MESOP MIDEAST WATCH: Exekution eines Demonstranten : Iranische Geistliche kritisieren Hinrichtung
- Von Rainer Hermann FAZ t am 12.12.2022-Hält das Todesurteil für nicht gerechtfertigt: Ajatollah Morteza Moghtadai, früher Präsident des iranischen Gerichtshofs
Das iranische Regime begründet die Exekution eines zweiten Demonstranten mit dem Straftatbestand „Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung“. Prominente schiitische Gelehrte widersprechen.
Die zweite Hinrichtung eines Demonstranten hat auch unter führenden Geistlichen in Iran heftige Kritik ausgelöst. Der ehemalige Präsident des Gerichtshofs Ajatollah Morteza Moghtadai sagte, ein Todesurteil setze einen Mord voraus. Das sei bei dem am Montag Hingerichteten nicht der Fall.
Ajatollah Mohammad-Ali Ayazi, der wie Moghtadai am theologischen Seminar in Ghom unterrichtet, widersprach der Auffassung, dass es sich bei den aktuellen Protesten um einen „Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung“ (moharabeh) handle, wie es die Führung der Islamischen Republik behauptet. Für diesen Straftatbestand sieht das iranische Recht die Todesstrafe vor. Vielmehr hätten die Demonstranten für ihre Rechte protestiert, die Sicherheitskräfte hätten sie aber an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert.
Besorgt über die Entwicklungen in Iran äußerte sich der einflussreichste schiitische Theologe der Gegenwart, der im irakischen Nadschaf residierende Großajatollah Ali Sistani. Er kritisierte, wie die schiitischen Geistlichen Irans ihre Macht ausüben, und sagte: „Ich habe sie bei verschiedenen Anlässen angesprochen, fand jedoch kein Gehör.“
Folter durch das Regime
Der in Paris lebende schiitische Reformgeistliche Mohsen Kadivar zeigte sich davon überzeugt, dass die Hinrichtungen auf direkte Anweisung von Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei erfolgt seien. Die Kritik am Umgang mit den Protesten nimmt auch innerhalb der Teheraner Führung zu. Parlamentspräsident Mohammad-Bagher Ghalibaf sagte, die Islamische Republik sei nicht mehr in der Lage, bestimmte Probleme zu lösen. Werde ein Problem gelöst, sei es zu spät und wertlos.
Der 23 Jahre alte Obsthändler Madschid-Reza Rahnavard wurde am Montag vor Sonnenaufgang in Maschhad unter starker Polizeipräsenz öffentlich gehängt und umgehend beerdigt. Er soll mit einem Messer Bassidsch-Milizionäre angegriffen und zwei von ihnen getötet haben. Die Staatsmedien strahlten das „Geständnis“ des offenbar schwer gefolterten jungen Mannes aus. Der iranische Journalist Masoud Kazemi hatte dessen Geschichte rekonstruiert und war zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Der Teheraner Rechtsprofessor Mohsen Borhani bemerkte, von dem Geschehen am 17. November seien keine Aufnahmen gezeigt worden. Es sei auch nicht bekannt, welche Waffe die Bassidschis mit sich getragen hätten und wie sie auf Rahnavard losgegangen seien. Die Bassidsch hatten vor ihren Übergriffen in der Straße alle Überwachungskameras abmontiert.