Deutschland-Kurs für syrische Flüchtlinge: “Schwulsein verboten, Nazis erlaubt?” / KULTURELLE UMERZIEHUNG

Aus Beirut berichtet Ulrike Putz – Lehrerin Zeinab Artel: Was ist in Deutschland erlaubt, was tabu? –  SPIEGEL ONLINE – 15.2.2014

Syrische Flüchtlinge, die nach Deutschland umsiedeln, müssen vorher einen “Kurs für kulturelle Orientierung” absolvieren. Es geht um Mülltrennung, Nazis, Schwulenrechte. Und die Frage, wo man in der Bundesrepublik sein Schaf schlachten darf.

Im Grunde hat Familie Fares nichts dazugelernt. Drei Tage lang hat Lehrerin Zeinab Artel auf die vier Erwachsenen eingeredet: In Deutschland darf man niemanden bestechen. Wer versucht, einen Beamten zu schmieren, macht sich strafbar. Auch “Geschenke”, mit denen sich Gefälligkeiten gesichert werden, sind nicht erlaubt.

Doch alte Gewohnheiten sitzen tief, und so versuchen die Fares gerade, einen Platz auf dem nächsten Flieger nach Deutschland zu organisieren – mittels Bestechung. Ob nicht die Lehrerin beim Herrn Doktor ein gutes Wort einlegen könnte, so dass der seine gebrechliche Mutter flugfähig schreibt, drängelt Anas Fares. Man könne da doch sicher ein Arrangement finden, das alle zufriedenstellt.

Artel lacht über solche Angebote: “Natürlich verstehen meine Schüler nicht, was ein Leben ohne Bestechung bedeutet”, sagt die 28-Jährige im Beiruter Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Syrien sei bis ins Mark korrupt, wie es Kleptokratien eben so seien. “Ihr ganzes Leben war auf Schmiergeld aufgebaut. Nur so konnten sie etwas erreichen”, sagt Artel über die syrischen Flüchtlinge, die sie in einem dreitägigen Crash-Kurs auf ihr neues Leben in Deutschland vorbereitet.

5000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien sollen in Deutschland Unterschlupf finden. Darunter fallen Familien wie die von Anas Fares, der einerseits eine schwer herzkranke Mutter und andererseits drei Kleinkinder hat. Auch der syrische Sänger, der wegen Kinderlähmung nur mühsam laufen kann und sich im Kurs durch flotte Sprüche Aufmerksamkeit verschafft, fällt in diese Kategorie. Und dann sind da Familien wie die Maaz, die just zum Kriegsbeginn 2011 zum Christentum konvertierten und seitdem daheim ihres Lebens nicht mehr sicher sind.

“Kurs zur kulturellen Orientierung für Deutschland”

Doch vor einer Ausreise nach Deutschland haben die Behörden den “Kurs zur kulturellen Orientierung für Deutschland” gesetzt. Während ihre Kinder nebenan unter Aufsicht Ritterbilder ausmalen, mühen sich 25 Erwachsene, das deutsche Wesen zu begreifen. Es geht um Bürokratie, die Arbeitssuche, das Gesundheitswesen, aber auch um für Syrer Unerhörtes: “In Deutschland ist die Polizei auf deiner Seite, sie wird dir helfen”, versichert Artel ihren skeptischen Schülern: Im Polizeistaat Baschar al-Assads dürften die Wenigsten von ihnen Gutes mit der Staatsmacht assoziieren.

Höhepunkt des Kurses ist der Moment, an dem Artel laminierte Fotos austeilt. Die Auswanderer müssen anhand der Bilder raten, was erlaubt, was verboten ist. Vieles erklärt sich von selbst: Diebstahl, Drogen, Gewalt gegen Frauen, das wird zu Hause in Syrien auch geahndet.

Doch dann wird es schon knifflig: Ein Bild zeigt ein Schaf, dem gerade die Kehle durchgeschnitten wird. “Weder in der Wohnung, auf dem Balkon noch auf der Straße dürfen Tiere geschlachtet werden”, erklärt Artel. “Aber wie soll das denn gehen? Wenn geheiratet wird, muss man doch ein Schaf schlachten”, wundert sich Murhaf Kasuha, der vor dem Krieg in der Stadt Kusair drei Kleidergeschäfte betrieb.

Seine Kinder sind elf und sieben Jahre alt, Kasuhas Läden und sein Haus liegen in Trümmern. In der Pause zeigt er Fotos herum. “Wir können nicht zurück, ich sehe uns in Deutschland alt werden” sagt der 42-Jährige, seine 38-jährige Frau nickt. Für sie ist es deshalb sinnvoll, schon jetzt an zukünftige syrische Hochzeiten ihrer Kinder in Deutschland zu denken. “Bring das Schaf zum Schlachter, schächte es da”, rät die Lehrerin.

Das nächste Bild zeigt einen Mann mit drei Frauen im Arm: “Die islamische Mehrehe ist verboten”, erklärt Artel und hält dann ein Piktogramm hoch, das zwei Händchen haltende Männer mit einem Liebesherz zeigt. “Schwul sein ist verboten!” ruft ein Mann. “Falsch!”, sagt Artel und löst damit ungläubiges Gelächter aus. Homosexualität sei Teil der persönlichen Freiheit, die in Deutschland jeder genieße. “Wenn ihr im Café zwei Männer zusammen seht, dürft ihr eure Abscheu nicht zeigen”, sagt sie.

Bitte pünktlich sein – auf die Minute

So geht es weiter: Kinder dürfen nicht geschlagen werden, die Deutschen nehmen Pünktlichkeit bis auf die Minute ernst und dann ist da noch die Sache mit der Mülltrennung. Doch erst als die Lehrerin ein Hakenkreuz auf rotem Grund hochhält, ist die Verwirrung perfekt: “Wieso darf man die Nazi-Fahne nicht zeigen?”, wollen die Flüchtlinge wissen. “Sind die Deutschen nicht stolz auf ihre Geschichte?”

Dazu muss man wissen, dass Adolf Hitler im Nahen Osten von manchen bis heute verehrt wird. Dass das Nazi-Regime die Vernichtung der Juden betrieb, gilt solchen – offen antisemitischen – Arabern als verdienstvoll. Doch den Deutschen deshalb Komplimente zu machen, sei eine ganz schlechte Idee, warnt Madame Zeinab. “Hitler, Nazis, der Holocaust: Vergesst es einfach. Die Deutschen sind da sehr empfindlich.”

“Für uns ist das alles verwirrend”, sagt Vater al-Maaz, der wegen seines christlichen Glaubens verfolgt wird. “Doch unsere Kinder werden das alles von klein auf lernen. Sie sollen kleine Deutsche werden.” http://www.spiegel.de/politik/ausland/beirut-deutschland-kurs-fuer-fluechtlinge-aus-syrien-a-951604.html