Im Dreieck des Todes – Im Norden Syriens tobt ein Konflikt um Manbidsch / Von Christoph Ehrhardt

MESOP NEWS „FAZ REPORT“ : DIE ETHNISCHEN  KORREKTUREN DER PKK/PYD IN SYRIEN & IHRE KOOPERATION MIT DEM ASSAD REGIME

FAZ BEIRUT, 9. März. Im Hintergrund weht die Nationalflagge, wie sie das syrische Regime führt. Aber die beiden Uniformierten in dem Propagandavideo gehören nicht zu den Streitkräften von Ba-schar al Assad. „Ich kenne sie persönlich”, sagt Monzer Sallal. Es seien Leute aus Manbidsch, wie er selbst. Die Männer kämpften für die Syrian Democratic Forces (SDF) — eine Allianz, die von Amerika unterstützt wird, weil sie in Syrien den Bodenkrieg gegen den „Islamischen Staat” (IS) maßgeblich führt. Die Koproduktion, in der jetzt von Washington geförderte Milizionäre als Grenzschützer im Dienste Assads auftreten, mutet auf den ersten Blick merkwürdig an. Sie ist eine Pointe in einem komplizierten Konflikt im Norden Syriens, der die Stadt Manbidsch und ihre Umgebung erfasst hat.

Auf der einen Seite stehen das türkische Militär und syrische Brigaden, welche unter dem Banner der Operation „Schutzschild Euphrat” auf syrischem Boden südlich der Grenze beider Länder kämpfen. Ihre Offensive richtet sich gegen den IS — aber auch gegen kurdische Bestrebungen, in der Region einen Quasistaat zu errichten. Kurdische Milizionäre, welche die Anti-IS-Allianz SDF dominieren, haben zu diesem Zweck mehrere Orte unter ihre Kontrolle gebracht, in denen mehrheitlich Araber leben. Dazu gehört auch Manbidsch, wo jetzt das amerikanische Militär seine Diskretion aufgeben und Präsenz zeigen muss, um die verfeindeten Verbündeten im Kampf gegen den IS davon abzuhalten, einen neuen Krieg zu entfesseln.

Die Türkei hatte angekündigt, die Stadt anzugreifen. Die kurdischen Milizio-näre haben sich daraufhin mit dem Assad-Regime arrangiert, das sich sehr am türkischen Feldzug in Nordsyrien stört; schließlich will Ankara Assads Sturz. Um dem Vorrücken der „Schutzschild Euphrat”-Truppen auf Manbidsch einen Riegel vorzuschieben, einigten sich die SDF und das syrische Regime unter russischer Vermittlung darauf, einige Dörfer im Westen der Stadt an das Regime zu übergeben. Die Kurden sollen sich dabei einen Korridor gesichert haben, der ihre Kantone im Westen und Osten Nordsyriens verbindet. Durch den Deal wurde nicht nur eine Barriere gegen den türkischen Vormarsch geschaffen, sondern auch der Druck auf Amerika erhöht, sich zu den SDF als Verbündeten zu bekennen. Das Video mit den falschen Grenzern aus Manbidsch sollte diese Übergabe illustrieren.

„Es dient der Abschreckung”, sagt Monzer Sallal. Er kann derzeit nicht in seine Heimatstadt zurück, aus der er 2014 vor dem IS geflohen war. Sallal stammt aus einer reichen Familie, war eine der Führungspersönlichkeiten, als sich das Regime 2012 aus der Stadt zurückzog und ein gewählter Stadtrat die Regierungsgeschäfte übernahm. Sein Vater hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass es in Man-bidsch einigermaßen ruhig blieb — zumindest bis der IS anrückte. Mit einem der bei-den angeblichen Grenzer aus dem Video habe er noch zusammen gekämpft, sagt Monzer Sallal. Als der IS die Stadt Anfang 2014 einnahm, flohen beide. Sallal nach Norden, sein Mitstreiter gen Westen nach Kobane, wo er sich kurdischen Freischärlern, anschloss. Jetzt stehen, sie auf verschiedenen Seiten.

Monzer Sallal gehört zu denen, die skeptisch waren, als die SDF Manbidsch vergangenes Jahr vom IS zurückeroberten. Für ihn sind sie vor allem kurdische Besatzer mit einer „ethnischen Agenda”. Er berichtet von einer rigiden Ausgangssperre, von Verhaftungen Andersdenkender. Das habe mit dem demokratischen Experiment, das sie seinerzeit begonnen hätten, nichts mehr zu tun. Sallal berichtet am Telefon aus der Stadt Dscharablus, die im August durch die türkisch geführte Militäroperation vom IS zurückerobert wurde. Gerade ist er von einer längeren Reise in die der Konfliktregion um seine Heimatstadt zurückgekehrt. „Viele Leute haben jetzt Angst, dass das Regime in ihre Orte einrückt, die Aufständischen festnimmt oder die jungen Männer zwangsrekrutiert”, sagt er.

Hassan Naifi, einer von Sallals alten Mitstreitern aus dem verjagten Stadtrat, spricht von einem „Dreieck des Todes”, in dem die Bevölkerung derzeit gefangen sei: „Im Westen das Regime, im Osten der IS und im Norden die SDF.” Tausende seien auf der Flucht aus dem Kampfgebiet. Zumindest hätten die Amerikaner zugesichert, dass Manbidsch selbst nicht dem Regime übergeben werde. Aber wer könne schon sagen, was passiere, wenn den SDF tatsächlich eine Niederlage drohe? Washington blickt mit großer Sorge auf den Konflikt, der den Krieg gegen den IS hintertreibt. Seit Tagen ermahnen amerikanische Militärs ihre Verbündeten, sich auf diesen Kampf zu konzentrieren. Aber weder die Türkei noch die Kurden scheinen dazu bereit zu sein. Vor gut einer Woche stöhnte der Kommandeur der amerikanisch geführten Anti-IS-Operation, es handle sich um die komplizierteste Situation, mit der er es jemals zu tun gehabt habe. Teilweise seien Konfliktparteien nur einen Handgranatenwurf voneinander entfernt. Das amerikanische Militär hat jetzt deutlich gemacht, dass es weiter auf die SDF setzt. Bilder aus der Gegend um Manbidsch zeigen Konvois gepanzerter Fahrzeuge mit amerikanischen Flaggen, die ein deutliches Signal an die Türkei aussenden, den angekündigten Angriff zu unterlassen. „Wir wollten sichtbar machen, dass wir da sind”, sagte ein Sprecher des Pentagons.

Womöglich bedarf es noch öfter solch bislang unüblicher Kraftdemonstrationen. Amerika hat weder an Kämpfen unter Verbündeten ein Interesse, noch dürfte es gutheißen, dass Assad im Windschatten dieses Konfliktes weiteres Terrain erobert. Und der Weg nach Raqqa, in die syrische IS-Bastion, ist noch lang. General Stephen Townshend hat sicherheitshalber schon einmal hervorgehoben, eine Beteiligung kurdischer Kämpfer werde die Demographie des mehrheitlich von Ara-bern bewohnten Raqqa nicht verändern. Ohnehin wird der amerikanische Einsatz gerade ausgeweitet. Wie die Zeitung „The Washington Post” berichtet, errichten die Marines einen Außenposten, von dem der IS auch mit Artillerie unter Beschuss genommen werden kann, wenn die Witterung Luftangriffe erschwert. Die Verstärkung sei noch von der Regierung Obama in Marsch gesetzt worden.

Monzer Sallal und Hassan Naifi zeigen sich enttäuscht von den Amerikanern. Sie weisen darauf hin, dass die kurdischen SDF-Milizionäre Bundesgenossen der PKK sind. „Eine Besatzungsmacht aus den Kandil-Bergen”, wie Naifi in Anspielung auf den Rückzugsort der PKK spottet. „Es sieht schlecht für unsere Sache aus mit all den internationalen Akteuren, die in die Sache verwickelt sind”, sagt er. Aber er glaubt nicht, dass die türkisch geführten Milizen so schnell aufgeben. Ankara hat die syrischen Kämpfer für die Operation „Schutzschild Euphrat” wohl ausgewählt. Die meisten stammen aus Or-ten, die von kurdischen Kräften besetzt wurden, aus denen internationale Menschenrechtsorganisationen Plünderungen, Zerstörungen und Beschlagnahmungen von Häusern gemeldet haben. Sie haben es den Kurdeil nicht vergessen, dass diese bei ihren Eroberungen zum Teil von russischen Luftangriffen oder Offensiven Assads profitierten. „Die Brigaden werden sich einen Weg in ihre Heimatstädte freikämpfen”, sagt Naifi. „Zur Not auch ohne Unterstützung.”

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