MESOP CULTUR : DIE FILTERBLASE ALS KOMMUNIKATIONS-GEFÄNGNIS

Aktion „keingeldfürrechts“ und die Folgen- Blasenschwächen

VON CONSTANTIN WIßMANN am 16. Dezember 2016

Ein Angestellter einer Werbeagentur startet eine private Aktion gegen angeblich rechtsextreme Webseiten. Was folgt, ist ein schmutziges Lehrstück über die Entfachung von digitaler Wut und das Spiel mit ihr –  In der Digitalwelt werden wir immer mehr zu Gefangenen unserer eigenen Filterblase /

Constantin Wißmann schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine. Er hat in London Geschichte studiert und die Berliner Journalisten-Schule absolviert. Er arbeitet für Cicero Online.

Den Begriff der Filterblase hat der US-amerikanische Autor Eli Pariser schon vor fünf Jahren geprägt. Er definiert das Phänomen so: „Das persönliche Informationsuniversum, das Sie online bewohnen – einzigartig und nur für Sie aufgebaut von den personalisierten Filtern, die das Web jetzt antreiben.“ Damit entlarvte Pariser die Idee des freien Internets, in dem die Informationen ungehindert und von jedem gleichermaßen erreicht werden, als Illusion. Wir entscheiden nicht selbst, argumentiert Pariser, was Teil unserer Blase ist und sehen nicht, was außerhalb von ihr geschieht. Dafür sorgen insbesondere Google und Facebook mit ihren Algorithmen. Die entscheiden, was wir sehen, oft anhand bereits gespeicherter Informationen, und erzeugen damit eine Anpassung an das vorige Verhalten.

Die Folge ist häufig eine voranschreitende Radikalisierung der jeweiligen Ansicht. Was passieren kann, wenn diese Blasen aufeinanderklatschen, zeigt in Deutschland gerade der Fall des bisher unbekannten Werbers Gerald Hensel: Es gibt einen großen digitalen Knall.

Die Aktion eines Werbers

Was ist passiert? Gerald Hensel war Strategieexperte der großen Werbeagentur Scholz & Friends. Er ist es nicht mehr, dazu später mehr. Auf seiner eigenen Webseite davaidavai.com und über verschiedene Soziale Netzwerke hatte er Ende November die Privatinitiative „#keingeldfürrechts“ gestartet. Die Webseite ist online nur noch über eine Registrierung zu erreichen, auch dazu später mehr. Der Aufruf liegt Cicero Online vor. Darin steht: „Liebe Kollegen aus Media, Werbung und von Markenartiklern: Ein einfacher Weg, nicht unpolitisch zu sein, geht so: Lasst uns gemeinsam die Finanzierung von rechtsextremen Websites und Meinungsportalen wie Breitbart und vielen anderen stoppen.“ Breitbart ist das US-amerikanische Nachrichtenportal, das Steve Bannon leitete, bis ihn der neue Präsident Donald Trump zum Chefstrategen ernannte. Während des Wahlkampfes in den USA galt Breitbart, benannt nach ihrem 2012 plötzlich verstorbenen Gründer Andrew Breitbart, als Hauptinformationsquelle für viele Trump-Wähler. Die großen Medienportale hatten überwiegend Hillary Clinton unterstützt. Kürzlich hatte das Portal verkündet auch nach Deutschland expandieren zu wollen.

Welche Webseiten in Deutschland „rechtsextrem“ seien, das definierte Hensel in seinem Aufruf selbst. Er hatte dazu eine Liste erstellt (Auch sie liegt Cicero Online vor). Hensel empfahl großen Marken und Konzerne in Deutschland, ihr Werbegeld für diese Webseiten zu stoppen, sie auf ihre eigene „Blacklist“ zu setzen.

Hintergrund ist, dass auch Werber mit den Algorithmen und Filterblasen arbeiten. Meistens sind das Angehörige von  außenstehenden Dienstleistern, sogenannte Mediaagenturen. Im Auftrag der Firmen buchen sie nicht direkt die Schaltung von Bannern oder anderen Werbebotschaften auf Webseiten, sondern sie legen lediglich das jeweilige gewünschte Umfeld fest. Das können Senioren, musikinteressierte Menschen, Singles oder Eltern sein. Möchte nun eine Firma auf einer bestimmten Webseite nicht zu sehen sein, muss sie dies ausdrücklich kundtun, indem sie diese Seite auf eine „schwarze Liste“ setzt. So wollen die Firmen vermeiden, dass sie von den Kunden mit unerwünschten oder abstoßenden Inhalten in Verbindung gebracht werden.

Die Webseiten schlagen zurück

Für eine Webseite, deren Finanzierung fast immer zum großen Teil von Werbung abhängt, wäre die Nennung auf so einer Liste verheerend. Das Autorenblog Die Achse des Guten erscheint zwar nicht auf Hensels Liste.  Diese enthalte „rechtsextreme Medien, die wir für massiv manipulativ halten und die den Ungeist der Neuen Rechten … vorantreibt“, ist da zu lesen. Und: „Wir haben bewusst konservative und auch einfach ‚gemäßigt‘ rechtspopulistische Medien (Tichy [Tichys Einblick www.tichyseinblick.de, Anm. der Redaktion], Achgut.com) ausgeschlossen.“ In dem Text auf Hensels Seite wird die Achse des Guten jedoch mehrfach erwähnt. Dort wird das Blog unter anderem als „Wutbürger-Seite“ tituliert, auf der sich „wackere neurechte Freiheitskämpfer (…) gerne informieren“.

Dazu muss man wissen, dass die private Aktion Hensels stark der ähnelt, die auf der Seite www.netz-gegen-nazis.de stattfand. Die Seite wird von der Amadeu-Antonio-Stiftung und zahlreichen Unterstützern (darunter Die Zeit und der Deutsche Fußball-Bund) betrieben. Auch dort gab es eine Liste mit deutschsprachigen Blogs, Webseiten und – in Gänsefüßchen – „Medien“, die „aktuell in der rechtsextremen und rechtspopulistischen Szene beliebt“ seien. Auch diese Liste ist nicht mehr verfügbar. Auf Anfrage von Cicero Online hieß es aus der Stiftung, die Entscheidung, die Liste der „Digitalen Hass-Quellen“ zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu veröffentlichen, sei redaktionsintern gefallen. Weiter kommentieren wolle man das nicht (die Liste ist hier einzusehen).

Die Betreiber der Seite Achgut.com reagierten auf die Aktion Gerald Hensels empört. Sie würden an einem Boykott durch die Werbe-Branche leiden. Alle Kunden der Seite hätten ihre Buchungen zurückgezogen, in Gesprächen sei die Rede von einer schwarzen Liste gewesen, auf der das Medium angeblich stehen soll. In gewohnt giftiger Manier schrieb der wohl bekannteste Achse-des-Guten-Autor Henryk M. Broder mehrfach gegen Hensels Aktion an. Diese erinnere an „fesche SA-Leute, die am 1. April 1933 vor jüdischen Geschäften Posten bezogen, einen Boykott jüdischer Geschäfte im Sinn hatten. Vielleicht wollten sie die Passanten nur darauf aufmerksam machen, wem die Geschäfte gehören, wobei es jedem Kunden überlassen blieb, ob er in dem jeweiligen Geschäft einkauft oder nicht.“ Damit wolle er aber, fügt Broder geschickt hinzu, „weder suggerieren noch andeuten, dass Gerald Hensel (…) ein später Nazi sein könnte“. Auch das Cicero-Magazin war schon mal Gegenstand von Broders Zorn.

Der Shitstorm nimmt seinen Lauf

Was auf die vielen Texte folgte, war ein Sturm der Entrüstung selbsternannter Unterstützer von Broder und Co., ein so genannter Shitstorm gegen Gerald Hensel und seinen Arbeitgeber. Nach Angaben von Scholz & Friends gab es Drohanrufe, Boykottaufrufe, Beschimpfungen, auf der Facebook-Seite der Firma wurden mehr als 2.000 Negativbewertungen gepostet. Verstärkt wurde der Sturm von weiteren Artikeln auf Achgut.com. In einem wurden raunenhaft „unheimliche Zufälle“ aneinandergereiht, die wohl eine konzertierte Aktion der Werbeagentur erahnen lassen sollen. Auch die Seite Tichys Einblick sah sich als Opfer eines Boykotts, auch wenn weder auf Hensels Webseite noch auf seiner Liste aufgefordert wurde, diese „zu blacklisten“. Hensel selbst trug zur Eskalation bei, indem er sich heftig gegen die Vorwürfe Broders wehrte und seinerseits von einer gewollten Aktion sprach: „Ich wurde geframed. Und mein Arbeitgeber auch. Warum? Damit diese Leute mehr Abos verkaufen. Und die manipulierte Digitalmeute frisst das ungefragt.“

Wegen der Drohungen abgetaucht

Die Konsequenzen für Hensel sind einschneidend. Aufgrund der vielen Drohungen, die er in den vergangenen Tagen erhalten hat, hält er sich mittlerweile an einem geheimen Ort auf. Scholz & Friends-Mitinhaber Stefan Wegner veröffentlichte eine gleichzeitig in Schutz nehmende und sich distanzierende Stellungnahme. Hensel sei ein „sehr guter Digitalstratege, politischer Kopf und Querdenker“, keingeldfürrechts aber an einigen Stellen „unnötig provozierend“ steht da. Inzwischen hat Hensel bekannt gegeben, sein  Vertragsverhältnis mit Scholz & Friends beendet zu haben, obwohl die Firma rückhaltlos hinter ihm stehe.

Gegenüber Cicero Online räumt Hensel ein, „einige Formfehler“ gemacht zu haben. Allein das spräche schon dagegen, dass seine Aktion „eine Weltverschwörung“ gewesen sei. Eines aber hätten ihm die vergangenen Wochen klar gemacht. „Ich habe seit 20 Jahren von diesem großartigen Internet gesprochen, das unseren Horizont ständig erweitert. Nun habe ich gemerkt, dass oft das Gegenteil geschieht, dass das Netz zu einer Verengung führt.“ Dahinter steckten „systematisch manipulierende Player, die Menschen im Netz steuern und lenken. So wird Wut produziert“. Die schiere Masse der Drohungen mache es ihm fast unmöglich, gegen sie strafrechtlich vorzugehen. „Dabei kann ich mir ja gar nicht sicher sein, ob die wirklich von Menschen stammen oder von Computerprogrammen.“ Mit einzelnen Leuten, die anderer Meinung waren, würde er gerne mal analog ein Bier trinken und reden. „Vielleicht können wir so die Filterblase platzen lassen.“

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