DU FEMINISTISCH-LESBISCHE NAZI-SCHLAMPE  – WANN GEBT IHR ENDLICH DEN GESAMTEN SCHLÜSSEL AB – AN UNS! ?   –  Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah,  – DEUTSCHLAND 2021

MESOPOTAMIA NEWS : GENOZID DURCH GENTRIFIZIERUNG  / PATRICK BAHNERS (FAZ 3. März 2021)

Zwei Künstler greifen eine Berliner Buchhandlung an, um alle Deutschen zu treffen. Eine Episode aus dem gegenwärtigen Kulturkrieg.

Ein Märchen wird wahr. Mitten in Berlin. Eine junge Frau erfüllt sich ihren Kindheitstraum. Die Covid-19-Seuche erzwingt, dass überall in Deutschland die Ladengeschäfte schließen. Emilia von Senger, so heißt die junge Frau, kann eine Buchhandlung eröffnen. Das Ladengeschäft befindet sich am Kottbusser Damm, im Grenzgebiet von Neukölln und Kreuzberg. „She said” nahm im Dezember 2020 den Betrieb auf. Die Eröffnung des in den Laden integrierten Cafes muss noch warten. Der Name der Buchhandlung ist von einem Buch inspiriert: „Sagte sie”, erschienen 2018 bei Hanser Berlin, „17 Erzählungen über Sex und Macht”, verfasst ausschließlich von Frauen.

Das Konzept der Buchhandlung ist der Gedanke, dass die von der patriarchalischen Gesellschaft überhörten und mundtot gemachten Erzählstimmen ihren eigenen Raum bekommen sollen. Nicht nur Frauen: Vorgehalten wird, wie es einer der zahlreichen Artikel formulierte, die über das Projekt in Internetmedien erschienen sind, „Papier, das ausschließlich von Frauen und queeren Personen beschrieben wurde”. Autorinnen und „Autor*innen”, die von der heterosexuellen Norm abweichen, gelten hier als natürliche oder geborene Verbündete — so könnte man sagen, aber man müsste andere Adjektive verwenden.

Emilia von Sengers persönliche Vision nahm Gestalt an, indem sie die Gründung ihres Unternehmens in aller Öffentlichkeit ins Werk setzte, genauer gesagt in einer besonderen Öffentlichkeit, ihrem Kanal bei Instagram. Über Monate konnte man miterleben, wie sie ein Ladenlokal suchte und ihr Sortiment zusammenstellte. Ihre Follower ließ sie über die Optionen für das eigens geschreinerte Mobiliar diskutieren. Man kann die Gründungsgeschichte von „She said” in den sozialen Medien bis zu den allerersten Anfängen zurückverfolgen. Emilia von Senger erfüllte sich einen Wunsch und erfüllte zugleich eine Verheißung der Literatur: Indem sie. sich nach Lehrjahren in einer „Kiezbuchhandlung” in Friedrichshain selbständig machte, brachte sie einen Prozess der Selbstfindung zum Abschluss.

Bei Instagram wie in Blogartikeln von Mitleserinnen sind die Stadien dieses Prozesses der optimierten Selbstdarstellung archiviert. Mit einer Krise begann es: Eine Krankheit zwang sie, den Beruf der Lehrerin aufzugeben. Sie zog für einige Monate wieder zu ihrer Mutter, und das Lesen war ihre Rettung. Wie kam es, dass Emilia von Senger ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte? Sie führte ‘bei Instagram, wo Öffentliches und Privates überblendet werden, ein Lesetagebuch, und mit ihren Lektüren setzte sich die Lesende selbst in Szene. Mit dem Lesepensum, der selbstauferlegten Verpflichtung, den überwiegenden Teil ihrer Lesezeit Autorinnen zu widmen, was sie selbst mit dem Wort “Quote” bezeichnet, änderte sich ihre fotografisch dokumentierte Selbstdarstellung. Auf den Fotos, die zu ihren Interviews gestellt werden, füllt sie jetzt in Habitus und Styling perfekt die Rolle der Pionierin aus, die den ersten queerfeministischen Buchladen Deutschlands gegründet hat. Stilisierung und Authentizität steigern sich wechselseitig: Auch das gehört zum Versprechen der Literatur.

In den Interviews spricht die Buchhändlerin nie nur von sich. Sie gibt sich einer sozialen Phantasie hin, malt sich die Lokalisierung des riesigen Dachklubs aus, den sie bei Instagram entdeckte. „Ich lege einen Fokus auf die Gemeinschaftsbildung.” Eine Buchhandlung als „politischer Ort”, „Community-Space” und „Raum der Begegnung”: Unter allen diesen Formeln für die soziale Zweckbestimmung des Ladengeschäfts gibt es eine, in der alle utopischen Hoffnungen dieser Gründung zusammenschießen — „She said” soll ein „Safe Space” sein, ein Raum für alle, die ihre Existenz in der Gesellschaft als unsicher erleben. Diese Sicherheit ist am 15. Februar mit brutaler Gewalt zerstört worden.

Die Angreifer brachten nicht die physischen Mittel zum Einsatz, die man von früheren Straßenkämpfen in Kreuzberg kennt, Farbbeutel und Blausäure. Emilia von Senger wurde zum Opfer symbolischer, psychischer Gewalt. Gelegentlich hatte sie in Interviews von ihrer Angst gesprochen, die dadurch ausgelöst wurde, dass „es Leute gibt, die uns online und auch auf der Straße vor dem Laden beschimpfen oder extra falsche Pronomen für Teammitglieder benutzen”. Aber diese Aggression kam von außen und konnte daher außen vor bleiben. Sie sagte: „Der Widerstand bestätigt nur, dass wir auf dem richtigen Weg sind.” Der Angriff am 15. Februar kam von innen, aus ihrer eigenen Gegenwelt. Er wurde auf Instagram geführt.

Dort kommen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah, zwei in Berlin lebende Künstler, zu einem wöchentlichen Videodialog zusammen. Sie gehören nicht zu den Leuten, die andere durch unsensible Verwendung von Pronomina kränken. Im Gegenteil legt Varatharajah Wert darauf, weder mit einem männlichen noch mit einem weiblichen Pronomen bezeichnet zu werden. Das zweistündige Video unterbreitet den Vorschlag, von den in Deutschland geborenen Deutschen als „Menschen mit Nazihintergrund” beziehungsweise „Genozidhintergrund” zu sprechen.

Es skandalisiert den Umstand, dass bei allem hierzulande ererbten Kapital in der Kette der Vermächtnisse früher oder später ein Erblasser aus der Zeit des Nationalsozialismus angenommen werden kann. Das ist in der Sicht von Hilal und Varatharajah der Schlüssel zur Machtverteilung in der deutschen Gesellschaft, das offene Familiengeheimnis des Kollektivs der Nichtmigranten und auch das Geheimnis der deutschen Kultur, die diese Machtverteilung zur Darstellung bringt und kaschiert.

Emilia von Senger erwähnte gelegentlich, dass sie die Mittel für die Ladengründung einer Erbschaft verdankt. Die Lebenslüge der geborenen Deutschen machen Hilal und Varatharajah daran fest, dass sie nicht sagte, von wem sie das Geld geerbt hat, und dass die Interviewer nicht nachfragten. Triumphierend erzählen sie, dass eine simple Internetrecherche, das bloße Googeln des Namens Emilia von Senger genügt, um herauszufinden, dass sie aus einer alten oberfränkischen Adelsfamilie stammt und dass es Vorfahren gibt, die „im Nationalsozia-lismus tätig” waren. Ihr Urgroßvater war General der Wehrmacht, ihr Großvater ebenfalls Offizier im Weltkrieg und General der Bundeswehr.

Die „Süddeutsche Zeitung” hat die Affäre mit dem Satz zusammengefasst: „Die Besitzerin einer queer-feministischen Buchhandlung gerät in Erklärungsnot, weil ihre Vorfahren Nazis waren.” Waren die Generäle Fridolin und Ferdinand von Senger und Etterlin Nazis? Der Militärhistoriker Sönke Neitzel hat gegenüber dieser Zeitung eine sehr differenzierte Einordnung beider Personen vorgenommen. Der Vater hatte demnach „ein deutlich distanziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus” und war „einer der selbstkritischsten Generäle der Wehrmacht”. Den Sohn, der „sich in prominenter Weise am Aufbau der demokratischen Armee der Bundesrepublik beteiligte”, möchte Neitzel „als einen humanistisch gebildeten Krieger bezeichnen”. Aber beide operierten „im System der Wehrmacht, das an sich schon verbrecherisch war”.

Varatharajah behauptet, dass beide Sengers „wahrscheinlich” an Massakern an der Zivilbevölkerung beteiligt gewesen seien. Aber aus der verbrecherischen Natur des Systems lässt sich individuelle Schuld an postulierten Verbrechen nicht ableiten. Die Ankläger Emilia von Sengers praktizieren eine Hermeneutik des Totalverdachts, nach der sie alles bewerten, was die Buchhändlerin je gesagt und getan hat. Vor Jahren hatte sie die 1981 von Piper verlegten Jugenderinnerungen ihrer Großmutter als eines ihrer Lieblingsbücher benannt, zwischen Sylvia Plath .und Annie Ernaux. Ihre Instagram-Richter vermuten in den Memoiren Ebba von Sengers ein Werk des „Revisionismus” — aber das wäre nur durch Lektüre zu erweisen.

Die Gentrifizierung, die Emilia von Senger durch die Anmietung eines Ladenlokals am Kottbusser Damm betreibt, setzt in der totalitären Logik des Künstler-Tribunals die genozidale Geschäftstätigkeit der Wehrmacht an der Ostfront fort. Wie kann man einer Buchhändlerin sogar einen Vorwurf daraus machen, dass sie Angestellte beschäftigt? Die herbeiphantasierte Ausnutzung prekärer Verhältnisse wird in eine Kontinuität zur Zwangsarbeit gestellt.

Es ist offensichtlich, dass Emilia von Senger dadurch zum Opfer prädestiniert war, dass sie alles richtig gemacht hatte, dass sie mit ihrer Ladengründung alle Forderungen auf unbedingte Inklusion erfüllen wollte. In einem Interview hatte sie selbst von ihren Privilegien gesprochen: Das wurde ihr höhnisch vorgehalten, als Schuldeingeständnis, das leider nicht zur Strafminderung führt.

Zuletzt konnte man häufig die Frage hören, was denn daran bedenklich sein könne, wenn Gruppenidentität zum moralischen Argument werde. Der Berliner Fall gibt eine Antwort: Hier wird der Bevölkerungsmehrheit der Prozess gemacht, nach dem unbarmherzigen Prinzip der Sippenhaftung. Auf Instagram hat Emilia von Senger schon angekündigt, dass sie nun den „überfälligen Schritt gehen” werde: Sie wolle über ihre „Nazi-Familiengeschichte sprechen”. Aber ihr Traum ist zerstört.

Den Ort, an dem alle Guten sicher wären, weil böse immer nur die Außenwelt ist, gibt es nicht.

PATRICK BAHNERS