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Spanien schob kurdische Familie in den Iran ab

Der Familienvater, der an Demonstrationen nach dem Tod Mahsa Aminis teilgenommen hatte, seine Frau und und sein Kind durften den Flughafen Barcelona nie verlassen. Bericht aus Madrid

Reiner Wandler DER STANDARDWIEN 15. September 2023, 14:44

 

Es nützte alles nichts. Weder die Proteste der Präsidentin des katalanischen Autonomieparlaments noch ein Eilantrag der Anwälte von Mohamed Rahmatinia bei der spanischen Audiencia Nacional, seinen Asylantrag erneut zu überprüfen und eine drohende Abschiebung auszusetzen. Die spanische Regierung ließ den 26-jährigen kurdischen Aktivisten aus dem Iran sowie seine schwangere Frau Zeinab und den sieben Jahre alten Sohn am Freitag zwangsdeportieren. Die Familie wurde um 9.30 Uhr gezwungen, ein Flugzeug von Barcelona nach Teheran zu besteigen.

Auch in Barcelona, dessen Flughafen die iranische Familie nie verlassen durfte, wurde Mahsa Aminis gedacht.

“Es bestehen gute Gründe, um seine Sicherheit zu fürchten”, erklärte die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Anna Erra, am Donnerstag in einem Schreiben an den spanischen Innenminister, den Sozialisten Fernando Grande-Marlaska. Dieser reagierte nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rahmatinia jetzt bei seiner Ankunft sofort verhaftet und eingesperrt wird, sind groß.

Rahmatinia, der nach einer Verurteilung zu 15 Jahren Haft auf Bewährung frei ist, gehört der Demokratischen Partei Kurdistan Iran (DPK-I) an. Er habe unter anderem, so seine Angaben in einem Telefoninterview, das das baskische Nachrichtenportal “Naiz” mit ihm führen konnte, Peschmergas – kurdischen Kämpfern – dabei geholfen, die irakisch-iranische Grenze zu überqueren, um im iranischen Teil Kurdistans Propagandaaktionen abzuhalten. Außerdem habe er an mehreren Protestaktionen der Bewegung teilgenommen, die im Iran entstand, nachdem die junge Kurdin Mahsa Amini am vergangenen 16. September in Polizeigewahrsam verstarb, nachdem sie wegen eines schlecht sitzenden Kopftuchs verhaftet worden war.

Flucht nach Barcelona

Aminis Tod löste eine in der Geschichte der Islamischen Republik einzigartige Protestwelle aus, die sich unter dem Motto “Frau, Leben und Freiheit” über das ganze Land ausbreitete. Das Regime reagierte mit brutaler Repression auf die Bewegung gegen das Tragen des Schleiers. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass mehr als 600 Menschen ihr Leben verloren haben und tausende festgenommen und gefoltert wurden. Mehrere Demonstranten wurden zum Tode verurteil und hingerichtet.

Ende August wurden schließlich auch Mohamed Rahmatinias Schwiegereltern von Revolutionsgardisten aufgesucht. Die islamistischen Paramilitärs fragten nach ihm. Rahmatinia floh mit Frau und Sohn mit falschen Papieren und kam am 2. September auf dem Flughafen Prat in Barcelona an. Er stellte sofort einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Die junge Familie durfte zu keinem Zeitpunkt den Flughafen verlassen.

Gescheiterter Versuch

Es ist nicht das erste Mal, dass Rahmatinia und seine Frau Zeinab versuchten, in die Europäische Union zu gelangen. 2021 gelangten sie vom Iran in die Türkei, von dort nach Serbien und anschließend nach Rumänien. Ihr Ziel war Deutschland. “Wir zogen 50 Tage umher und wurden schließlich von Rumänien aus abgeschoben”, erklärt Rahmatinia in besagtem Telefoninterview. Rahmatinia wurde sofort verhaftet und wenige Monate später zu 15 Jahren Haft verurteilt. Davon saß er sechs Monate ab, seither ist er auf Bewährung frei.

Jetzt drohen ihm, so befürchtet sein Anwalt Jordi Naya, erneut Haft und Misshandlung. “Politische Asylwerber können oft keine Beweise für ihre gefährliche Situation im Herkunftsland vorlegen, aber die Verurteilung von Mohamed und seine jüngsten Aktivitäten des zivilen Ungehorsams im Iran sind Grund genug, zumindest den Antrag zuzulassen”, sagt Naya. Er hatte alles versucht, um eine einstweilige Verfügung gegen die Abschiebung zu erreichen. Vergebens. (Reiner Wandler aus Madrid, 15.9.2023)