Gentherapie am Embryo : Bühne frei für das biopolitische Theater!
MESOPOTAMIA NEWS : DER WAHRE ANTIRASSISMUS MIT ABSOLUTER GEICHHEIT ALLER KOMMT AUS DER RETORTE / GRÜSSE AUS DEM ROTCHINESISCHEN LABOR
– Ein Kommentar von Joachim Müller-Jung FAZ – 10.09.2020-13:01
In einem chinesischen Labor werden gentechnisch veränderte tiefgerfrorene menschliche Embryonen aus einem Behälter gezogen: das Szenario ist 2018 durch den Genforscher Jiankui He in Shenzhen erstmals öffentlich gemacht worden.
Wieder wollte eine Kommission von Weltrang die Menschheit wachrütteln – und wieder wurde dabei kläglich versagt. Der Verweis auf die Sicherheitslücken bei Eingriffen ins Erbgut zementiert nur das Tabu und verlängert unnötigerweise das Schweigen über unsere Zukunft als Gendesigner.
Die nicht unwesentliche Frage, ob wir wollen, dass unsere Kinder gentechnisch programmiert und wir damit das moralische Selbstverständnis der menschlichen Natur selbst preiszugeben bereit sind, wie das der Philosoph Jürgen Habermas vor Jahren zu bedenken gab, steht akut nicht im Raum. Nicht in Berlin jedenfalls. Wenn es so wäre, hätten wir in diesen sozialmedial aufgewühlten Zeiten ganz bestimmt über Twitter davon erfahren. Aber an der Menschenwürdefront ist es derzeit verdächtig still, wenn man das in bioethischen Friedenszeiten so frech sagen darf.
Dazu, dass das auch so bleibt, sollte nun augenscheinlich ein 224-Seiten-Papier beitragen, das vor einigen Tagen von der „Internationalen Kommission zum klinischen Einsatz von Genom-Editierung in der Keimbahntherapie“ veröffentlicht wurde. Die Kommission wurde nach dem Gentherapie-Skandal um die Geburt chinesischer Zwillingsmädchen vor zwei Jahren von nationalen Wissenschaftsakademien mit 18 Experten aus zehn Ländern besetzt. Sie hat jetzt also niedergeschrieben, wie es mit der Wünsch-dir-was-Medizin aus den Genlaboren weitergehen soll. Um es kurz zu machen: Pause in der Retorte!
Vom einstigen Tabu zur Möglichkeit
Erst mal sollen keine weiteren Kinder gezeugt werden, die durch einen Eingriff in der Frühphase der Embryonalentwicklung gentechnisch verändert und damit möglicherweise vor einer tödlichen Krankheit geschützt werden sollen. Der Grund: Technisch sei die Sache noch nicht im Griff, die verwendeten Gen-Scheren seien immer noch zu fehlerträchtig. Das deckt sich mit anderen Einschätzungen, auch der des Deutschen Ethikrates. In ein paar Monaten wird zudem die Weltgesundheitsorganisation eine Ergänzung vorlegen mit, wie es heißt, weiter gehenden ethische Abwägungen. Doch auch da wird es wohl vor allem darum gehen, die Gemüter zu beruhigen.
Der Anschein des Tabus soll gewahrt bleiben. Gesundheitsschutz in seiner technisch avanciertesten Form – als präventiver Eingriff in die Keimbahn nämlich – ist für die Kommission jedenfalls erst dann schrittweise denkbar, wenn das Verfahren sicher ist und eine breite „gesellschaftliche Debatte“ stattgefunden hat. In den Gesellschaften, die damit gemeint sind, liest man das wahrscheinlich wie alle anderen Dokumente bisher: wie ein Stoppschild für Forscher. Die Gen-Scheren-Forschung an Embryonen will aber eigentlich gar keinen Halt einlegen.
Vielmehr setzt die geäußerte Absicht, unter der Maßgabe der technischen Sicherheit irgendwann doch noch gentechnisch veränderte Nachkommen zu tolerieren, die technische Verfeinerung der Embryonenexperimente geradezu voraus. Und in Ländern wie Japan oder Russland sind die legalen Hürden dafür auch keineswegs so unüberwindbar wie bei uns.
Die Akademie-Kommission vertritt also eine ethische Position, die der Tübinger Ethiker Robert Ranisch richtig auf den Punkt gebracht hat: „Aus dem einstigen Tabu ist eine Möglichkeit geworden.“ Dass in den Foren und auf Twitter trotzdem nicht wenigstens ansatzweise die geforderte „gesellschaftliche Debatte“ aufblitzt, zeigt ein Dilemma: Auch diese hochrangige Kommission hat fachlich geliefert – aber mit ihrer Weigerung, die kritischen, existentiellen Fragen – das Mögliche – der künftigen Entwicklung stärker und damit offensiver zu thematisieren, ihren selbstgestellten Diskurs-Auftrag nicht erfüllt.