HANNAH WETTIG – WADI GERMANY : Film über Genitalverstümmelung in Kurdistan räumt mit Tabus auf

28-10-2013 – MESOP – In Großbritannien ist eine großangelegte Kampagne gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) angelaufen. Die BBC sowie die linksliberale Zeitung Guardian haben jetzt einen Dokumentarfilm über den erfolgreichen Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in Irakisch-Kurdistan gedreht. Der Erfolg war möglich durch die langjährige Arbeit der deutsch-irakischen Organisation Wadi.

Von Hannah Wettig – FGM: the film that changed the law in Kurdistan

In Großbritannien debattiert man seit einigen Monaten, wie es möglich sein kann, dass 66.000 Mädchen und Frauen in dem Königreich verstümmelt sind. Obwohl FGM dort seit 28 Jahren verboten ist, schicken Migranten ihre Töchter in ihre Heimatländer, um die verharmlosend als Klitorisbescheidung bezeichnete Prozedur durchführen zu lassen. Mit verheerenden Folgen: Infektionen durch unsterile Instrumente und Blutungen können zu Unfruchtbarkeit und Tod führen. Menstruation und Geburt werden zur Qual, das sexuelle Verlangen ist stark beeinträchtigt. In Deutschland sieht es nicht anders aus, ein Gesetz, das FGM verbietet, wurde erst dieses Jahr erlassen.

Einigen dämmert, dass es nicht reicht, die Praxis hierzulande zu verbieten. Aber wie kann FGM effektiv bekämpft werden? Eines der erfolgreichsten Beispiele ist eine Kampagne in Irakisch-Kurdistan. In nur acht Jahren ging die Praxis dort um 60 Prozent zurück laut jüngsten Erhebungen der Organisation WADI, Initiatorin der Kampagne Stop FGM in Kurdistan. Über diesen erfolgreichen Kampf hat die arabische BBC und der Guardian den Dokumentarfilm „FGM: The film that changed the law in Kurdistan“ gemacht. Seit Freitag wird er in der gesamten arabischen Welt ausgestrahlt, wo er 30 Millionen Zuschauer erreichen kann.

In dem Film werden die beiden kurdischen Filmemacher Shara Amin and Nabaz Ahmed vorgestellt, die zehn Jahre lang mit den Menschen über FGM gesprochen haben. Ein Ehepaar berichtet ihnen von ihrem unerfüllten Sexualleben. Eine Frau zeigt ihnen das Grab ihrer Schwester, die durch eine Infektion nach der Verstümmelung starb. Ein islamischer Geistlicher sagt, dass die Beschneidung von Mädchen Pflicht sei.

Mit Unterstützung der deutsch-irakischen Organisation WADI entstand ein Film, der Kurdistan aufwühlen sollte. Parlamentsabgeordnete wollten ihn sehen, als Wadi-Aktivisten sie drängten, ein Gesetz gegen FGM zu erlassen. Mitarbeiter von WADI zeigten den Film bei Besuchen in Dörfern und diskutierten mit den Frauen darüber. Schließlich erklärte ein Geistlicher, dass weibliche Genitalverstümmelung gegen den Islam sei. Das kurdische Regionalparlament erließ 2011 ein Gesetz gegen FGM. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen in kurdischen Dörfern sagt heute, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen wollen, weil die Praxis gesundheitlich schädlich sei.

Der Dokumentarfilm von BBC und Guardian erzählt diese Geschichte nach. Zudem bricht er mit einem Tabu: Wie ein Mantra behaupten UN und Nichtregierungsorganisationen, die weibliche Genitalverstümmelung habe nichts mit Religion zu tun. Die britischen Filmemacher zeigen indes in Interviews mit islamischen Geistlichen, dass im Gegenteil hier die Mädchenbeschneidung als religiöse Pflicht gilt – wenn auch einige der Geistlichen diese Auslegung ablehnen.

Die Organisation Wadi ist eine der wenigen, die stets auf den Zusammenhang von Religion und FGM hingewiesen haben. Wenn auch die Praxis ihren Ursprung lange vor der Entstehung des Islams hat, so wird doch heute in zumindest einer Rechtschule des Islam die Mädchenbeschneidung gefordert, in zwei weiteren als gute Tat gepriesen. Weil das so ist, muss auch mit einer weiteren Legende aufgeräumt werden: Dass weibliche Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem sei. Nicht nur in Kurdistan, auch im Oman, im Iran, in Malaysia und Indonesien werden Mädchen verstümmelt. Dem Kampf gegen FGM auf dem asiatischen Kontinent widmet sich eine neue Kampagne von Wadi und der niederländischen Organisation Hivos: Stop FGM Middle East.

*Hannah Wettig ist Publizistin und Projektkoordinatorin von Stop FGM Middle East

http://www.publikative.org/2013/10/28/film-ueber-genitalverstuemmelung-in-kurdistan-raeumt-mit-tabus-auf/