GESPALTENE KURDEN IN SYRIEN / PUK IN SYRIEN NAHE DER PYD

Von Thomas Schmidinger – Universität Wien – LeEZA – Verein für Solidarität mit Kurdistan

3.3.2013 – Vor Ort zeigt sich die politische Spaltung der syrischen Kurden deutlich. Etwa in Amûdê, der rund 50 000 Einwohner zählenden Heimatstadt Siedas, wo jeden Freitag gleich drei rivalisierende Demonstrationen stattfinden. Die eine sympathisiert mit dem Syrischen, die andere mit dem Kurdischen Nationalrat und die dritte wird von der PYD organisiert.

Bei der ersten Demonstration sieht man vor allem die grün-weiß-schwarzen Fahnen der Oppositionsallianz. Auf jener des Kurdischen Nationalrats dominiert die kurdische rot-weiß-grüne Fahne mit einer Sonne in der Mitte und auf der Demonstration der PYD überragen die Bilder des PKK-Führers Abdullah Öcalan die Parteisymbole der PYD und der YPG. Frauen treten lediglich bei der PYD-Demonstration als Rednerinnen auf, die Partei gilt als Vorkämpferin für Frauenrechte. Doch finden sich auch bei den anderen beiden Demonstrationen Frauengruppen ein. Alle drei Demonstrationen richten sich gegen das Regime in Damaskus, darüber hinaus gibt es jedoch wenige Gemeinsamkeiten.

Während es den Anhängern des Syrischen Nationalrats vor allem um eine gesamtsyrische Lösung geht und nach deren Vorstellungen alle Fragen über die Zukunft der Kurden nach dem Sturz des Regimes diskutiert werden sollten, geht es den Parteien des Kurdischen Nationalrates eher um die Absicherung einer kurdischen Autonomie. Die PYD wiederum verfolgt ihr eigenes ideologisches Konzept des »demokratischen Konföderalismus« und orientiert sich in ihren politischen und strategischen Entscheidungen stark an der PKK-Zentrale in den irakischen Qandil-Bergen.

»Die Zusammenarbeit mit der Türkei ist eine rote Linie für die PYD«, sagt Hassan Mohammed Ali. So wie Sieda die PYD als verlängerten Arm des syrischen Regimes betrachtet, sieht Ali den SNC als verlängerten Arm der Türkei: »Wir sind bereit, mit allen syrischen Oppositionskräften zusammenzuarbeiten. Diese dürfen aber nicht von ausländischen Mächten benutzt werden.« Für den Fall einer Militärintervention der Türkei oder der Nato droht der PYD-Führungskader, der zugleich Mitglied des Obersten Kurdischen Komitees ist, offen mit militärischem Widerstand.

Die im Guerillakampf der PKK geschulten »Volksverteidigungseinheiten« der PYD sind derzeit mit Abstand die stärkste militärische Kraft in Syrisch-Kurdistan. Bei der Konferenz des Kurdischen Nationalrats, die im Januar in Qamishli stattfand, beschlossen die Mitglieder des KNC allerdings die Einrichtung eines eigenen militärischen Komitees. Ziel ist es, eine gemeinsame syrisch-kurdische Armee aufzubauen, der sich dann auch die YPG unterordnen sollen. Ob diese dabei mitspielen, ist allerdings fraglich. Hassan Mohammed Ali bestreitet, dass es sich bei den YPG um eine Parteimiliz der PYD handle.

Im Konzept des »demokratischen Konföderalismus«, das seit einigen Jahren die früheren marxistisch-leninistischen Vorstellungen (wenn sie diese jemals hatte) der PKK abgelöst hat, sind die »Volksverteidigungseinheiten« und die als Verwaltungsstrukturen gedachten sogenannten »Volksräte Westkurdistans« (TEV-DEM) keine Organe der PYD, sondern »Institutionen des Volkes«. Dem von den anderen kurdischen Parteien erhobenen Vorwurf, autoritär zu agieren, widerspricht Hassan Mohammed Ali mit dem Hinweis auf den angeblich basisdemokratischen Charakter dieser Organe: »Es sind ja nicht wir als Partei, die Westkurdistan regieren, sondern die vom Volk gewählten Volksräte. Wie könnten diese autoritär sein?«

Genau das werfen die anderen kurdischen Parteien der PYD jedoch vor. Zardasht Mohammed vom Politbüro der Kurdischen Demokratischen Unionspartei glaubt nicht, dass es jemals zu einer Einigung mit der PYD kommen werde, weil diese sich nicht an Abmachungen halte. Dabei ist seine Partei unter der Führung von Muhiyuddin Sheikh Ali noch eine der PYD-freundlicheren Parteien innerhalb des Kurdischen Nationalrats. Gemeinsam mit der Schwesterpartei der irakisch-kurdischen Puk, der Kurdischen Demokratischen Fortschrittspartei unter der Führung von Abdul Hamid Hajji Darwish gilt die Demokratische Unionspartei als relativ PYD-freundlich. Bereits im Irak hatte Jalal Talabanis PUK über lange Zeit hinweg bessere Beziehungen zur PKK als Barzanis KDP. Die beiden der PUK nahestehenden Parteien gelten heute auch innerhalb des Kurdischen Nationalrats als relativ kooperationsbereit gegenüber der PYD.

Dem gegenüber stehen jene Mitgliedsparteien des KNC, die sich derzeit um die Schwesterpartei von Barzanis KDP, die Demokratische Partei Kurdistans in Syrien unter Abdul Hakim Bashar sammeln. Gemeinsam mit der PDKS haben sich die beiden erst im Oktober 2011 in zwei Parteien gespaltenen Azadî-Parteien und die Kurdische Unionspartei am 15. Dezember zu einer Dachorganisation zusammengeschlossen, die einmal zu einer einzigen Partei zusammenwachsen und groß genug sein soll, der PYD Konkurrenz zu machen.

Hassan Salih, der 2003 bis 2007 den rotierenden Vorsitz der Kurdischen Unionspartei innehatte und derzeit im Parteivorstand sitzt, kritisiert die PYD entsprechend scharf: »Sie hat eine Ideologie, die nur auf dem eigenen militärischen Kampf aufbaut. Wir haben zwar immer wieder das Gespräch gesucht, aber wegen des Monopolanspruchs der PYD war es einfach nicht möglich, gute Beziehungen zueinander aufzubauen.« Von der PYD verlangt der ehemalige politische Gefangene, dass diese ihre Einheiten unter ein gemeinsames Kommando mit den Parteien des Kurdischen Nationalrats stellt.

Keine der Mitgliedsparteien des Kurdischen Nationalrats will eine Eskalation des Konflikts mit der PYD. Die Furcht vor einem innerkurdischen Bürgerkrieg ist schließlich auch der Hauptgrund, warum jene Peshmerga, also kurdischen Kämpfer, die Massoud Barzani in Irakisch-Kurdistan in den vergangenen Monaten ausbilden ließ, von Barzani zurückgehalten werden und die Grenze zu Syrien bislang nicht überschritten haben. Der Präsident der kurdischen Regionalregierung im Irak betont, dass diese Einheiten nur für den Notfall gedacht seien, um im Falle eines Sicherheitsvakuums die kurdische Zivilbevölkerung Syriens zu schützen, keineswegs, um gegen die »Volksverteidigungseinheiten« der PYD zu kämpfen.

Unter den etablierten kurdischen Parteien kritisieren zwar viele die Untätigkeit der »internationalen Gemeinschaft«, allerdings fordert keine der Parteien des Kurdischen Nationalrats eine Militärintervention.

Genau das wünscht sich allerdings Munzur Eskan, Gründer und Sprecher der 2005 im Untergrund entstandenen parteiunabhängigen »Kurdischen Jugendbewegung«. Nachdem die kurdischen Oppositionsparteien aus Sicht der Jugendlichen in den vom Regime brutal niedergeschlagenen Protesten 2004 versagt hatten, organisierten sich die Jugendlichen erneut gegen das Regime. Die derzeit in zehn Städten aktive Bewegung ist eine der wenigen Gruppen, in denen junge Frauen und Männer zusammenarbeiten.

Eskan, der bereits im Alter von 16 Jahren verhaftet und gefoltert wurde und erst im Jahr 2010 wieder freikam, wünscht sich nicht nur ein militärisches Gegengewicht zur PYD. Im Gegensatz zu den meisten kurdischen Parteien fordert seine Jugendbewegung auch eine internationale Militärintervention gegen das syrische Regime. In der kurdischen Gesellschaft geht nicht nur ein Riss durch die Parteien, sondern auch durch die Generationen. Ein großer Teil der Aktivitäten der syrischen Opposition wird nicht mehr von den Parteien, sondern von unabhängigen Jugendgruppen und anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen getragen. Hisham Shei­kho vom Koordinationsrat der Kurdischen Jugend in Amûdê, einer anderen Jugendbewegung, fordert ebenfalls ein militärisches Eingreifen des Westens. Die Zurückhaltung der kurdischen Parteien kann er nicht verstehen.

Von Kulturgruppen über Frauenvereine bis zu Schülergruppen haben sich in den vergangenen Monaten Hunderte lokaler Organisationen in den kurdischen Städten Syriens gebildet, die oft unabhängig von den Parteien unterschiedliche Initiativen ins Leben rufen und mit unterschiedlichen Strategien gegen das Regime kämpfen.

Einstweilen wird die Versorgungslage der Bevölkerung allerdings auch in jenen Regionen immer schlechter, in denen noch nicht gekämpft wird. In den kurdischen Städten gibt es nur noch rund eine Stunde pro Tag Strom. Benzin und Heizmaterial sind ebenso knapp wie Medikamente. Die ohnehin schon notleidende Bevölkerung muss zudem mittlerweile rund 500 000 intern Vertriebene, die aus anderen Regionen Syriens kommen und in den noch relativ sicheren kurdischen Gebieten Schutz suchten, versorgen. Hierher kommen bislang keine internationalen Hilfsorganisationen. Die Grenze zur Türkei ist geschlossen und wer Waren in die Region bringen muss, kann es entweder über den Irak versuchen oder einen illegalen nächtlichen Grenzübertritt wagen. Drei Millionen Menschen allein in den kurdischen Regionen werden sich auf diese Weise nicht versorgen lassen.

Die einzige Hoffnung bleibt ein baldiges Ende des Krieges. Kaum jemand erwartet allerdings, dass mit dem Sturz Assads auch die bewaffneten Konflikte zu Ende sind. Die Kämpfe in Serê Kaniyê lassen derzeit zumindest die kurdischen Parteien zusammenrücken. Ein innerkurdischer Konflikt wird damit im Moment unwahrscheinlicher.

(Leicht gekürzt)