HALABJA / ANFAL 1988 / EIN AUFRUF VON WADI e.V. + MESOP

Die Wiederkehr des Verdrängten

MAHNUNG – ERINNERUNG – ENTSCHÄDIGUNG

Erst die deutsche Hilfe beim Aufbau des irakischen Chemiewaffenprogramms machte den Angriff auf die kurdische Stadt 1988 möglich.

25 Jahre nach dem Giftgasangriff auf die Stadt Halabja warten die Opfer noch immer auf Wiedergutmachung und Hilfe aus Deutschland. Doch die Bundesregierung mauert – seit gut zwanzig Jahren – und spielt die deutsche Verantwortung für den Aufbau des irakischen Chemiewaffenprogramms systematisch herunter. Dabei war die deutsche Hilfe beim Aufbau der Chemiewaffenproduktion essentiell: Ohne deutsche »Wirtschaftshilfe« wäre die irakische Giftgasproduktion nicht möglich gewesen.

Von dieser Verantwortung will die Bundesregierung nichts wissen, sondern möchte lieber wieder wirtschaftlich in der Region tätig sein.

Von »außergewöhnlichen Investitions- und Entwicklungschancen« sprach Bundesminister Peter Ramsauer Anfang Februar auf dem Deutsch-Kurdischen Wirtschaftsforum in Erbil. Deutsche Unternehmen stünden bereit, mit »Expertise und Knowhow«. Über die Giftgasangriffe von einst und die deutsche Expertise, die sie überhaupt erst möglich machten, sprach er nicht.

Weltweit wird im März des 25. Jahrestages des Giftgasangriffs auf die kurdische Stadt Halabja gedacht werden. Bereits im Vorfeld hat das Britische Parlament die nach einer Koransure »Anfal« (= Beute) genannten Militärkampagnen der irakischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung in den 80er Jahren als Völkermord anerkannt. Auch in Holland, Schweden und Kanada befassen sich die Parlamente mit dem Thema. Der Angriff auf die Stadt Halabja steht dabei symbolisch für die Folgen einer verantwortungslosen Wirtschaftshilfe, die den Völkermord an Kurden wissentlich in Kauf nahm.

Dieser Verantwortung muss sich auch die Bundesregierung stellen. Noch in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten im Jahr 2010 antwortete sie: »Die Verantwortung für die Vorfälle von Halabja liegt bei der ehemaligen irakischen Regierung unter Saddam Hussein«. Dabei legen zahlreiche Dokumente und Quellen nahe, dass die deutsche Beteiligung nicht nur essentiell für das irakische Giftprogramm war, sondern man sich dessen in Deutschland bereits damals durchaus bewusst war. Geliefert wurde trotzdem.

»Petro-Dollar-Recycling« nannte sich das politisch gewollte Geschäft mit dem Irak seinerzeit. Saddam Hussein erhielt Waffen und Know-How und lieferte im Gegenzug Öl und Gas. Denn der Krieg des Irak gegen den Iran versprach gleich doppelte Dividende: immer wieder neuen (Waffen)Geschäfte und – politisch – die Schwächung des Unruhestifters Iran. Die wirtschaftliche Förderung des irakischen Militärprogramms war kein Unfall, sondern gewollt – und wurde durch die enge Kooperation vor Ort tätiger deutscher Firmen mit Bundesbehörden gefördert. Dabei konnte es keinen Zweifel geben am Willen des irakischen Regimes, auch Massenvernichtungswaffen einzusetzen.

Seit 1980 wurden Giftgaseinsätze durch die irakische Armee gemeldet, bis 1984 zählte das renommierte Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) mehr als 130 Giftgaseinsätze gegen iranische Stellungen. 1984 berichtete die New York Times über die Beteiligung der deutschen Firmen Karl Kolb und Pilot Plant an der Entwicklung und Produktion von Giftgas. Im selben Jahr wurde erstmals auch im Bundestag nach der deutsche Beteiligung an der Produktion von Senfgas und Tabun im Irak gefragt. 1987 griff die irakische Armee zuerst kurdische Dörfer in der Nähe der iranischen Grenze an und im Juni dann die iranisch-kurdische Stadt Sardasht.

Die deutsche Bundesregierung förderte die deutsch-irakische Wirtschaftskooperation zu diesem Zeitpunkt mit Hermesbürgschaften und Krediten.

Halabja

Am frühen Morgen des 16. März 1988 flogen irakische MiG-23 Kampfbomber erste Angriffe gegen Halabja. Es folgten wiederholte Angriffswellen, während derer chemische Kampfstoffe über der Stadt abgeworfen wurden. Eingesetzt wurde ein sog. Cocktail unterschiedlicher Kampfstoffe. Sicher eingesetzt wurden Sarin und Tabun, auch Rückstände von Cyanid wurden gefunden.

 Der Einsatz verschiedener Kampfstoffe sollte die Behandlung der Opfer erschweren. Ein Reporter der Financial Times, der sich während des Angriffs außerhalb der Stadt befand und einer der ersten internationalen Zeugen war, die den Schauplatz danach betraten, berichtete:

»Alles Leben hatte angehalten, wie wenn man einen Film sieht und er plötzlich stehen bleibt. … Man ging in einen Raum, eine Küche, und sah den Körper einer Frau, die noch das Messer hält, mit dem sie gerade eine Karotte geschnitten hat. … Die Nachwirkungen waren noch schlimmer. Bauern kamen zu unserem Hubschrauber. Sie brachten 15 oder 16 Kinder und flehten uns an, sie zu einem Hospital zu bringen. Alle Pressevertreter saßen also da und jeder bekam ein Kind auf den Schoß. Als wir starteten lief irgendeine Flüssigkeit aus dem Mund meines Mädchens und sie starb in meinen Armen.«

80.000 Menschen lebten in der Stadt Halabja, zum Zeitpunkt des Angriffs waren ausschließlich Zivilisten in der Stadt. Zwischen 5.000 und 7.000 von ihnen starben während oder in direkter Folge des Angriffs. In den Straßen stapelten sich die Leichen, blau angelaufen, in schmerzhaften Posen verzerrt. Mehr als 10.000 Menschen, so wird geschätzt, starben bislang an den Folgewirkungen des Angriffs. Dazu zählen schwere Atemnot und Ersticken, Krebs, schwere Missbildungen von Neugeborenen, Todgeburten, schwere Haut- und Augenkrankheiten, Unfruchtbarkeit, neurologische Störungen und schwere psychischen Erkrankungen.

Verantwortung

Die Bundesrepublik Deutschland ist mitverantwortlich für das Leid der Menschen in Halabja. 70 % der irakischen Chemiewaffenanlagen kamen von deutschen Firmen. Der Bundesnachrichtendienst war wenigstens in einer der für den Anlagenbau verantwortlichen Firmen durch Mitarbeiter vertreten. Aus Deutschland kamen die meisten der Lieferungen, mit denen der Irak seinerzeit an der Verbesserung seiner Raketen, von Granaten und Projektilen arbeitete. Politisch untermauert wurde die militärisch-wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Hilfe von Hermesbürgschaften. Die Aufrüstung des Irak war gewollt. Dass das Regime Saddam Husseins dabei auch Massenvernichtungswaffen einsetzt, war spätestens seit Mitte der 80er kein Geheimnis mehr. Und schon lange bevor die irakische Armee Halabja angriff, war bekannt, dass im Norden und Nordosten des Landes eine militärische Kampagne gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Gange war. Nicht nur deshalb ist der Verweis auf die unmittelbare Verantwortung der damaligen irakischen Regierung wohlfeil.

Leugnung

Die subventionierte Aufrüstung des Irak ist ein besonders schmutziges Kapitel deutscher Wirtschafts- und Nahostpolitik, über dessen Beteiligte in den Ministerien und Diensten der BRD nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt wurde. Wann immer eine Bundesregierung seitdem nach der Mitverantwortung Deutschlands gefragt wurde, wird auf die irakische Regierung (als Täter) und die Wirtschaft verwiesen. Erst 1991, nachdem der Irak bereits unter einem Embargo der Vereinten Nationen stand, wurde der damalige Bundeswirtschaftsminister mit der Formulierung eines Berichts über die deutsch-irakische Wirtschafts-Kooperation betraut. Der sog. Möllemann-Bericht wurde sofort als vertraulich eingestuft und nur eine auf wenige Seiten reduzierte Version der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Noch schäbiger als das damalige Irakgeschäft ist nur der Umgang der Bundesrepublik mit den Opfern selbst. Bis heute hat es kein Eingeständnis der Mitverantwortung gegeben und folgerichtig auch keinen Versuch, der unter den Folgen leidenden Bevölkerung substantiell zu helfen. Noch 2010 verwies die Bundesregierung vage auf von ihr mittelbar unterstützte Kleinprojekte deutscher NGO in der Region und auf einen »konstruktiven Dialog mit der irakischen Zentralregierung und der Regierung der Region Kurdistan-Irak.« (Bt-Drs. 17/1022) Es stünde der Bundesregierung gut zu Gesicht, wenn sie nach 25 Jahren etwas mehr, als einen »konstruktiven Dialog« mit der Regierung zu bieten hätte.

Rehabilitation

Die Menschen in Halabja und den umliegenden Gemeinden benötigen dringend Unterstützung bei der medizinischen, sozialen aber auch der historischen Aufarbeitung des Angriffs. Bis heute sind Untersuchungen und Erkenntnisse vor Ort nicht zentral gesammelt. Es herrscht große Unsicherheit über die Folge- und Langzeitwirkungen des Angriffs. Es mangelt an medizinischer, sozialer und psychologischer Betreuung. Seit dem Angriff ist Halabja eine Stadt der Vergangenheit, ein Ort, der an kollektives Leid erinnert, ohne dass den Bewohnern ein Ausweg aus dieser Leidensvergangenheit geboten würde.

Sich der Verantwortung zu stellen hieße, sich zur Partnerschaft mit der kurdischen Stadt Halabja zu verpflichten. Der Bundesrepublik Deutschland muss es, ganz unabhängig von juristisch nachgewiesener Schuld und strafrechtlicher Verantwortung, ein besonderes Anliegen sein, bei der Überwindung der Folgen des Giftangriffes zu helfen. Der kurdischen Stadt Halabja eine Zukunft zu geben ist eine Pflicht, nicht nur den Menschen vor Ort, sondern auch der eigenen Mitverantwortung in der Vergangenheit gegenüber.

Am Anfang muss das volle und umfassende Eingeständnis der Bundesregierung stehen, durch ihre Wirtschaftshilfe in der Vergangenheit dem irakischen Regime die Mittel für einen Völkermord an die Hand gegeben zu haben. Bevor sich die Bundesregierung weiter für die Geschäfte deutscher Unternehmen im Irak einsetzt, sollte sie sich mit jenen auseinandersetzen, die bis heute an den Folgen der damaligen Politik zu leiden haben. Eine verantwortungsvolle und der eigenen Verantwortung bewusste Wirtschaftspolitik würde sich konkret dafür einsetzen, dass

– die Folgen der Giftgaseinsätze in Irakisch-Kurdistan systematisch erforscht werden,

– den Opfern eine medizinische Rehabilitation und angemessene Behandlung möglich wird,

– eine Stiftung in Halabja ins Leben gerufen wird, die ein Dokumentationszentrum und Archiv unterhält

– die betroffenen Gemeinden für die anhaltenden Schäden entschädigt werden.

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 Wadi e.V. + MESOP unterstützen die Aktivitäten des Netzwerks Spey, einem Zusammenschluss von Aktivisten aus den Dörfern und Städten, die mit Giftgas bombardiert wurden. Aus Anlaß des 25ten Jahrestages hat Spey eine Meinungsumfrage in Halabja durchgefuehrt, die am 6. März vor Ort der Presse vorgestellt wurde und legt ausserdem am 13. März eine Studie ueber die medizinischen Langzeitfolgen der Giftgasangriffe vor.

Seit nunmehr 20 Jahren fördert WADI verschiedene Projekte in Halabja und kooperiert eng mit verschiedenen lokalen Organisationen.