MESOP : DAS GELD IST JÜDISCH ! – SCHAFFT ES AB !

SCHWUNDGELD & SCHRUMPFGELD / DIE EZB ERWÄGT DIE THEORIE DES ESOTERIKERS & GLÜHENDEN ANTISEMITEN SILVIO GESELL

Auf den deutsch-argentinischen Kaufmann und Sozialreformer Silvio Gesell geht eine Geldtheorie zurück, die den meisten seiner Zeitgenossen bizarr vorkam und bis vor kurzem nur von wenigen Querdenkern geschätzt wurde. Seit die Notenbanken aber mit Negativzinsen flirten, wird wieder an Silvio Gesells Ideen erinnert, dessen Hauptwerk vor genau hundert Jahren erschien.

Gesell wollte die Macht des Geldes brechen, die er als Wurzel allen Übels der Menschheit ansah. Um mit seinem Plan erfolgreich zu sein, propagierte er ein Papiergeld, das kontinuierlich Wert verlieren sollte. Er nannte es „rostendes Geld”. Wenn Geld seinen Wert behält, würden die Leute zum Horten verleitet. Das bewirke Stockungen des Wirtschaftskreislaufs, Krisen und sogar Kriege. Nur wenn das Geld ständig an Wert verliert, geben die Leute es aus und heizen so die Konsum und die Produktion an.

All diese Ideen entwickelte Gesell als Autodidakt. Geboren 1862 als siebtes von neun Kindern eines kleinen Steuerbeamten in einem Eifelstädtchen, erlebte er Armut am eigenen Leib. Das Geld reichte vorn und hinten nicht. Gesell absolvierte eine Kaufmannslehre und ging für zwei Jahre nach Malaga in Spanien. 1887 wanderte er nach Argentinien aus. In Buenos Aires eröffnete er ein Importhandelsunternehmen, das medizinische Güter wie Verbände und Gehhilfen verkaufte. Die „Casa Gesell” florierte, er wurde ein wohlhabender Mann. In den 1890er Jahren jedoch geriet Argentinien in eine Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit und einer leichten Deflation.

Der Kaufmann begann, über wirtschaftliche Fragen zu grübeln, und schrieb erste Artikel gegen die Goldwährung. 1902 zog er in die Schweiz, wo er sich einen einsamen Bauernhof kaufte. Von dort ver-schickte er seine Schriften, fand aber nur wenig Verständnis bei seinen Zeitgenossen, wie sein Biograph Werner Onken notierte. Drei Jahre lang gab er eine Zeitschrift heraus, die nur drei Abonnenten gewann. Gesell muss ein wunderlicher Kauz gewesen sein, ein besessener Schreiber und eifriger Leser, der sich für Ökonomie, Philosophie und Theologie interessierte. Er habe vom Schicksal „die Bürde der Wahrheit” auferlegt bekommen, sagte er. Auch sehr sonderbare Thesen vertrat er mit Eifer, etwa dass Moses und die Israeliten Schießpulver und Sprengstoff gekannt hätten, wie er dem Alten Testament entnahm (Wie sonst seien der brennender Dornbusch oder die einstürzenden Mauern von Jericho zu erklären?).

Gesell, der sich an Pierre-Joseph Proudhon, einem anarchistischen Sozialisten, orientierte, war kein Staatsinterventionist. Er war zwar Antikapitalist, aber für eine Marktwirtschaft, die erst nach der von ihm propagierten Geldreform wirklich funktioniere. 1911 siedelte der Naturfreund in die Obstgenossenschaft „Eden” nahe Berlin. 1916 gab er sein Hauptwerk „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld” heraus. Eine Bodenreform war nämlich unver-zichtbares Pendant zum Schrumpfgeld. Denn wenn das Geld an Wert verliert, wäre eine Flucht in Sachwerte, vor allem Grundbesitz, absehbar. Daher sollte der Boden verstaatlicht werden.

Nur einmal in seinem Leben kam Gesell in die Nähe der politischen Macht. 1919 in der Münchner Räte-Republik . Er wurde eingeladen, als ihr Finanzminister („Volksbeauftragter für das Finanzwesen”) zu fungieren. Nach nur einer Woche war er das Amt wieder los, als die anarchistische Räteregierung von einer kommunistischen Räteherrschaft abgelöst wurde. Später klagte ihn die bayerische SPD-Regierung des Hochverrats an. Er hatte Glück und entkam einer Verurteilung. Vergeblich bemühte er sich um die Verbreitung seiner Theorien und seiner Zins-Kritik (die zum Teil Bezugsspunkte zu den Anti-Zins-Tiraden der Nazi-Ideologen hatte). 1930 starb er in der Gartenkolonie Eden.

Nur wenige haben Gesells Theorien ernst genommen. In Keynes’ „General Theory” findet sich eine anerkennende Bemerkung über ihn, der amerikanische Ökonom Irving Fisher hat ihn hoch geschätzt. Während der Großen Depression der frühen dreißiger Jahre gab es lokale Experimente mit „Schwundgeld”, etwa im Tiroler Örtchen Wörgl und in der bayerischen Gemeinde Schwanenkirchen. Dort wurden Geldscheine mit Verfallsdatum ausgegeben. Nur mit einer monatlichen Steuer in Form einer kostenpflichtige Wertmarke waren die Scheine gültig. Auf Druck der Notenbank wurden die Experimente abgebrochen.

In jüngerer Zeit, seit Ausbruch der globalen Finanzkrise, haben sich aber einige Ökonomen auf Gesell besonnen. Plötzlich erscheint er interessant, als es um die praktische Umsetzung von Negativzinsen der Notenbanken geht. Normalerweise gibt es für Leitzinsen die Nullzinsgrenze, denn bei Negativzinsen weichen Menschen auf Bargeld aus. Für jene, die gerne Negativzinsen durchsetzen wollen, wäre Schrumpf-Bargeld verlockend. EZB-Direktor Benoit Cceur6 erwähnte Gesell vor einiger Zeit in einer Rede als frühen Vordenker von Negativzinsen und einer „Besteuerung des Geldes”. Und ein aktuelles Papier des Internationalen Währungs-fonds (IWF) nennt ihn ebenfalls Dort wird auf vierzig Seiten konkret beschrieben, warum und wie Staaten das Papiergeld kontinuierlich abwerten können, um Negativzinsen möglich zu machen.

PHILIP PLICKERT – FAZ 7 März 2016 – Wirtschaft – www.mesop.de