MENSCHENRECHTSBERICHT TÜRKEI DEZEMBER 2013 – Demokratisches Türkeiforum (DTF)

Die folgenden Nachrichten wurden im November 2013 vom DTF in der türkischen Presse erfasst  und meist zusammenfassend übersetzt.

45 Minderjährige im Prozess wegen Gezi-Protesten in Antalya angeklagt

Radikal berichtete am 09.12.2013, dass von 170 Personen, die wegen der Gezi-Proteste in Antalya angeklagt wurden, 45 Kinder sind. Sie sollen jetzt vor dem Jugendgericht angeklagt werden. Wenn die Behörden feststellen, dass es sich bei Angeklagten um Minderjährige handelt, müssen diese zur zuständigen Jugendabteilung bei der Polizei gebracht werden und  können nur vom Staatsanwalt in Gegenwart eines Psychologen verhört werden.

 

Staatsanwalt fordert 2 Jahre Haft für 13-Jährigen

Hürriyet Daily News berichtete am 10.10.2012, dass ein Staatsanwalt in Canakkale eine 2-jährige Haftstrafe für einen 13-Jährigen u.a. wegen Zerstörung öffentlichen Eigentums forderte. Der Grundschüler B.T.I. wird beschuldigt, während der Gezi-Proteste Slogans mit Farbe auf eine Straße gesprüht  zu haben, u.a.  “Regierung tritt zurück“, „Tod dem Faschismus“ und „f…k die Polizei“.

Der Staatsanwalt fordert, dass – falls das Kind keine Haftstrafe erhält – das Kind von seiner Familie fortgenommen und in staatliche Obhut gegeben wird.

Am 3. Juni, als die Gezi-Park-Proteste sich über das ganze Land ausbreiteten, waren 2.500 Leute durch den „Freiheits-Park“ der Stadt gezogen und hatten Parolen gerufen. Die Polizei war nicht eingeschritten, verfolgte aber diejenigen, die Slogans an Wände oder auf die Straße geschrieben hatten.

Durch die Videoaufzeichnung einer installierten Kamera  der Stadt wurde B.T.I. identifiziert. B.T.I. wurde zum Staatsanwalt gerufen und in Anwesenheit eines Psychologen verhört.

Der Junge sagte, er habe Slogans auf die Straße geschrieben, die er von der Menge gehört habe.

Die Gerichtsmedizin erstellte ein Gutachten, in dem festgestellt wurde, dass das Kind nicht reif genug sei, die rechtlichen Konsequenzen der von ihm begangenen Straftat zu verstehen.

Trotzdem klagte der Staatsanwalt den Jungen an, er habe öffentliches Eigentum zerstört, indem er die Straße mit Graffiti besprüht habe, und sagte, das Gutachten der Gerichtsmedizin sei nicht bindend.

Das Strafgericht nahm die Anklage an und am 27. November fand der erste Gerichtstermin in Abwesenheit des Kindes statt. Am 21. Januar 2014 soll das Kind nun von der Polizei zum Gericht gebracht werden.

 

 

Geldstrafe von 7.800 TL für Studenten

 

Hürryiet berichtete am  12.12.2013, dass der 22 –jährige Universitätsstudent Yarkin Atay aus der Provinz Balikesir, Mitglied der Türkiye Gençlik Birliği (TGB), wegen Beleidigung von Ministerpräsident Erdogan in sozialen Medien während der Gezi-Ereignisse eine Haftstrafe von 7.800 TL erhalten habe. Daneben wurde eine Bewährungsstrafe von 5 Jahren verhängt, in denen er keine weitere Straftat begehen darf. Atay hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

 

 

Türkisches Geschichtsinstitut fordert vom Hochschulrat Namen von Studenten, die zur Armenierfrage forschen

 

Radikal berichtete am 12.12.2013 , dass das türkische Institut für Geschichte mit Hilfe des Hochschulrates (YÖK) an die Namen und Kontaktadressen von Studenten (Master und Promotion) kommen wollte, die zur Armenierfrage forschen.. Das Institut wollte wohl auch Informationen zu den bearbeiteten Themen haben. Es ist nicht  klar, warum das Institut diese Informationen angefordert hat. Die Anfrage ging vom Institutsleiter aus.

 

 

Türkische Gefängnisse wurden in Menschendepots umgewandelt

 

Die Wochenzeitschrift AGOS berichtete am 07.12.2013 über ein Interview mit Zafer Kıraç, dem Vorsitzenden des Vereins Zivilgesellschaft im Strafvollzugssystem (CISST) über die Lage der Gefängnisse der Türkei und die Probleme der Gefangenen:

Aktuell gibt es 141 316 Strafgefangene, davon sind 5580 Frauen und 1942 Kinder. In den letzten 8 Jahren hat sich die Zahl der Gefangenen verdoppelt.

Zum Vergleich: Während Deutschland  mit einer Bevölkerungszahl von 83 Millionen zur Zeit ca. 55. 000 Gefangene hat und die Zahl bis 2020 auf 40.000  reduzieren will, hat die Türkei mit einer Bevölkerungszahl von 74 Millionen 141.000 Gefangene und plant für 2020  280.000 Gefangene. Wohin soll das führen?

Besonders problematisch ist, dass die Gefängnisse zurzeit überfüllt sind und es kaum soziale Angebote gibt. Gefährdet sind insbesondere Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten (LGBT), Ausländer und alte und behinderte Menschen. LGBT werden beispielsweise gesondert untergebracht und kommen nicht in Kontakt mit anderen Strafgefangenen, so dass ihre sozialen Kontakte und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sehr eingeschränkt sind.

Laut Menschenrechtsverein IHD gibt es zurzeit 550 schwer kranke Gefangene in den Gefängnissen, 115 sind praktisch schon im Sterbebett. 2012 sind insgesamt 262 Menschen in Gefängnissen gestorben, 2013 sind es wohl noch mehr; es gibt ungefähr einen Toten pro Tag. Besonders für schwer kranke Gefangene sind die Gefängnisse überhaupt nicht ausreichend ausgestattet und somit nicht in der Lage, sie adäquat zu versorgen. Im Januar 2013 wurde der Artikel 16 des Strafvollzuggesetzes (Anmerkung: Aussetzung des Strafvollzuges bei bestimmten Erkrankungen) geändert. Es wurde gedacht, dass die Gesetzesänderung zur Freilassung  von schwer kranken Gefangenen führen würde, aber bisher hat sie nur 17 Gefangenen genutzt - obwohl die Organisation CISST dachte, es könnten bis zu 300 Personen sein. Grund hierfür sind wohl zwei Kriterien, Verurteilungen wegen Terrorismus und Gefährdung der Gesellschaft.

 

 

3764  Gefangene im Alter von 15-19  Jahren in Untersuchungshaft

 

Die Internet-Nachrichtenseite T 24 berichtete am 13.12.2013, dass Justizminister Sadullah Ergin nach einer Anfrage des CHP-Abgeordneten Hüseyin Aygün folgende Zahlen über Gefangene bekannt gegeben hat:

Abgesehen von unter 15-jährigen Untersuchungs- und Strafgefangenen und ausländischen Gefangenen beträgt die Zahl der Gefangenen 129.506.

Die Zahl der nach dem Anti-Terror-Gesetz angeklagten oder verurteilten Personen beträgt 7.884.

3.764 Jugendliche im Alter von 15-19 Jahren  sind in Untersuchungshaft und 2.179  sind verurteilt.  Aus dieser Altersgruppe sind 5.943 Personen im Gefängnis.

Bei den 20 – 24 Jährigen sind 5.811 in Untersuchungshaft und bei den 25 – 29 Jährigen 5.645. Die Zahlen stammen vom 15.04.2013.

 

 

Bericht von Parlamentariern über unmenschliche Bedingungen in türkischen Gefängnissen

 

Hürriyet Daily News berichtete am 10.10.2013, dass der Gefängnis-Unterausschuss der parlamentarischen Menschenrechtskommission seinen Bericht über drei Gefängnisse in der Provinz Antalya veröffentlicht habe. Darin werden die unmenschlichen Haftbedingungen der Gefangenen hervorgehoben.

Zu den schockierenden  Bedingungen gehören Insekten im Essen, Schläge, und die Durchsuchung aller Körperöffnungen. Der Bericht äußert auch, dass homosexuelle und transsexuelle Gefangene im Gefängnis “wegen ihrer sexuellen Identität doppelt so schlimm leiden“.

Der Unterausschuss bestand aus vier Abgeordneten von drei Parteien:  Der Abgeordneten von Konya Ayşe Türkmenoğlu und dem Abgeordneten von Adıyaman Mehmet Metiner von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), dem Abgeordneten von Malatya Veli Ağbaba von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) und dem Abgeordneten von  Adana Murat Bozlak von der Partei für Frieden und Demokratie (BDP).
Eine Anzahl von Insassen des L-Typ-Gefängnisses von Antalya, in dem zur Zeit 1.600 Gefangene ihre Haftstrafen verbüßen, sind gezwungen auf dem Boden vor den Toiletten und den Treppen zu schlafen, gibt der Bericht an.

Die Insassen können wegen Wasserproblemen ihre Kleider nicht waschen und es gibt ein ernsthaftes Hygiene-Problem. Der Transport von Patienten zum Krankenhaus ist ein weiteres Problem. Homosexuelle und Transsexuelle leben zusammen in einer Zelle. Sie klagen über psychische Probleme. Eine Transvestitin berichtete, sie sei zur Zeit der Inhaftierung weiblich gewesen, aber jetzt werde ihr nicht erlaubt, weiblich zu sein. Ein anderer Insasse sagte, sie würden wegen ihrer sexuellen Identität leiden. Ihre Gefängnisabteilung sei die einzige ohne Sicherheitskameras.

Laut dem Bericht ist das größte Problem die Durchsuchung aller Körperöffnungen und die Überbelegung der Zellen.
Nach dem Bericht ist das E-Typ-Gefängnis in Antalya, in dem 1.800 Gefangene untergebracht sind, das schlechteste der drei untersuchten Gefängnisse.
36 Personen seien in einem Raum mit einer Kapazität für 25 Personen. Die Insassen fänden Insekten in ihrem Essen und würden rohen Fisch essen.

Ratten und Kakerlaken würden in dem Gefängnis häufig gesehen und das Sicherheitspersonal schlage Gefangene, berichteten die von dem Ausschuss besuchten Gefangenen.
Ein Gefangener wird zitiert in dem Bericht: “Für mich dauern die 30 Sekunden bei den Durchsuchungen aller Körperhöhlen ein Jahr. Ich würde begrüßen, wenn der Justizminister uns sehen würde, wie wir nackt durchsucht werden, damit er Zeuge wird, wie tief beschämt wir während der Durchsuchung sind.

Der Bericht klärte auf, dass die Insassen in dem L-Typ-Gefängnis in Alanya und auch in dem Gefängnis der Provinz Antalya, in dem 1.491 Gefangene sind, Nachrichtensender wie IMC TV, Cem, Yol, Hayat TV und Halk TV nicht sehen dürfen..

Die Insassen in Alanya klagten ebenfalls über Durchsuchung aller Körperöffnungen und Schläge.

 

 

Gesundheitsminister: Gesetze über medizinische Behandlung vor den Gezi-Protesten geplant

 

Hürriyet Daily News berichtete am 10.12.2013, dass Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoğlu äußerte, die Regierung habe bereits vor den Gezi-Ereignissen – bei denen Ärzte und Krankenschwestern den Opfern brutaler Polizeigewalt geholfen hatten – geplant, Gesundheitspersonal wegen nicht genehmigter medizinischer Behandlung zu bestrafen

Die Regierung  habe diese Vorschrift (Haftstrafen gegen diejenigen zu verhängen, die ohne Genehmigung medizinisch behandeln) vor den Gezi-Protesten geplant. Und falls sie dies noch nicht getan hätte, so habe sie während der Gezi-Vorfälle gesehen, dass eine solche Regulierung notwendig sei. Eine solche Vorschrift diene der Bevölkerung.

Ein umfassender Entwurf zielt darauf ab, alle Gesundheitsdienste unter die Kontrolle des Gesundheitsministerium zu bringen und ungenehmigte Dienste zu verhindern. Artikel 33 des Gesetzentwurfes sieht eine ein bis dreijährige Haftstrafe und eine Geldbuße bis zu 2 Millionen Türkische Lira vor für Ärzte, die weiterhin ohne Genehmigung medizinische Versorgung durchführen, nachdem ärztliche Notdienste an dem Ort ankommen sind.
Müezzinoğlu sagte, dies sei keine Regelung von Notdiensten, er fügte aber hinzu, dass Einrichtungen, die Notfallhilfe leisteten, ohne die Behörden darüber zu informieren, nicht akzeptiert werden könnten.
Während der Gezi-Proteste hatten viele Ärzte und Studenten den von Tränengas, Wasserwerfern und Tränengaskanistern verletzten Demonstranten erste Hilfe geleistet.
Müezzinoğlu behauptete, dass einige dieser Freiwilligen nicht einmal Ärzte gewesen seien und Leute vor den Polizisten versteckten. Er behauptete auch, dass sein Ministerium blamiert sei, falls Protestierende in diesen Zentren Komplikationen erleiden würden.

Der Minister gab auch an, dass von den 18 Ambulanzfahrzeugen, die im Park stationiert worden seien, 9 von den Protestierenden beschädigt worden seien.

 

Am 19. November schickten laut der Tageszeitung Hürriyet  mehrere internationale Organisationen einen gemeinsamen Brief an Müezzinoğlu und Parlaments-Sprecher Cemil Çiçek über die Probleme, die durch den Entwurf entstehen könnten.

“Wenn der Artikel (33) Rechtskraft erhält, werden unabhängige und vertrauenswürdige Ärzte verfolgt werden, wenn sie bei Demonstrationen erste Hilfe leisten und Ambulanzen des Gesundheitsministerium ebenfalls vor Ort sind.“ heißt es in dem Brief, der u.a. von der Welt-Ärzte-Organisation, Physicians for Human Rights, der British Medical Association, der deutschen Ärztekammer und Mitgliedern des  Standing Committee of European Doctors verfasst wurde.
“Diese Vorschrift wird es für qualifiziertes medizinisches Personal zur Straftat machen, wenn sie ihre Arbeit in der Türkei unabhängig durchführen, und dem Gesundheitsministerium noch nie da gewesene Kontrolle verleihen. In Zeiten von Notsituationen begründen sich  die internationalen Standards für medizinische Versorgung eher an den medizinischen Notwendigkeiten als an den Zugangsmöglichkeiten für medizinische Behandlung.“

 

 

 

Demokratisches Türkeiforum e. V.
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Das Demokratische Türkeiforum e.V. (DTF) setzt sich seit der Gründung 1990 für die Einhaltung der Menschenrechte und für Demokratie in der Türkei ein. Das DTF ist die deutsche Unterstützergruppe der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV). Spenden an das DTF werden praktisch zu 100% an die TIHV weitergeleitet.

Seit ihrer Gründung hat die TIHV mehr als 12.000 Folteropfer kostenlos behandelt. Behandlungszentren existieren in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir. Das Dokumentationszentrum in Ankara gibt tägliche Berichte über Verletzungen der Menschenrechte in Türkisch und Englisch heraus und erstellt daraus Jahresberichte. Die Homepage des DTF wird als Sicherungskopie vieler dieser Dokumente genutzt.

Wie Unterstützergruppen in einigen anderen europäischen Ländern möchte das Demokratische Türkeiforum (DTF) in Deutschland zu der Finanzierung der TIHV beitragen. Spenden an das DTF e.V. werden in vollem Umfang an die TIHV weitergeleitet; sie sind steuerlich absetzbar.

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