MESOP COUNTING : STIMM-ERGEBNISSE IN SÜDOSTANATOLIEN – KURDISTAN / URSACHEN

NIEDRIGE WAHLBETEILIGUNG – RELATIV HOHE KURDISCHE STIMMENANTEILE PRO ERDOGAN – ERGEBNIS DER PKK-MILITANZ 2015/16 IN URBANEN GEBIETEN – KURDISCHER MITTELSTAND EHER PRO ERDOGAN ALS FÜR PKK (MESOP)

 

Michael Martens, FAZ 18 April 2017

(……) Hinzu kam ein weiteres Detail: Zwischen 2015 und 2016 kam es in vielen Städten Südostanatoliens zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen staatlichen. Sicherheitskräften und zumeist jungen Anhängern der kurdischen Terrorbande PKK, die den Kampf bewusst und ohne Rücksicht auf zivile Verluste in die Zentren der Städte getragen hatte. Als Folge dieser Kämpfe sind bis zu 500 000 Anwohner — in aller Regel Kurden — zu Binnen-vertriebenen geworden. Das ist mehr als ein Prozent der Bürger, die am Sonntag ihre Stimme abgaben. Die meisten dieser vornehmlich kurdischen Binnenvertriebenen gelten nicht als Unterstützer Erdogans, sind an ihren derzeitigen Wohnorten aber nicht registriert und können deshalb auch nicht wählen.

Was folgt daraus? Eine Analyse der Wahlergebnisse aus den kurdisch geprägten südostanatolischen Provinzen der Türkei, wo fast 3,2 Millionen Wahlberechtigte registriert sind, zeigt zumindest eines:

Während fast überall sonst in der Türkei die Wahlbeteiligung im Vergleich zur Parlamentswahl im November 2015 konstant blieb oder leicht stieg, ging sie ausgerechnet im Südosten des Landes zurück, und zwar ausnahmslos. In der Provinz Hakkari, gelegen an der Grenze zum Irak und zu Iran, wo Erdogan seit jeher keine Chance hat, hatten 2015 noch 88 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt. Am Sonntag waren es nur noch 80,9 Prozent, also 7,1 Prozentpunkte weniger.

 Auch in allen anderen Provinzen der Region sank die Wahlbeteiligung: In Sirnak um 6, in Mardin um 3,3, in Van um 5,4 Prozentpunkte und so weiter. In Diyarbakir, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der türkischen Kurden mit fast einer Million Wahlberechtigten, sank die Beteiligung um 4,3 Prozentpunkte. Aufschlussreich ist auch das gleichzeitige bemerkenswerte Erstarken der Regierungspartei AKP sowie der MHP, der beiden Parteien also, die für ein „Ja” warben.

In Hakkari hatten AKP und MHP 2015 gemeinsam gerade einmal 15,4 Prozent der Stimmen erringen können. Am Sonntag waren es mehr als doppelt so viel, nämlich 32,4 Prozent. Auch in der Provinz Sirnak gelang den beiden Ja-Parteien dieses Kunststück: Aus 13,7 Prozent 2015 wurden 28,3 Prozent 2017. In allen Provinzen der Region wurde ein Teil der Wählerschaft offenbar von einem umfassenden Sinneswandel pro Erdogan erfasst. Daraus lässt sich noch nicht der Vorwurf des Wahlbetrugs ableiten, doch sicher ist: Hätte die Region ähnlich wie bei früheren Wahlen abgestimmt, wäre Erdogans Sieg bei diesem Referendum noch knapper ausgefallen.

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