Das Israelbild von Götz Kubitscheks „Sezession“ von Marcus Ermler / 19.05.2020 / achgut achse

„Wer den ,Zionismus‘ angreift, aber beileibe nichts gegen die ,Juden‘ sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat“, hat der Literaturwissenschaftler Hans Mayer einmal so passend geschrieben. Doch im Umfeld der AfD bewegen sich Gralshüter der einen „rechten“ Lehre, deren Bewertung des „Judenstaats“ bis in den offen zelebrierten Antizionismus abzugleiten vermag.

So der ehemalige Linke Jürgen Elsässer und sein Compact-Magazin. Die Antisemitismusforscher Marc Grimm und Bodo Kahmann bezeichnen Elsässers Postille in ihrer Publikation „AfD und Judenbild“ als „publizistisches Flaggschiff des antisemitisch grundierten Israelhasses“ in Deutschland. Und wie sieht es mit Björn Höckes Spiritus Rector Götz Kubitschek und dessen Theorieblatt Sezession aus? Ist auch die Sezession solch ein „publizistisches Flaggschiff des antisemitisch grundierten Israelhasses“?

Juden als Diebe des palästinensischen Landes

Was zunächst überraschen mag: Bei der konkreten Darstellung Israels konvergiert die Sezession interessanterweise mit dem Framing progressiver Anti-Israel-Bewegungen. Im Mittelpunkt dabei immer wieder Sezession-Autor Martin Lichtmesz. So stuft Lichtmesz in seinem Artikel „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom 30. Januar 2020 den Staat Israel als einen verspäteten „Siedler- und Kolonialstaat“ ein, der „auf der stupenden Idee beruht, ein vertriebenes Volk habe nach zwei Jahrtausenden ein Recht auf Rückkehr“. Was man überdies, so Lichtmesz weiter, „den 1948ff vertriebenen Palästinensern kategorisch verweigert“. Die antizionistische Schauergeschichte vom Juden als Dieb des palästinensischen Landes:

 

Dieser ‚identitäre‘ Staat wurde in einem Raum gegründet, der allen Hasbara-Mythen zum Trotz, die sich in den Köpfen vieler hiesiger Israelfans festgesetzt haben, blöderweise bereits besiedelt war. Er konnte sich nur durch Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische Säuberung konstituieren […] Ohne diese militärische Kontrolle über den Gazastreifen und das Westjordanland könnte Israel nicht existieren. Die dort lebenden Palästinenser besitzen ‚keine Bürgerrechte und kein demokratisches Mitbestimmungsrecht über ihre Zukunft‘ (Pappe) – von der Gewalt, der Unterdrückung, den Schikanen und Massakern, denen sie seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, ganz zu schweigen. Das relativiert das Bild der ‚einzigen Demokratie im Nahen Osten‘ doch erheblich.“

 

In seinem Text „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ vom 18. Februar 2020 verbindet Lichtmesz die antizionistische Etikettierung vom Juden als Dieb des bereits von Palästinensern „besiedelten Gebietes“ mit dem vermeintlichen Mythos der einzigen Demokratie im Nahen Osten, die in ihrer Wirklichkeit als „ethnischer Siedler- und Kolonialstaat“ doch gar keine sei, um daraus zu schließen, dass die Juden doch selbst schuld sind an ihren Problemen:

Israels Sache sei nicht bloß, dem jüdischen Volk eine nationale Heimstatt zu schaffen, sondern Israel sei ein Vorposten der ‚westlichen Zivilisation‘, der ‚Demokratie und Menschenrechte‘, im Kampf gegen den ‚Islamismus‘ und so weiter. Wie ich bereits darstelle, muß dies als Mythos zurückgewiesen werden. Israels innen- wie außenpolitische Probleme sind das Resultat seiner Gründung als ethnischer Siedler- und Kolonialstaat auf besiedeltem Gebiet.“

Narrative der israelfeindlichen BDS-Kampagne

Was sich hierin zeigt, sind Narrative der israelfeindlichen BDS-Kampagne von einer Demokratie, die in Wirklichkeit doch gar keine sei, oder von „Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische[r] Säuberung“ gegen „die dort lebenden Palästinenser“. Erzählungen von  progressiven Israelhassern, wie ich es unlängst im Achgut.com-Artikel „Anti-Israel-Forschung, finanziert vom Auswärtigen Amt“ aufgezeigt habe. Man erkennt also im Grunde ein rechtes Duplikat linken Antizionismus‘.

Bereits im Jahr 2010 hat sich Lichtmesz übrigens ähnlich in einem Leserbrief bei einem der Wissenschaftsblogs des Verlages „Spektrum der Wissenschaft“ positioniert. Dabei mahnte er eine vermeintliche „Ghettoisierung“ der Palästinenser an und sprach in der Folge sein „Unbehagen“ gegenüber dem „Gebilde“ Israel „wegen der Erfahrung Hitler“ aus:

Angesichts bestimmter Maßnahmen Israels (Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, Tötung von Zivilisten, Mauerbau, Ghettoisierung, etc) und so manchen unverblümten Kriegs- und Vertreibungsphantasien, die ich aus dem Munde rechtsgerichteter Israelis gehört habe, empfinde ich alles andere als ‚Neid‘ auf soviel nationales Selbstbewußtsein, sondern eher ein profundes Unbehagen und einen Grusel angesichts solcher Hybris, und das, Überraschung, exakt wegen der Erfahrung Hitler und der nationalistischen Exzesse in Deutschland. Israel ist in meinen Augen in seinem jetzigen Zustand ein absolut prekäres und problematisches Gebilde.“

Der Vergleich mit dem Dritten Reich ist kein einmaliger Ausrutscher. Nachdem der langjährige Sezession-Autor Siegfried Gerlich in einem Beitrag vom April 2018 den Antizionismus dezidiert als einen Versuch entlarvte, einen „ehrbaren Antisemitismus“ zu konstruieren, der „sorgfältig zwischen ‚Juden‘ und ‚Zionisten‘ [zu] unterscheiden“ versucht, kritisierte Lichtmesz diese Darstellung, in der „die Juden eine Art Herrenvolk [sind], dem das Land aus diesem und jenem Grund zusteht“.

Israel betreibe Kolonialismus mit „massiven Schurkereien“

Ein ebenso beliebtes antizionistische Narrativ ist jenes, dass von Israel und den Juden ein besonders „menschenrechtliches“ Verhalten als „Lehre aus dem Holocaust“ erwartet. Was bei Lichtmesz in seinem Text „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ dann so klingt, dass „ein Land mit westlichen Ansprüchen“ wie Israel es „sich auch gefallen lassen [muss], mit westlichen Maßstäben gemessen zu werden“. Doch die „Politik in den besetzen Gebieten“ stelle „die Tatsachen geradezu auf den Kopf“, so habe Israels „Geschichte des Kolonialismus immer wieder den Vorwand zu massiven Schurkereien geliefert, von denen auch Israel nicht freigesprochen werden kann“.

Auch die „Zionismuskritik“ der Sezession spiegelt ein vertrautes antizionistisches  Weltbild der Linken wider: Vom Juden, der seine Opferrolle selbst und zu seinem  eigenen Vorteil konstruiert. So schreibt Benedikt Kaiser in einer Buchrezension von Ilan Pappes „Die Idee Israel – Mythen des Zionismus“ dem Buch eine „kluge Zionismuskritik“ zu, in der das „identitätsstiftende Narrativ von den sich selbst schützenden Israelis gegen eine von Anfang an feindliche Umgebung […] vor allem dem Schließen der eigenen Reihen und der Setzung selektiver Geschichtsschreibung dient“. Dies habe „mit dem ehernen Gründungsmythos und weiteren fundamentalen Legenden des Zionismus nicht viel gemein“, jedoch pflege Israel diesen Mythos mittels eigener „islamischer Dämonen“:

Zu guter Letzt kann mit Pappe auch die derzeitige israelische Aggression gegen das säkulare Syrien begründet werden: Die direkte Stärkung neofundamentalistischer Terrorgruppen wie der Al-Qaida-Filiale ‚Nusra-Front‘ sorgt dafür, daß aus dem Staatszerfall Syriens ein neuer ‚islamischer Dämon‘ (Pappe) hervorgeht. So könne Israel auch zukünftig einen weiteren liebgewonnenen Mythos pflegen: Jenen von Israel als ‚Hort der Stabilität‘ inmitten arabisch-muslimischer Barbarei.“

„Israel-Partisanentum als Instrumentalisierung des Holocaust“

Sucht man nach den Gründen für dieses Israelbild der Sezession, wird man fündig bei der Bewertung des Holocaust durch das Theorieblatt. Kubitschek selbst räumt in  seinem Artikel Israel und Deutschland vom 11. Februar 2020 freimütig ein, dass man als „deutscher Patriot […] Israel nicht bedingungslos unterstützen“ kann und dies auch nicht „moralpolitisch mit Auschwitz und der deutschen Schuld“ erzwingen könne.

In seinem Beitrag „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ umrahmt Martin Lichtmesz dies mit dem Begriff „Holocaust-Religion“, in der sich „der ‚Schuldkult‘ […] affirmiert und perpetuiert“. Diesbezüglich diagnostiziert Lichtmesz in seinem Text „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ ein Framing „der vom ‚Neokonservatismus‘ geprägten Ära George W. Bush“, die eine „partikularistische“ Rechtfertigung, „warum gerade dieses Land [Israel] besonderer Unterstützung bedürfe“, ableite „von einer postulierten Sonderstellung des Holocaust und damit auch des jüdischen Volkes in der menschlichen Geschichte“.

Benedikt Kaiser sieht in dieser „Anpassung an die Politik und Geisteshaltung der israelischen und US-amerikanischen Rechten“ das Werk „strukturelle[r] Opportunisten“.  Jonas Schick wirft diesen Teilen der deutschen Rechten vor, dass sich bei diesen „seit geraumer Zeit ein neokonservativer Hang zur Israel-Apologetik“ zeigen würde.  Lichtmesz umreißt dies als „Israel-Partisanentum“. Kubitschek wiederum widerspricht  diesem vermeintlichen „Israel-Partisanentum“ in seinem Artikel „Die peinlichen Musterschüler“ vom 24. Januar 2020, da es eine „Instrumentalisierung des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen“ sei, die man nicht dadurch versuchen sollte  dergestalt „zu drehen, dass man sich an die Spitze einer bedingungslos israelfreundlichen Politik setzt und Auschwitz als Argument […] verwendet“.

Delegitimierung der Heimstatt jüdischen Lebens

Artur Abramovych, stellvertretender Vorsitzender der „Juden in der AfD“, kritisierte  Kubitscheks Artikel in einer Replik scharf, die die Sezession sich übrigens weigerte zu veröffentlichen. So sei Kubitscheks Kritik am „Zionismus der politischen Rechten schlichtweg als Desinteresse an jedweder Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden [zu] interpretieren“. Abramovych konstatiert:

 

Aber offenbar wünscht sich Kubitschek nichts weiter, als dass man ‚moralpolitische Verweise auf die ‚deutsche Schuld‘ künftig unterlassen sowie das ‚Gängelband‘ lockern möge, und pfeift zugleich darauf, was die Juden dazu zu sagen haben.“

 

In dieser Delegitimierung der Heimstatt jüdischen Lebens, die doch nur eine Chiffre für die Delegitimierung jüdischen Lebens an und für sich ist, nähert sich die Sezession  verdächtig dem linken Israelhass an, der gerade und besonders von der BDS-Kampagne zelebriert wird. Was gleichermaßen fatal ist, da es Judenhassern  von rechts erlaubt, sich in einem unheilschwangeren Schatten sogenannter „Israelkritik“ zu sammeln.

Eine zweigeteilte Langfassung dieses Artikels findet man bei Philosophia Perennis (Teil 1 und Teil 2), die insbesondere weiterführende Informationen zur Causa „Siegfried Gerlich“ enthält.