MESOP CULTURE: DIE LINKE IN DER NEUEN RECHTEN / FRANK BÖCKELMANNS MAGAZIN „TUMULT“

LANDNAHME IM BODENLOSEN VON MAGNUS KLAUE

Aus Unbehagen über die Flüchtlingspolitik ist die linke Zeitschrift „Tumult” zur Avantgarde der Neuen Rechten geworden. Dem Affekt gegen den Kosmopolitismus ist sie treu geblieben.

Die Weltgeschichte lehrt, daß es den Völkern abträglich ist, wenn sie ihr Territorium im weitesten Sinne verlassen oder wenn es ihnen durch Unterjochung oder Vertreibung genommen wird. Dieser ethnologische Regelsatz lässt keine Ausnahme zu.”

Das Diktum, mit dem die Frühjahrsausgabe von „Tumult”, der „Vierteljahresschrift für Konsensstörung”, eröffnet wird, stammt von dem Publizisten Hans-Dietrich Sander, dessen Biographie emblematisch für den “Kulturkampf” gegen „Bodenlosigkeit” ist, zu dem Herausgeber Frank Böckelmann im Editorial des gleichen Heftes aufruft.

In den frühen fünfziger Jahren verstand sich Sander, damals Student an der Freien Universität Berlin (FU), als Kommunist. Als ihm wegen seiner politischen Überzeugung das Stipendium entzogen wurde, ging er nach OstBerlin, wo er für die Zeitschrift „Theater der Zeit” arbeitete. Vom sozialistischen Alltag enttäuscht, kehrte er 1957 in die Bundesrepublik zurück und empfand sich nun als Gegner beider politischer Systeme. 1969 wurde er mit einer Arbeit über “Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie” bei Hans-Joachim Schoeps promoviert, einem in Erlangen lehrenden deutsch-jüdischen Religionshistoriker, der während der Weimarer Republik der Konservativen Revolution nahegestanden hatte. Sander hatte auch Kontakt mit Jacob Taubes, der 1966 an der FU einen Lehrstuhl für Judaistik erhielt und in den Siebzigern zur Popularisierung des Poststrukturalismus in der Bundesrepublik beitrug.

Taubes, Sohn eines 1936 mit der Familie aus Österreich in die Schweiz ausgewanderten Rabbiners, hatte dort früh die Nähe zu Armin Mohler, dem späteren Privatsekretär Ernst Jüngers, gesucht und war ein Bewunderer von Carl Schmitt. Die Versuche, Walter Benjamin und Schmitt als geistesverwandte Avantgardisten der Zwischenkriegszeit darzustellen, wie sie heute Giorgio Agamben unternimmt, gehen auf Taubes zurück. Dessen Bemühung, einen politischen Radikalismus zu denken, der sich dem tradierten Linksrechts-Schema entzieht, kamen Sander in seinem Vorbehalt gegen bürgerliche Demokratie und Sozialismus entgegen.

Seine doppelte Opposition führte ihn in die Nähe der extremen Rechten. Seit den Siebzigern begann er, für rechtskonservative Publikationen wie „Criticön” und „Nation und Europa” zu schreiben, 1990 war er Begründer der „Staatsbriefe”. Zwei Jahre zuvor war sein Buch „Die Auflösung aller Dinge” erschienen, aus dem das Motto des „Tumult-Heftes“ stammt. Der  Untertitel des Buches, „Zur eschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne“, wird in „Tumult“ nicht genannt, obwohl (oder weil) er Sanders „ethnologischen Regelsatz“ erst in den richtigen – antijüdischen  – Zusammenhang stellt.

Obgleich die Redakteure und Autoren von „Tumult” anderen Generationen angehören als der Anfang 2017 mit achtundachtzig Jahren gestorbene Sander, pflegen auch sie, seit das erste „Tumult”Magazin 1979 mit dem Untertitel „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft” gegründet wurde, einen Radikalismus, der vorgibt, überkommene politische Unterscheidungen hinter sich zu lassen. Als Gegner wird im aktuellen Editorial von „Tumult” ein „amorphes Establishment von Ewiggestrigen” ausgemacht, die ihren Platz „in den großen Parteien und an den Kulturstammtischen” gefunden hätten. Adressiert ist damit freilich nicht einfach ein Phantom, sondern ein linksliberales Milieu, dessen selbstgefälliger Multikulturalismus angesichts des omnipräsenten Appeasements gegenüber dem Islam tatsächlich flagrant ist. Indem die „Tumult”Redaktion dieses Milieu optimistisch als „ewig gestrig” bezeichnet, erklärt sie sich selbst zur Avantgarde. Die Resonanz, die sie mit dieser Haltung findet, hat ihren Grund darin, dass sie zu betreiben scheint, was hierzulande ungern gehört wird: Verteidigung nationalstaatlicher Souveränität gegen den politischen Islam, Aufkündigung des multikulturalistischen Konsenses. Auch um dieses Programm zu unterstreichen, hatten Redakteure der „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft”, die bis heute unter dem Namen „Tumult —Schriften zur Verkehrswissenschaft” als Journal mit kulturphilosophischen Themen erscheint und in deren Redaktionsbeirat Böckelmann sitzt, 2013 zusätzlich die „Vierteljahresschrift für Konsensstörung” begründet — eher eine Aufspaltung als eine Spaltung, obwohl viele Autoren und Mitherausgeber Horst Ebner das Magazin 2015 wegen dessen migrationspolitischen Positionen verließen.

Böckelmann, der das alte „Tumult” seit den Achtzigern mit Dietmar Kamper und Walter Seitter herausgegeben hat und auch für das neue Magazin als Herausgeber firmiert, hat eine Wanderung vom Milieu der spontaneistischen Linken in die Neue Rechte hinter sich, die in mancher Hinsicht an Sander erinnert. Zwar war er, fast fünfzehn Jahre jünger als Sander, im Gegensatz zu diesem nie ein Anhänger des Realsozialismus, sondern seit 1963 Mitglied der Subversiven Aktion und später Aktivist in der antiautoritären Fraktion des Münchener SDS. Als Sander sich in Richtung „Criticon” und „Nation und Europa” zu orientieren begann, hatte Böckelmann gerade maßgebliche Studien über die Alterung des Marxismus und den Wandel des autoritären Charakters vorgelegt. Seine 1971 und 1972 publizierten Bücher „Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit” und „Uber Marx und Adorno” sind immer noch lesenswert, weil sie von ungewöhnlicher Klarsicht gegenüber dem Konformismus der Neuen Linken zeugen.

Doch schon „Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit” enthält Invektiven gegen die „Konsumgesellschaft”, die „losgelassene Sexualität” der amerikanisierten Massenkultur, gegen „Petting”, „Dating” und „Fünf-MinutenKoitus”, in denen der antiegalitäre Gestus anklingt, der heute in der „Vierteljahresschrift für Konsensstörung” dominiert. Auf Adornos und Horkheimers Kritik an der Kulturindustrie, die in ihrer Verteidigung des „Amusements” durchaus Reverenzen an die Gesellschaft der Vereinigten Staaten enthält, können sich solche Invektiven nicht berufen. Vielmehr klingt in ihnen ein Missverständnis gegenüber der Kritischen Theorie an, das Böckelmann mit der Neuen Linken teilte: dass die Kritik an der amerikanischen Kultur, die Adorno und Horkheimer übten, Ausdruck eines politischen Antiamerikanismus gewesen sei. Tatsächlich ähnelt Böckelmanns Konsumkritik eher den Thesen über die Diffusion sozialer Herrschaft in den westlichen Demokratien, die Jean Baudrillard in „Le systeme des objets” (1968) und „La societe de consommation” (1970) formuliert hatte.

Baudrillard wurde in den achtziger Jahren mit Paul Virilio einer der Stichwortgeber der „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft”. Die verbreitete Ansicht, der Poststrukturalismus habe als zeitgemäße Form der Kulturkritik seit den Siebzigern die Kritische Theorie beerbt, entbehrte indes schon damals der Grundlage. Vielmehr sind „Simulation” bei Baudrillard und „Dromologie”, die Wissenschaft der Beschleunigung, bei Virilio Deckbegriffe für eine Ablehnung von Zirkulation und kultureller Vermischung, zu der es bei Horkheimer und Adorno keine Entsprechung gibt. In der „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft” und im mit ihr verbundenen Merve Verlag wurden wichtige Texte von Baudrillard und Virilio erstmals in deutschen Übersetzungen zugänglich gemacht. In den Achtzigern trat der Verlag Matthes & Seitz mit vollständigen und besseren Übersetzungen in die Fußstapfen von Merve, wobei die Unterschiede, die zwischen den Poststrukturalisten und ihren deutschen Adepten bestanden, zugunsten eines avanteardistischen Neokonservativismus  verwischt wurden. 1986 erschien „La gauche divine“, Baudrillards Kritik am Alleinvertretungsanspruch  der französischen Sozialisten, bei Matthes&Seitz unter dem Titel „Die göttliche Linke – mit einem Nachwort von Hans-Dietrich Sander.

Obwohl die Konsumgesellschaft, deren Kritik die „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft” betrieb, in der „Vierteljahresschrift für Konsensstörung” durch die Political Correctness und seit Sommer 2015 durch die Flüchtlingspolitik ersetzt wurde, entzündet sich das Ressentiment am gleichen Gegenstand. Für die Folgen der Flüchtlingskrise und den wachsenden Einfluss des Islams in den westlichen Staaten macht der Journalist Eberhard Sens im aktuellen Heft die „entgrenzte Finanzzirkulation” und den „Weltmarkt” verantwortlich, als gehörte es nicht gerade zum apokalyptischen Versprechen des Islamismus, mit der Zirkulationssphäre Schluss zu machen und deren vermeintliche territoriale Entsprechung, den „künstlichen” jüdischen Staat, zu vernichten. Doch auch der Publizist Siegfried Gerlich beschäftigt sich in seinen migrationspolitischen Erwägungen nicht etwa mit dem Aufschwung des Islamic Banking, sondern mit dem „Triumphzug des Neoliberalismus, der soziale Mobilität auf seine Fahnen geschrieben hat”.

Der Ohnmacht des Westens gegenüber der islamistischen Bedrohung lässt sich aber nicht durch Abschaffung sozialer Mobilität beikommen, sondern bestenfalls durch Reflexion darauf, dass der Islamismus eben nicht wurzellos, sondern in der Aufopferung des Einzelnen an die globale Umma durchaus fest verwurzelt ist. Solche Überlegungen dringen jedoch nicht zur „Vierteljahresschrift für Konsensstörung” durch, die den Affekt gegen Amerikanismus und Kosmopolitismus teilt, der schon die „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft” prägte.

MAGNUS KLAUE 24 April 2017