MESOP MIDEAST WATCH: KURDS ON THE FORE-FRONT ! DEMONSTRATIONEN – Irans Regime reagiert zunehmend nervös auf Proteste

Der Uno-Menschenrechtsrat stimmt für eine unabhängige Untersuchung der Gewalt im Iran. Teheran beschuldigt “Feinde” von außen, sucht aber nach internen Vermittlern – Gudrun Harrer DER STANDARD WIEN – 26. November 2022

Die Zahl der Toten im Iran steigt, die Menschen lassen sich durch die Gewalt des Regimes nicht von den Straßen vertreiben. Aber auch die internationale Empörung wächst – und die Nervosität in Teheran, auch wenn weiter beteuert wird, dass die seit 16. September laufenden Proteste zu schwach sind, um dem Staat gefährlich zu werden. Der Einsatz von Sicherheitskräften, der besonders in Kurdistan und anderen Grenzgebieten immer brutaler wird, beweist das Gegenteil. Um einen Keil zwischen die Provinzen und das Zentrum zu treiben, bemüht das Regime den Kampf gegen “Separatisten”.

Freitag ist immer kritisch

Der Freitag – an dem gläubige Menschen in der islamischen Welt in die Moschee gehen – ist ein besonders kritischer Tag für die Protestwelle im Iran. Keineswegs hat sie nur jene Teile der Bevölkerung umfasst, die die Religion völlig aus ihrem Alltag verdrängen wollen. In den mehrheitlich sunnitischen Gebieten im Westen, im Südwesten und im Südosten ist der Widerstand gegen das Regime der Islamischen Republik sogar schon eine Angelegenheit der sunnitischen Geistlichkeit.

Aus Kurdistan und Sistan-Belutschistan gibt es Erklärungen, auch in Video-Form, von Ulama (Religionsgelehrten), die sich mit den Demonstranten und Demonstrantinnen solidarisieren und den Familien der Toten kondolieren. Viele schließen sich der Forderung des belutschischen sunnitischen Religionsführers Molana Abdolhamid nach einem Referendum an, in dem unter internationaler Aufsicht über das System der Islamischen Republik abgestimmt werden soll. Das berichtet Hessam Habib Doroh, ein österreichischer Iran-Experte.

Westliche Staaten reagieren mit Sanktionen und Verurteilungen, auch auf multilateraler Ebene. Beim Uno-Menschenrechtsrat in Genf stimmten am Donnerstag 25 Mitglieder von 47 für eine Resolution, die eine unabhängige Fact-Finding-Mission vorsieht. 16 Staaten enthielten sich, und sechs gaben Nein-Stimmen ab: China, Pakistan, Kuba, Eritrea, Venezuela und Armenien.

Genfer Bericht Mitte 2023

Dass der Entschluss durchging, ist ein Signal an Teheran, aber nützen wird es den Menschen im Iran akut nichts. Der Bericht der Kommission, deren Mission nach jetzigem Stand an der Nichtkooperation des Iran scheitern wird, ist für Mitte 2023 vorgesehen.

Das iranische Regime reagiert empört, in den Hardline-Medien wird zum “Ende der Zurückhaltung” aufgerufen – aber es gibt auch unverkennbare Zeichen der Nervosität. Die Linie ist nach wie vor, dass einerseits “Feinde” des Iran aktiv die Unruhen anstacheln und anführen und dass sich andere Menschen dazu verführen ließen, die aber keine Verbrechen verüben wollten.

Es gibt Hinweise, dass das Regime versucht, “Reformer” – die während der letzten Jahre geächtet waren – zur Beruhigung der Lage einzusetzen. Das ist mit Gewissheit nicht allen Hardlinern recht. Über eine Spaltung innerhalb der Revolutionsgarden (IRGC) wird immer wieder spekuliert – und darüber, dass es letztlich auch zu einem internen Putsch kommen könnte, wenn die Führung die Situation nicht in den Griff bekommt.

Ausgerechnet in einem Blatt der IRGC wird Ex-Präsident Mohammed Khatami (1997–2005) als “prominent und einflussreich” bezeichnet. Offiziellen Besuchern, unter anderem aus Österreich, die Khatami in den letzten Jahren sehen wollten, wurde stets der Zugang zu ihm verwehrt. Von der Regimewarte aus gesehen hatte er, wenn auch viel weniger laut als andere, die Proteste gegen die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinejad 2009 unterstützt und war aus der Öffentlichkeit verbannt.

Fragwürdiger Vermittler

Khatami tauchte vor gut zehn Tagen aus der Versenkung auf und ermahnte die Protestierenden, dass ihre Forderungen, die Islamische Republik zu stürzen, weder möglich noch gut seien. Weil er dachte, als Präsident das System von innen reformieren zu können, hassen ihn die meisten Regimegegner. Und die Jüngeren im Iran kennen ihn nicht einmal mehr. Zum Vermittler taugt er demnach kaum. Berichte, dass das Regime Kontakt auch zu jenen Mitgliedern der Familie Khomeini und Hashemi Rafsanjani (Expräsident, 2017 verstorben) aufgenommen hat, die ebenfalls durch Kritik der herrschenden Verhältnisse aufgefallen sind, werden dementiert.

Im Bemühen, die Proteste als von außen gesteuert darzustellen, wird in Teheran auch immer wieder auf deren Darstellung in saudischen Medien verwiesen – wo vor einigen Jahren Proteste in den Schiitengebieten brutal niedergeschlagen wurden. Das bilaterale Verhältnis ist jedoch auch zum Irak belastet, wo eigentlich Iran-freundliche Schiiten eine Regierung anführen.

Teheran hat am Donnerstag im Uno-Sicherheitsrat schriftlich dargelegt, dass der Iran vom kurdischen Nordirak aus angegriffen wird. Dort haben sich iranisch-kurdische Oppositionsgruppen angesiedelt, die der Iran mit Drohnen und Raketen angreift. Den Bombardements fallen auch Zivilisten zum Opfer.

Der Chef der iranischen Revolutionsgarden, Esmael Ghaani, besuchte diese Woche Bagdad, wo er damit gedroht haben soll, dass iranische Truppen die Grenze zum Irak überschreiten könnten. Das wird dementiert – und ist außerdem militärisch unwahrscheinlich. Die irakische Regierung versprach, durchgreifen zu wollen, was aber ebenso eine militärische Illusion bleibt.