MESOP MIDEAST WATCH :  Kurdische Selbstverwaltung in Syrien kritisiert Faeser IS-Abschiebeplan

04.09.2024,  Kilian Beck – FRANKFURTER RUNDSCHAU

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will „sehr bald“ Gefährder nach Syrien abschieben. Dort droht auch dadurch ein erneutes Erstarken des „Islamischen Staats“.

Berlin/Ain Issa – Nach dem tödlichen Anschlag von Solingen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigt, dass Gefährder „sehr bald“ aus Deutschland nach Syrien abgeschoben werden. Der mutmaßliche Täter aus Solingen, ein Syrer, bekannte sich zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien hält Tausende ehemalige IS-Kämpfer und ihre Familien fest und kämpft noch immer gegen IS-Zellen. Nun kritisiert eine hochrangige Vertreterin der kurdischen De-facto-Regierung Faesers Abschiebepläne scharf.

Sprecherin der Kurdischen Selbstverwaltung warnt vor Abschiebung in IS-Gefährdern nach Syrien

In einem ausführlichen Interview mit der Plattform Zeit Online warnte Îlham Ehmed, Co-Vorsitzende des Außenministeriums, vor Abschiebungen von IS-Gefährdern nach Syrien. Zu Beginn der syrischen Revolution, die in einen jahrelangen Bürgerkrieg überging, habe Syriens Diktator Baschar al-Assad tausende Islamisten freigelassen. „Sie haben die Revolution zu einer islamistischen gemacht“, sagte Ehmed. Würden Regierungen heute versuchen, islamistische Gefährder an Assads Regime zu übergeben, werde „sich dasselbe Szenario wahrscheinlich wiederholen“, warnte die Politikerin.

Syrien Hauptherkunftsland von Asylsuchenden 2023 – Kurden kämpfen gegen IS und Erdogan

Syrien war 2023 mit 104.000 Asylsuchenden laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das Hauptherkunftsland von Asylsuchenden in Deutschland. Die Grenzen von Syrien sind nicht unüberwindbar. Allein die Rückführung wird die Probleme nicht lösen. Deutschlands Nato-Partner Türkei führt seit Jahren einen Krieg gegen den kurdischen De-facto-Staat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützte seit Beginn des Bürgerkriegs islamistische Kräfte in Syrien.

Täglich meldet die kurdische Nachrichtenagentur ANF Angriffe auf kurdische Sicherheitskräfte. Diese würden meist durch pro-türkische Söldnertruppen oder türkische Drohnen verübt. Mit dem von Russland unterstützten Assad-Regime arbeitet die kurdische Selbstverwaltung gezwungenermaßen zusammen. Gleichzeitig sind immer noch US-Spezialkräfte gegen IS-Zellen in Nordsyrien im Einsatz.

Kurdische und US-Spezialeinheiten nehmen ausgebrochenen IS-Anführer fest

Hauptaufgaben der kurdischen Sicherheitskräfte und ihrer internationalen Partner im Kampf gegen den IS sind die Kontrolle der gefangenen IS-Kämpfer und die Bekämpfung verbliebener IS-Zellen. So wurde laut US-Militärangaben am 1. September eine IS-Zelle von kurdischen und US-Spezialkräften ausgehoben. Ihr Anführer sei erst kürzlich aus einem Gefangenenlager in der ehemaligen De-facto-Hauptstadt des IS, Rakka, geflohen. Unter den Festgenommen seien auch ausländische Islamisten, die aus der Gefangenschaft entkommen waren.

In syrischen Gefängnissen wächst „neue Generation des IS“ heran – Kurdische Politikerin warnt Faeser

Die tausenden IS-Kämpfer in kurdischer Gefangenschaft seien „wortwörtlich eine eingesperrte IS-Armee“, die weiterhin gefährlich sei, kommentierte der verantwortliche US-General die Festnahme. Und diese Armee besteht bereits zum Teil aus Islamisten aus Europa. Man habe es zwar versucht, die ausländischen IS-Terroristen zurück nach Europa abzuschieben, erklärte Ehmed. Doch die meisten westlichen Regierungen würden sich weigern, ihre Staatsbürger zurückzuholen. Das sei gefährlich, denn in den Gefangenenlagern wachse gerade die „neue Generation des IS“ heran.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam die Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bereits 2020. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Verhältnisse, in einigen Internierungslagern bereits mehrfach als menschenunwürdig.

Deutschland weigert sich bisher, mit einigen Ausnahmen weitgehend, deutsche IS-Kämpfer aus den Internierungslagern zurückzuholen. Aus der leidvollen Erfahrung mit dem IS, warnte die kurdische Politikerin ihre europäischen Kollegen davor, zu glauben, dass sich mit Abschiebungen Sicherheit schaffen lasse: „Die Grenzen von Syrien sind nicht unüberwindbar. Allein die Rückführung wird die Probleme nicht lösen“. Stattdessen brauche es Unterstützung bei Deradikalisierungsmaßnahmen. (kb)