MESOP : BILDER & PORTRAITS DER WESTLICHEN JIHAD FRAUEN

Etwa 550 Frauen aus westlichen Staaten sind in das “Kalifat” der Terrormiliz Islamischer Staat übergesiedelt. Sie wollen etwas Neues schaffen und sind bereit zu töten. Eine Studie sucht nach Gründen. -Von Diterich Alexander

Umm Khattab hat sich das Ende ihres Lebens, das sie bisher gekannt hatte, nicht leicht gemacht. “Die Nacht vor meiner Abreise habe ich so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie verbracht. Ich blickte in das Gesicht meiner Mutter und konnte die Tränen kaum zurückhalten. Ich wusste, ich würde sie und meinen Vater sehr bald verlassen. Ich spielte mit meinen jüngeren Geschwistern, und mir brach das Herz bei dem Gedanken, dass ich sie nicht aufwachsen sehen werde. Aber ich wusste, es ist das Beste für mich.”

Das Beste für sich sah die junge Muslimin aus Großbritannien darin, sich derTerrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen, ihr bisheriges Leben aufzugeben und sich einer ihrer Ansicht nach höheren Idee zu verschreiben. Ihre Erinnerungen, Erfahrungen und Ansichten teilt sie seither mit der Internetgemeinde, die sich in den sozialen Netzwerken von Facebook bis Tumblr tummelt.

Umm Khattab hatte kurz zuvor erfahren, dass ihr Ehemann, ein IS-Kämpfer, in Syrien gefallen war. “Oh, Mutter, mich hält auf dieser Welt nichts mehr außer die Aussicht, von dir umarmt zu werden – wenn nicht in dieser Welt, dann im Himmel.” Die junge Frau trieb eine Mischung aus Trauer, Rache und Suche nach dem Lebenssinn in die Fänge der Islamisten, die in großen Teilen Nordsyriens und des Nordirak ihr “Kalifat” ausgerufen haben und dort nach archaischen Regeln ein totalitäres Regime mit den Strukturen eines staatlichen Gefüges aufgebaut haben.

So ähnlich wie Umm Khattab ging es bisher einer Studie des renommierten Londoner Instituts für Strategischen Dialog zufolge 550 Frauen aus westlichen Ländern. Diese sogenannten “Caliphettes” glauben dort zu finden, was sie in ihren Gastgesellschaften vermissen.

Was sind das für Frauen, die freiwillig in einem frauenverachtenden, totalitären und fanatisierten gesellschaftlichen Gebilde leben wollen? Welche Frau, die doch Leben spendet, Kinder schützt und die Familien zusammenhält, tut das? Ross Frenett ist Co-Autor der Studie, die sich exemplarisch auf die Aussagen von zwölf Frauen (sechs aus Großbritannien, zwei aus den Niederlanden, eine Französin, eine Kanadierin und zwei Frauen aus Österreich) stützt, die in das IS-Kalifat zogen. Er kann gewisse Gemeinsamkeiten in den Motiven dieser Dschihadistinnen erkennen, die sich nicht wesentlich von denen ihrer männlichen Gesinnungsgenossen (bisher sollen es 2500 aus westlichen Demokratien sein) unterscheiden.

“Es gibt zunächst ideologische Gründe, also etwa den Wunsch, ein Kalifat zu schaffen, oder aus Hass auf den Westen gegen ihn zu kämpfen. Aber es gibt auch die Sehnsucht nach Geborgenheit und die Suche danach, wohin man gehört”, sagt Frenett. Anders als etwa in Afghanistan, in den Palästinensergebieten oder auf dem Balkan aber hätten die IS-Kämpfer und auch die Frauen eine neue Herausforderung als sinnstiftend identifiziert: den Versuch, einen Staat zu aufzubauen.

Allen weiblichen Opfern der IS-Ideologen scheint der Studie zufolge gemeinsam zu sein, dass sie in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, zwischen 16 und 25 Jahre alt, emotional labil und verletzlich sind. Sie suchen Sinn und Identität, oft sind sie Konvertiten mit erschreckendem Unwissen über Glaube und Religion. In Ihrer Orientierungslosigkeit suchen sie im Internet nach Informationen und stoßen dort auf die zynische Ästhetik der IS-Propaganda-Videos oder geraten in die Fänge von geschulten Rekrutierern, die ihnen Verständnis und Geborgenheit unter Gleichgesinnten vorgaukeln. Pures YouTube und Google, 100 Prozent soziale Medien ohne religiöse Grundbildung.

Viel Platz also für Emotionalität, viel Platz für ideologische Indoktrination. Eine gewisse Umm Essa wähnt die islamische Gemeinde von Marokko bis Indonesien und von Bosnien bis Mali attackiert und diskutiert diesen Umstand leidenschaftlich im Internet mit anderen Dschihadistinnen. Unter einem Foto, das einen toten palästinensischen Jungen und seinen trauernden Zwillingsbruder zeigt, schreibt sie: “Herzzerbrechend. 13-Jähriger küsst seinen Zwillingsbruder zum Abschied, der von der israelischen Armee ermordet wurde.”

Wie kann man unter Menschen leben, die den Islam abschaffen wollen?

Umm Khattab
IS-Dschihadistin

Umm Khattab sekundiert: “Es gibt zwei Lager auf dieser Welt, das eine ist jenes der Gläubigen, das andere das der Ungläubigen. Dazwischen gibt es nichts. Wie kann man unter Menschen leben, die den Islam abschaffen wollen? Die Ungläubigen und Heuchler würden alles tun, um den Muslimen zu schaden.”

Die IS-Frauen lehnen nicht nur den Westen und seinen Lebensentwurf ab, sie sind von dem Gedanken beseelt, etwas Neues zu schaffen, eine neue, gleichsam reine Gesellschaft, die den Geboten Allahs gehorcht, dem Koran und der Sunna, jenen Überlieferungen dessen, was der Prophet gutgeheißen oder verurteilt hat. Interessant an der Studie ist, dass die Frauen unter dem direkten Einfluss des IS zunehmend verrohen, um dem vermeintlich höheren Ziel einer eigenen Staatlichkeit “reinen Glaubens” näher zu kommen.

In gewisser Weise ist das “Kalifat” eine Verklärung und eine Glorifizierung der Urgemeinde zu Zeiten des Propheten Mohammed. Ein islamisches “Utopia”, an dem die Frauen mitschaffen wollen, als Mütter, Lehrerinnen, Krankenschwestern, Kämpferinnen – und Mütter der nächsten Generation von islamistischen Kämpfern.

Ihren Beitrag an diesem Gesamtkunstwerk “Kalifat”, in dem “während der Gebetszeiten die Geschäfte geschlossen und die Gläubigen ständig mit Waffen herumlaufen”, betrachten sie als religiöse, gesellschaftliche Pflicht. Und ganz entscheidend: Sie glauben an das Paradies. Umm Khattab schreibt in ihrem Blog dazu: “Wir lieben den Tod ebenso wie das Leben.”

Die Londoner Studie macht eine deutliche, mindestens verbale Verrohung unter den zwölf Frauen während ihres Aufenthalts im IS-Gebiet aus. Die aus Großbritannien stammende Umm Hussein schreibt: “Wisset, dass wir Armeen von wütenden Löwen haben im Irak und in Syrien, die Blut trinken und deren Geschäft das Massaker ist.” Jedes IS-Enthauptungsvideo wird von den Frauen bejubelt. Eine Frau schreibt über die Hinrichtung des US-Amerikaners Peter Kassig und 18 syrischer Geiseln: “So viele Enthauptungen zur gleichen Zeit. Das Video ist wundervoll!”

Mehr Fotos : http://www.welt.de/politik/ausland/article136960226/Was-westliche-Frauen-in-den-Dschihad-treibt.html?wtmc=nl.wdwbdreiT1