Eklat unter US-Wissenschaftlern Hitler, feministisch gelesen

MESOPOTAMIA NEWS: IN DEKONSTRUKTIVEN FEMINISTISCHEN ZEITEN LÄSST SICH SELBST DER „FÜHRER“ TEXTUELL NOCH UMWANDELN

Drei Forschern ist ein böser Streich gelungen: Sie haben Teile der linken “Gender Studies”-Szene mit grotesken Fälschungen blamiert. Nun werden sie als Rechte geschmäht – dabei geht es um etwas ganz anderes.

Eine Kolumne von Christian Stöcker DER SPIEGEL

“Das Problem mit der Linken der Gegenwart ist, dass sie entschieden hat, bestimmte Formen von Identität mehr und mehr zu feiern. Statt Solidarität um große Kollektive wie die Arbeiterklasse oder die wirtschaftlich Ausgebeuteten herum aufzubauen, hat sie sich auf immer kleinere Gruppen konzentriert, die auf sehr spezifische Weise marginalisiert werden.”

Francis Fukuyama, “Identity” (2018)

Der seltsamste der Artikel, die Helen Pluckrose und ihre Komplizen veröffentlichen konnten, ist der mit den Hunden.

Darin behauptet die – fiktive – Autorin, sie habe in einem Park in Portland, Oregon, die Genitalien von knapp 10.000 Hunden inspiziert und die Herr- und Frauchen dabei über deren sexuelle Orientierung und Präferenzen befragt. Das wiederum soll irgendetwas mit “queerer Perfomativität” zu tun haben. In dem Text wird vorgeschlagen, Männer wie Hunde zu trainieren, damit sie nicht zu Vergewaltigern würden.

Helen Pluckrose, James A. Lindsay und Peter Boghossian, drei Wissenschaftler mit einer Mission, haben binnen eines guten Jahres 20 derartige Texte produziert, nach den Regeln und mit dem Literaturkanon der jeweiligen Fachrichtungen. Unter falschen oder geborgten Namen reichten sie die Artikel bei Fachzeitschriften ein. Bevor der Prozess abgeschlossen war, flogen sie auf – doch diverse Artikel waren schon erschienen, andere angenommen, weitere steckten im Überarbeitungsprozess. Nun kann man die grotesken “Forschungsarbeiten” online nachlesen – samt zum Teil sehr befremdlichen Kommentaren von Gutachtern.

Mit einer ähnlichen, aber viel kleineren Aktion hatte ein Physiker namens Alan Sokal schon vor mehr als 20 Jahren einmal für Aufsehen gesorgt. Noch immer geht es um den gleichen Streitpunkt – die Frage, was wissenschaftliche Objektivität ist.

Die Geisteswissenschaften sind mit solchen Problemen nicht allein: Auch unter Empirikern gibt es immer wieder Skandale um fragwürdige Studien. Selten jedoch werden sie in satirischer Absicht verfasst.

“Fat Body Building”

Einer der nun akzeptierten Artikel enthält die These, dass es sinnvoll sei, dem Bodybuilding eine Ergänzung namens “Fat Body Building” an die Seite zu stellen. Aktives und stolzes Arbeiten am eigenen Übergewicht müsse als legitimer Sport akzeptiert werden.

Ein anderer Artikel bestand aus umgeschriebenen und mit aktuellem kulturwissenschaftlichen Jargon angereicherten Passagen aus “Mein Kampf”. Einer warb für die Ermächtigung einer “feministischen künstlichen Intelligenz” mit absichtlich irrationalen Aspekten. Einer enthielt den Vorschlag, “Privilegierte”, also weiße Männer, in universitären Lehrveranstaltungen zum Schweigen zu verpflichten und sie zu zwingen, in Ketten auf dem Boden zu sitzen. Ein anonymer Gutachter bescheinigte diesem Artikel, er werde “nach einer Überarbeitung einen starken Beitrag zu der wachsenden Literatur über epistemische Ungerechtigkeit im Unterricht leisten”.

Lindsay und Boghossian hatten eine ähnliche Aktion vor einigen Jahren schon einmal versucht – damals ging es um die Schuld des Penis am Klimawandel. Nun ging das Trio systematischer vor und zielte auf Zeitschriften mit echtem Renommee.

In der kultur- und geisteswissenschaftlichen Szene in den USA hat der aufwendige Streich einen Skandal ausgelöst. Die Herausgeber der vorgeführten Zeitschriften sind beleidigt, manche feministischen Wissenschaftlerinnen nennen die Aktion “einen koordinierten Angriff von rechts”. Andere vertreten eher die Position: “Endlich sagt’s mal jemand.”

“Feministische Gletscherforschung”

Tatsächlich geht es Pluckrose und ihren Mitstreitern um weit mehr als einen bösen Streich. Pluckrose, die sich selbst als linksliberal betrachtet, kritisiert schon seit einiger Zeit in langen Essays durchaus einflussreiche Strömungen innerhalb der postmodernen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften. Problematisch findet sie – und damit ist sie nicht allein – vor allem den sogenannten sozialen Konstruktivismus.

Bestimmten Ausprägungen dieser Denkschule zufolge ist Objektivität ein fragwürdiges Konzept. Wissen wird nicht empirisch erworben, sondern stets sozial konstruiert, und dabei spielen immer die aktuellen Machtverhältnisse eine zentrale Rolle. Jede Beziehung zwischen Menschen und Gruppen ist demzufolge stets eine Machtbeziehung, die Welt muss stets durch die Perspektive dieser Machtbeziehungen betrachtet werden. In seinen extremsten Ausprägungen führt der soziale Konstruktivismus zu so aberwitzigen Schlussfolgerungen wie der, dass wir tatsächlich eine “feministische Gletscherforschung” brauchen. Das hier verlinkte Paper ist kein Hoax, sondern eine in einer echten Fachzeitschrift erschienene Publikation aus dem Jahr 2016.

Antiaufklärerisch

Es geht hier nicht nur um die Frage, ob naturwissenschaftliche Methoden überhaupt akzeptabel sind, weil sie überwiegend von weißen Männern entwickelt worden sind – auch wenn Hunderttausende Wissenschaftlerinnen damit selbstverständlich kein Problem haben.

Wichtig ist die zugegebenermaßen fiese Aktion auch deshalb, weil im Umfeld des radikalen Konstruktivismus Ideen entstanden sind, die schlicht antiaufklärerisch sind. Mittlerweile erscheint es manchen akademisch gebildeten Menschen offenbar akzeptabel, Privilegierte aktiv zu bestrafen, gewissermaßen den Spieß umzudrehen – indem man sie zum Beispiel in Ketten legt, aus pädagogischen Gründen natürlich. Anderswo gelten Yogakurse als zu verdammende “kulturelle Aneignung”, basierend auf der Enteignung einer Gruppierung, die “Unterdrückung und kulturellen Genozid” habe erdulden müssen.

Aus Antidiskriminierung wird Zersplitterung

Am Ende kann dieses Denken paradoxerweise dazu beitragen, dass Prinzipien von Gemeinschaft und Solidarität, von universellen Werten und einem gemeinsamen Menschheitsschicksal plötzlich illegitim erscheinen – alles unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Wenn es in jeder Situation Unterdrücker und Unterdrückte gibt, wie soll da ein Konsens entstehen? All das sei eben, anders als manche behaupten, keine Fortführung der US-Bürgerrechtsbewegungen,so Pluckrose und Lindsay, sondern ein Irrweg.

Der Widerstand, der den drei Übeltätern nun aus Teilen der akademischen Szene entgegenschlägt, ist heftig und teilweise hässlich. Und natürlich gibt es auch Beifall von ganz rechts, den sich Pluckrose et al. nicht wünschen, aber erwartet haben.

Weite Teile der nun geäußerten Kritik haben die drei selbst vorweggenommen. Eines der fingierten Paper, publiziert im durchaus anerkannten feministischen Philosophiemagazin “Hypatia”, vertritt die wenig meinungsfreiheitsfreundliche These, “dass akademische Streiche und andere Formen satirischer oder ironischer Kritik an Social-Justice-Forschung unethisch und ignorant sind”.

“Wenn sie uns jetzt kritisieren wollen”, schreiben Pluckrose, Lindsay und Boghossian leicht gehässig, “müssen sie uns zitieren”.  www.mesop.de