Koran der Tod. Neben den Islamisten macht mir auch ein Teil der Antifa Angst, der mich für einen Rechten hält.

DIE WELT: Die werfen Ihnen vor, dass Ihr Blick auf den Islam den Rechten nutzt.

Schirmbeck: Tut mir Leid, ich kann es nicht nachvollziehen, dass eine Kundgebung von 100 AfD-Leuten in Mecklenburg die Linke mehr erregt, als wenn in Paris 100 Leute von Islamisten erschossen werden.
Stellen Sie sich mal vor, wie ein Heiko Maas reagiert hätte, wenn die Täter von Paris oder Berlin als Le-Pen-Anhänger oder von Pegida identifiziert worden wären! Wie deutlich er Hass, Ressentiment und Feindschaft gegen Andersdenkende als Motive solcher Taten identifiziert hätte! Wie sehr der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm dann die passenden Worte gefunden hätte. Angesichts von Opfern von rechtsradikaler Gewalt ist Empörung in Politik und linken Milieus zu spüren, angesichts der Opfer islamradikaler Gewalt nicht.
In einem Fall haben die Taten mit dem Gedankengut der Rechten zu tun, im anderen Fall aber haben sie mit dem Gedankengut des Islam nichts zu tun.
Ich verstehe nicht, dass viele „Von-gestern-Linke“ vor dem Islam kuschen, was hat ein Voltaire damals gekämpft gegen die Kräfte der Unfreiheit.

Es gibt immer noch diese überholte Dritte-Welt-Romantik, dieses Bild der nichtkapitalistischen Edlen, an dessen Elend vor allem die Europäer schuld seien. Es ist eine unbewusste Omnipotenzfantasie in der Linken, dass wir alle Geschicke dieser Welt in der Hand haben.

Der Islam ist in dieser Perspektive die Religion der Unterdrückten und ein Verbündeter gegen den Kapitalismus. Es gibt eine marokkanische Bloggerin, die uns vorwirft: Euer Kolonialismusproblem wird echt zu einem Problem für uns. Aus eurem Schuldbewusstsein heraus meint ihr, den Obskurantismus unterstützen zu müssen, weil ihr das für unsere authentische Lebensart haltet.

DIE WELT: Wieso konnte der Islamismus sich dort so stark ausbreiten?

Schirmbeck: Der Islamismus ist eine Reaktion auf die Begegnung mit der Aufklärung. Das auf den Menschen ausgerichtete Weltbild verstört viele Muslime, und sie wollen sich gegen den Zusammenbruch ihres Weltbildes zur Wehr setzen.
Noch heute gilt, was der junge Ägypter Rifa’a at-Tahtawi vor fast 200 Jahren in „L’Or de Paris“ geschrieben hat:
Er lobt und preist die Freiheiten Frankreichs, wie weit sie in der Technik sind, wie groß ihre Philosophie ist, wie gerecht sie die Macht verteilen, dass sie ihre Frauen wie Kinder verwöhnen. Und dann kommt es: Zu ihren scheußlichsten philosophischen Ansichten aber gehöre ihre Trennung von Gott.
Und diese macht dieser Tahtawi, der ein Befürworter der Aufklärung ist, nicht mit. Da hört es auf. Deshalb halten Muslime sich dieser ganzen Welt, so fortschrittlich und wohlhabend sie auch sein mag, moralisch für überlegen – im Grunde bis heute.

DIE WELT: Teilen Sie die Hoffnung, dass die Diaspora in Europa den Islam der Herkunftsstaaten freiheitlich beeinflusst?

Schirmbeck: Nein, denn hier können fundamentalistische Muslime ihre Religion voll entfalten, ohne die Folgen wie eine darbende Wirtschaft und Konflikte tragen zu müssen. Das kann sogar dazu führen, dass der Islamismus sich hier noch stärker entfalten kann als in den Herkunftsländern.
Um dem Argument der „Verwestlichung“ zu begegnen, muss man die Muslime dringendst daran erinnern, was sie selbst für einen kulturellen Reichtum haben, dass es auch eine muslimische Aufklärung gab und gibt, dass sie sich nicht vom Westen „belehren“ lassen müssen, um weiterzukommen.

Nicht nur der große muslimische Denker des 12. Jahrhunderts Averroës begriff die Philosophie als Möglichkeit, die Schöpfung Gottes besser zu begreifen. Der Dichter Abu Nuwas schrieb vor 1200 Jahren: „Stell den Weinkrug ab und öffne das Buch“, also den Koran, „trinke dreimal und rezitiere. So mischt dem Bösen sich das Gute, und da Allah vergibt, gewinnt derjenige, der weiß, dass dieses jenes auslöscht.“
Lesen Sie das doch mal heute in einer Klasse mit mehrheitlich muslimischen Schülern vor, da werden Sie angegriffen. Diese Vermischung von Koran und Wein, das wäre heute haram.

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