KURDWATCH NEWSLETTER SYRIEN – MÄRZ 2013 / I
ʿAin al-ʿArab: YPG zwingt Ahrar al‑Kurd Abkommen auf
KURDWATCH, 9. März 2013 – Am 16. Februar 2013 haben Mitglieder des Führungskomitees der kurdischen Ahrar-al‑Kurd-Brigade aus ʿAin al‑ʿArab (Kobanî) und des Militärischen Komitees der Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Partei der Demokratischen Union (PYD) ein Abkommen unterzeichnet, das einer enge Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppen vorsieht. Die Vereinbarung kam während der Entführung des Pressesprechers von Ahrar al‑Kurd durch die YPG zustande [weitere Informationen zum Fall]. Ein Aktivist, der Ahrar al‑Kurd nahe steht, erklärte gegenüber KurdWatch: »Die Führung von Ahrar al‑Kurd war praktisch gezwungen, das Abkommen zu unterschreiben. Die Angst war zu groß, dass Kaban ansonsten ermordet wird.« Ibrahim Mustafa alias Kaban selbst erklärte gegenüber KurdWatch: »Der Inhalt des Abkommens ist an sich gut. Aber die Umstände, unter denen es zustande kam, waren alles andere als schön.«
Folgende Punkte wurden in dem Abkommen beschlossen:
1. Ahrar al‑Kurd hält sich an die Entscheidungen des Hohen Kurdischen Gremiums und handeln diesen gemäß.
2. Die Kräfte von Ahrar al‑Kurd und der Volksverteidigungseinheiten werden vereinigt.
3. Ahrar al‑Kurd ist in der Führung des Militärischen Komitees der Volksverteidigungseinheiten vertreten und wird zukünftig gemäß den Entscheidungen der militärischen Führung des Hohen Kurdischen Gremiums handeln.
4. Alle Mitglieder von Ahrar al‑Kurd werden an gesonderten Übungen teilnehmen, um militärische Erfahrung zu sammeln. Seit Abschluss des Abkommens hat die Ahrar-al‑Kurd-Brigade ihre Beziehungen zur Freien Syrischen Armee, der sie bis dahin angehörte, eingefroren.
Al-Maʿbada: YPG übernimmt Kontrolle über größtes Ölfeld Syriens
KURDWATCH, 10. März 2013 – Am 1. März 2013 haben Mitglieder der Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Partei der Demokratischen Union (PYD) mehrere staatliche Gebäude in Rumailan (zwei Kilometer westlich von al‑Maʿbada [Girkê Legê]) übernommen. Die Zentralen des Direktorats für Politische Sicherheit und des Militärischen Nachrichtendienstes, in der sich Dutzende Angehörige der Sicherheitsdienste verschanzt hatten, sowie ein kleiner militärischer Stützpunkt wurden am 1. und 2. März 2013 von den YPG belagert. Am 2. März gaben die Belagerten ihre Stellungen auf, es kam an keinem der Tage zu Kampfhandlungen. Nach Angaben der YPG wurden fünfunddreißig Personen zunächst gefangen genommen, jedoch nach wenigen Stunden wieder entlassen. Rumailan ist das größte Ölfeld Syriens.
Al-Qahtaniya: YPG übernimmt kampflos Kontrolle über die Stadt
KURDWATCH, 10. März 2013 – Am 1. März 2013 haben Mitglieder der Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Partei der Demokratischen Union (PYD) sowie einige Anhänger der Kurdische Demokratische Fortschrittspartei in Syrien mehrere Sicherheitszentralen sowie einige staatliche Gebäude in al‑Qahtaniya (Tirbesipî) umzingelt. Wenige Stunden später verließen alle syrischen Sicherheitskräfte und Armeeangehörigen die umzingelten Gebäude sowie die Stadt. Die YPG übernahm u. a. die Kontrolle über die Zentrale des Staatssicherheitsdienstes sowie des Militärischen Nachrichtendienstes, zwei Polizeiwachen, die Rekrutierungsbehörde, das Rathaus, die Zentrale der regierenden Baʿthpartei sowie das Kulturzentrum.
Al-Qamischli: Anhänger des Kurdischen Nationalrats gedenken Mustafa Barzani
KURDWATCH, 8. März 2013 – Bei andauernden Kämpfen zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA) und Regierungstruppen hat es in der Woche vom 23. Februar bis zum 1. März 2013 erneut zahlreiche Tote und Verletzte gegeben. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die Wirtschaftsmetropole Aleppo, die Hauptstadt Damaskus sowie die Gegend um Homs und Idlib. Am 22. Februar forderten Demonstranten, die im ganzen Land unter dem gemeinsamen Motto »Eine Nation, eine Flagge, ein Krieg« auf die Straße gingen, erneut den Sturz des Regimes. Anhänger des Kurdischen Nationalrats gingen unter dem Motto »Treue gegenüber Barzani« auf die Straßen und gedachten damit des Geburtstags des irakisch-kurdischen Führers Mullah Mustafa Barzani. Gleichzeitig forderten sie wie bereits in den letzten Wochen die Anerkennung der Rechte der Kurden. Anhänger der Partei der Demokratischen Union (PYD) wiederum versammelten sich unter dem Motto »Al‑Qamischli ist unsere Würde« und betonten ihre Bereitschaft, die Stadt al-Qamischli bei einem möglichen Angriff bewaffneter Gruppen – gemeint ist die FSA – zu verteidigen. In al‑Qamischli gab es je eine Demonstration in den Stadtvierteln al‑ʿAntariya (organisiert von den Jugendgruppen Biratî, Rojava, Schaikh Maʿschuq und Märtyrer Farhad), Munir Habib (organisiert vom Kurdischen Nationalrat) sowie an der Qasimomoschee im Westviertel (organisiert von der PYD). In ʿAmuda kam es zu drei getrennten Demonstrationen, organisiert von der PYD, dem Kurdischen Nationalrat sowie von verschiedenen Jugendgruppen. In al‑Hasaka gab es drei Demonstrationen, eine organisiert vom Kurdischen Nationalrat, eine von der PYD sowie eine von arabischen Gruppen. In ad‑Darbasiya, ʿAin al-ʿArab (Kobanî), al‑Dschawadiya (Çil Axa) und al Qahtaniya (Tirbesipî) fanden jeweils zwei Demonstrationen statt, eine organisiert von der PYD, die andere vom Kurdischen Nationalrat. Die wöchentlichen Demonstrationen des Kurdischen Nationalrats in al‑Malikiya und al‑Maʿbada (Girkê Legê) fanden am Samstag, nicht am Freitag statt. In ʿAfrin und Raʾs al‑ʿAin (Serê Kaniyê) sowie in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Stadtvierteln von Aleppo und Damaskus gab es keine Proteste.
ʿAin al-ʿArab: Sicherheitsdienst der PYD entführt Pressesprecher von Ahrar al‑Kurd
KURDWATCH, 8. März 2013 – Am 10. Februar 2013 haben Mitglieder des Sicherheitsdienstes (Asayiş) der Partei der Demokratischen Union (PYD) in Dschalabiya (fünfzig Kilometer südlich von ʿAin al‑ʿArab) den Pressesprecher der kurdischen Brigade der Freien Syrischen Armee (FSA) Ahrar al‑Kurd aus ʿAin al‑ʿArab (Kobanî), Ibrahim Mustafa (geb. 1980 in ʿAin al‑ʿArab, bekannt als Kaban) entführt. Mustafa erklärte gegenüber KurdWatch »Ich fuhr mit meiner Frau und meinen Kindern in meinem Auto, als wir von einem Fahrzeug der Asayiş der PYD angehalten wurden. Mehrere bewaffnete Personen hielten mir ihre Waffen an den Kopf und zwangen mich, mit ihnen zu fahren. Ich musste meine Frau und die Kinder alleine an einem fremden Ort zurücklassen. Sie haben mich bei der Festnahme sehr schlecht behandelt. Es war ein schreckliches Erlebnis für meine Kinder und meine Frau, aber auch für mich. Ich dachte, sie würden mich gleich ermorden.« Am 20. Februar wurde Mustafa freigelassen. Während seiner Haft wurde er nicht gefoltert, sondern eigenen Angaben zufolge relativ gut behandelt. Gleichzeitig wurden er und die Ahrar-al‑Kurd-Brigade beschuldigt, Kontakte zu feindlichen Organisationen geknüpft zu haben.
Aleppo: Schwere Kämpfe um kurdische Dörfer
KURDWATCH, 5. März 2013 – Vom 9. bis 11. sowie am 23. und 24. Februar 2013 kam es wenige Kilometer südlichöstlich des internationalen Flughafens von Aleppo um die kurdischen Dörfer Tall Hasil und Tall ʿAran zu schweren Kämpfen zwischen Regierungstruppen und verschiedenen Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA). Mindestens drei Zivilisten, Mitglieder ein und derselben Familie, starben in ihrem Haus in Tall Hasil, als dieses von einer Rakete getroffen wurde.
Al-Qamischli: Schusswechsel am Flughafen
KURDWATCH, 5. März 2013 – Am 23. Februar 2013 ist es in der Nähe des Flughafens von al-Qamischli zu einem Schusswechsel gekommen. Ein Aktivist berichtete gegenüber KurdWatch: »Es handelte sich nicht um ein Gefecht mit der Freien Syrischen Armee. Wir vermuten vielmehr, dass einer der Soldaten, die gezwungen werden, den Flughafen zu schützen, desertieren wollte.« Die Hauptzufahrtsstraße von al~Qamischli zum Flughafen ist seit Monaten über mehrere Kilometer von Regierungskräften gesperrt. Darüber hinaus wurden die Bewohner der Armenviertel nördlich und südlich des Flughafens von der Regierung aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen.
Al-Dschawadiya: YPG übernimmt kampflos Kontrolle über die Stadt
KURDWATCH, 4. März 2013 – Am frühen Morgen des 21. Februar 2013 haben alle syrischen Sicherheitskräfte und Armeeangehörige die Stadt al‑Dschawadiya (Çil Axa) verlassen. Wenige Stunden später übernahmen die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Partei der Demokratischen Union (PYD) die Kontrolle über sämtliche staatlichen Gebäude, darunter das Rathaus, die Post, das Kulturzentrum, die Meldebehörde und das Büro der regierenden Baʿthpartei. Im Zusammenhang mit dem Abzug der staatlichen Kräfte kam es zu keinem Zeitpunkt zu Kampfhandlungen. Nach der Übernahme al‑Dschawadiyas befanden sich auch einige Mitglieder der Freien Syrischen Armee (FSA) in der Stadt. Ob FSA und YPG kooperiert haben, ist nicht bekannt.
Tall Hamis: FSA übernimmt Kontrolle über Stadt in den kurdischen Gebieten
KURDWATCH, 4. März 2013 – Vom 20. bis zum 22. Februar 2013 ist es in der Kleinstadt Tall Hamis (vierzig Kilometer südlich von al‑Qamischli) zu schweren Gefechten zwischen Regierungstruppen und verschiedenen Bataillonen der Freien Syrischen Armee (FSA) gekommen. Die syrische Armee bombardierte die Stadt und beschoss sie mit Boden-Boden-Raketen, von denen mehrere in den umliegenden arabischen und kurdischen Dörfern einschlugen. Die FSA hatte die Bevölkerung vor ihrer Offensive aufgefordert, die Stadt zu verlassen; es wurden keine zivilen Opfer gemeldet. Hingegen wurden Dutzende Soldaten getötet oder gefangen genommen. Tall Hamis wird spätestens seit dem 25. Februar komplett von der FSA kontrolliert. Die Stadt wird mehrheitlich von Arabern bewohnt, in der Umgebung befinden sich jedoch auch zahlreiche kurdische Dörfer.
Asch-Schaddada: FSA entführt Mitarbeiter der Ölbranche
KURDWATCH, 28. Februar 2013 – Am 10. Februar 2013 übernahmen mehrere Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) die Kontrolle über weite Teile der Stadt asch‑Schaddada (fünfzig Kilometer südlich von al‑Hasaka). Sie stürmten eine Siedlung, in der hauptsächlich Personen leben, die auf dem bei asch‑Schaddada liegenden Ölfeld arbeiten. Mehrheitlich handelt es sich dabei um ʿAlawiten. Dutzende Mitarbeiter wurden entführt, Informationen über ihre Ermordung und Beerdigung in einem Massengrab konnten weder bestätigt noch widerlegt werden. Am 12. Februar bombardierte die syrische Armee Stellungen der FSA in asch‑Schaddada mit Boden-Boden-Raketen. Auch in al‑Hasaka kam es am 12. Februar zu Schusswechseln zwischen FSA und Regierungstruppen.