MESOP DEBATTE : WO JUDITH BUTLER RECHT HAT !

: Über  Schwule und Lesben: „Wenn die Zuteilung von Rechten für eine Gruppe für die Aberkennung grundlegender Ansprüche einer anderen instrumentalisiert wird, hat die berechtigte Gruppe die Pflicht, die Bedingungen abzulehnen, unter denen die politische und gesetzliche Anerkennung und Berechtigung verteilt werden. Damit ist nicht gesagt, dass wir bestehende Rechte aufgeben sollen, sondern bloß, dass wir erkennen müssen, dass Rechte nur im Rahmen eines allgemeinen Kampfes für soziale Gerechtigkeit einen Sinn haben; werden sie differenziell verteilt, so wird durch die taktische Durchsetzung und Rechtfertigung von Rechten für Schwule und Lesben Ungleichheit installiert.“

Bei-sich-Sein-im-Außer-sich-sein – Differenz ist für Judith Butler eben kein Erlösungswort mehr  –

Meinungsfreiheit Benimm und Erkenntnis – Was tun gegen den allenthalben geäußerten Hass? Wo es keine rechtliche Handhabe gibt, hilft nur noch Moralisieren. Das ist ein Strukturwandel der Öffentlichkeit, der nichts Gutes verheißt.

26.10.2016, von Christian Geyer – FAZ

Das nennt man zu Recht die Unbestechlichkeit einer bestechenden Beschreibung – in ihrem neuen Buch „Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung“

schreibt die feministische Philosophin Judith Butler zur Frage der Rechte für Schwule und Lesben: „Wenn die Zuteilung von Rechten für eine Gruppe für die Aberkennung grundlegender Ansprüche einer anderen instrumentalisiert wird, hat die berechtigte Gruppe die Pflicht, die Bedingungen abzulehnen, unter denen die politische und gesetzliche Anerkennung und Berechtigung verteilt werden. Damit ist nicht gesagt, dass wir bestehende Rechte aufgeben sollen, sondern bloß, dass wir erkennen müssen, dass Rechte nur im Rahmen eines allgemeinen Kampfes für soziale Gerechtigkeit einen Sinn haben; werden sie differenziell verteilt, so wird durch die taktische Durchsetzung und Rechtfertigung von Rechten für Schwule und Lesben Ungleichheit installiert.“

In diesem offenen Konzept von koalitionärer, auf Gleichheit der Körper zielender Politik kann theoretisch die Frauenrechtlerin mit der Abtreibungsgegnerin „unbequeme und unvorhersehbare Bündnisse“ (Butler) schmieden. Wenn es, wie bei Butler, darauf ankommt, die Verletzbarkeit des Menschseins – die Philosophin hält es ausdrücklich für kontraproduktiv, allein der Frau Vulnerabilität zuzuschreiben – politisch erträglich zu machen, dann kann der Unterschied zwischen geboren und ungeboren jedenfalls kein prinzipieller sein. Wie die Kollision der Rechte im Konfliktfall zu lösen ist, steht auf einem anderen Blatt; es steht mitnichten von vornherein fest, es bleibt unvorhersehbar.

Bei-sich-sein im Außer-sich-sein

Wie Butler überhaupt – nächstes Skandalon – weit davon entfernt ist, aus der Verwundbarkeit als solcher eine Opferrolle abzuleiten. Sie macht vielmehr die anthropologische Schwäche zur Stärke: als Bedingung der Möglichkeit von Sensibilität. Butler philosophiert als Homosexuelle, übersteigt aber zugleich das Moment persönlicher Betroffenheit, sobald es ins Spiel kommt (eindrucksvoller als mit der zitierten Weigerung, sich gegen anderer Leute Rechte instrumentalisieren zu lassen, ist das kaum aussagbar). Butler polemisiert durchweg gegen einen Begriff von Individualität, der sich, schreiend wirklichkeitsfremd, losgelöst von seinen Zugehörigkeiten denken möchte. Sie spricht in diesem Zusammenhang vom „egologischen Nirgendwo“. Die diffuse Rhetorik der Selbstverwirklichung kontert sie mit der positiv gemeinten Rede von der „Enteignung des Ich“ im präzise erläuterten Sinne eines Bei-sich-seins im Außer-sich-sein.

Differenz ist für Judith Butler eben kein Erlösungswort mehr. Ihr selbstverständlicher, unaufgeregt vorgebrachter Antiessentialismus löst Wahrheitsansprüche nicht in Subjektivismen auf, diffamiert sie nicht als Reinheitswahn, sondern sucht ihnen – hier ganz auf der Linie von Jürgen Habermas – einen epistemischen Ort zu sichern, wo nach Rechtfertigungen gefragt werden kann. So gehaltvoll Butlers Analysen sind, so wenig taugen sie für die rasche Verwertung im politischen Meinungskampf. Sie sind, anders gesagt, aufreizend undidaktisch, nehmen den Leser nicht mal eben einfach mit. Butlers Abneigung gegen suggestive Strategien, gegen Affekt und Effekt der rhetorischen Überwältigung macht diese Apologetin unbequemer Bündnisse selbst zu einer unbequemen, man möchte sagen: gänzlich unjournalistischen Lektüre. Und doch scheint Butler, die vor zwei Jahrzehnten den einflussreichen Essay „Hass spricht“ publizierte, im Hintergrund der heutigen Debatte über öffentliche Hassrede, hate speech, voll präsent. „Zur Politik des Performativen“ war ihr damaliges Anti-Hass-Büchlein im Untertitel überschrieben, und es ist just dieser performative Politik-Ansatz, der den Schüssel zum Verständnis für die kulturkämpferischen Konflikte unserer Tage liefert, die hier und da schon Bürgerkrieg heißen.

Wenn Benimm gefragt ist

Wenn über die Grenzen der Meinungsfreiheit im Internet debattiert wird, wenn der Bundesjustizminister sich mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, die „Zensur“ bei Facebook voranzutreiben, weil er mit dem Stempel „Hassrede“ auch rechtlich erlaubte, aber politisch unliebsame Kritik zum Schweigen bringen wolle – dann geht das Politische dazu über, im Performativen geduldig auf der Stelle zu treten. Das heißt: Die vollzogene Gegensprechhandlung selbst ist die Botschaft. Man muss den Hassenden dann immer wieder sagen: Das geht gar nicht – wie es gerade die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke in der Paulskirche tat und sich dafür von der „Welt“ eine Priesterin beim „Feldgottesdienst der Zivilgesellschaft“ nennen lassen musste; derweil „Die Zeit“ die einverständige „nickende Zustimmung“ angesichts „spontan einleuchtender und wenig kontroverser Gedanken“ monierte – Kritik, die verstimmt, jedenfalls dann, wenn es tatsächlich auf die Sprechhandlung des Gegenhaltens ankommt.

Wenn Hass spricht, so versteht man Butler (und in diesem performativen Sinne eben auch Emcke bei allem, was sie sonst von Butler unterscheidet), dann mag sich die Versammlung der Hassenden vielleicht nicht verbieten lassen. Wohl aber lässt sie sich mit einer Gegenversammlung derer beantworten, die sagen, dass Hass schlecht und Liebe gut ist. Man darf sich, mit anderen Worten, nicht nach Erkenntnis sehnen, nicht inhaltliche Originalität zum Maßstab machen, wenn Benimm gefragt ist. Das Selbstverständliche ebenso repetitiv wie emphatisch zu wiederholen kann als erste Bürgerpflicht erscheinen, wenn im großen Stil zivilisatorische Standards hintertrieben werden, ohne dass dies strafrechtlich belangbar wäre.

Denn in puncto Meinungsfreiheit ist mit dem Bundesverfassungsgericht in der Tat nicht zu spaßen. Auch wenn das Recht, seine Meinung zu äußern, „nicht vorbehaltlos“ gewährleistet wird, so gehorchen die von Karlsruhe entwickelten Grundsätze für die Auslegung der die Meinungsfreiheit begrenzenden Strafnormen doch strengsten Maßstäben. „Meinungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme“, urteilten die Verfassungsrichter. „Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden. Geschützt sind damit – in den Schranken des Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes – auch rechtsextremistische Meinungen.“ Und: „Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern.“ Mit anderen Worten: Rechtstreue genügt; wer nicht gegen das Gewaltverbot verstößt oder sich der Volksverhetzung schuldig macht, ist rechtlich aus dem Schneider; ein schlechter Charakter ist noch kein schlechter Demokrat.

Das begünstigt die Moralisierung des öffentlichen Raums, seine volkspädagogische Aufladung. Wenn man die Hassredner schon nicht bestrafen kann, so heißt es, dann ist soziale Ächtung alles, was zu tun übrig bleibt. Man stellt Meinungen einfach ab, privatrechtlich zu Recht, weil das Recht auf Meinungsfreiheit ja keinen überall durchsetzbaren Anspruch begründet, zumindest nicht in privatwirtschaftlich organisierten Foren, zu denen auch Zeitungen und Facebook gehören. Oder man hält mit längst vertrauten Weisheiten dagegen. Ein Strukturwandel der Öffentlichkeit, der für unsere Debattenqualität ein Debakel ist.

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