Vorwürfe gegen Gülen-Bewegung : Nachhilfe mit Hintergedanken / FAKT & HR TV SENDUNG

24-10-2013 – In Nachhilfevereinen und Wohngemeinschaften der Gülen-Bewegung im Rhein-Main-Gebiet sollen Jugendliche indoktriniert werden. Aussteiger berichten in hr-iNFO von ausufernden Kontrollen durch die islamisch-konservative Bewegung.FAKT-Beitrag zur Gülen-Bewegung – Will die Gülen-Bewegung die Gesellschaft unterwandern? Hier geht es zum Beitrag des ARD-Magazins FAKT. – von hr-Reporter Volker Siefert

Sie haben neutrale Namen wie Optimum, Delphin oder Lern Point und geben sich in Frankfurt und anderen Städten nach außen als weltanschaulich neutrale Nachhilfevereine für Schüler. Doch hinter der weltlichen Bildungsfassade steht das Interesse der islamisch-konservativen Bewegung um den türkischen Imam Fethullah Gülen, neue Mitglieder zu gewinnen. Das Ziel des Predigers: Eine türkisch-stämmige Elite zu bilden, die sein Weltbild verbreitet. Kritiker werfen der Bewegung eine schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft vor.

Und auch die hier aufwachsenden türkisch-stämmigen Jugendlichen sind im Fokus der Bewegung: Sie werden beeinflusst und ausufernd kontrolliert, wie die beiden Aussteigerinnen Sibel und Özlem (Namen von der Redaktion geändert) hr-info berichteten. Beide wollen ihre echten Namen nicht nennen.  

Leben für die Bewegung

Sibel wuchs in der Nähe von Frankfurt auf. Sie wollte ihre Noten verbessern und besuchte einen örtlichen Nachhilfeverein. Schon bald stellte sich der erhoffte schulische Erfolg ein. Doch es blieb nicht bei weltlichem Unterricht. Die Macher hinter dem Verein luden sie zu religiösen Treffen ein, bei denen es um die Lehren Gülens ging. “Durch die Nachhilfe, die sie geben, helfen sie dir und nach einer Zeit musst du denen etwas zurückgeben”, beschreibt Sibel das System. Sie wurde zu Wochenendausflügen eingeladen, verkaufte bei Veranstaltungen Gülen-Bücher und gab selbst Nachhilfe für Jüngere. Ihre Erfahrungen decken sich mit den Aussagen eines Lehrers in einem Nachhilfeverein in dem ARD-Magazin Fakt: “Nach außen hin wird das als normales Nachhilfezentrum dargestellt, als liberal und überkonfessionell. Doch intern geht es um die Lehren Gülens.” Danach müssten bereits kleine Kinder verpflichtend an religiösen Spielen teilnehmen.  

Bis auf den Schulhof nachspioniert

Sibel machte täglich nach der Schule in einem sogenannten Lichthaus ihre Hausaufgaben. Etwa zehn Mädchen und Studentinnen lebten in dem informellen Internat. Sie standen unter Aufsicht einer “älteren Schwester” (türkisch: Abla). “Sie ist mir zur Schule nachgegangen und hat mich kontrolliert. Sie hat geguckt, ob ich mich geschminkt habe, wie ich mich angezogen habe oder was ich dann nach der Schule mache”, erinnert sie sich. Freundschaften mit Jungs waren Tabu, zu Deutschen sollten sich die Bewohnerinnen offen zeigen, aber nichts über das Innere der Bewegung erzählen. Das Leben im Lichthaus trug konspirative Züge: Handys mussten ausgemacht werden, weil man damit abgehört werden könnte. Die Mädchen durften die Wohnung immer nur einzeln verlassen, damit die Nachbarn nicht mitbekamen, wie viele dort wohnten.

Gülen hat immer das letzte Wort

Ähnliche Erfahrungen hat auch die Aussteigerin Özlem in mehreren Lichthäusern im Rhein-Main-Gebiet gemacht. Etwa alle sechs Monate musste sie umziehen. “Wenn wir uns zu sehr anfreundeten, wurden wir auf verschiedene Wohngemeinschaften verteil”, sagt Özlem. Eine andere Meinung bei der abendlichen Pflichtlektüre von Gülens Texten wurde nicht gerne gesehen: “Gülens Wort war die Regel”.

Dialog-Verein schweigt

Anfragen von hr-iNFO zum Innenleben der Lichthäuser bei dem offiziellen Gülen-Verein in Frankfurt (FID e.V.) wurden bislang nicht beantwortet. Auf einer Gülen-nahen Internetplattform ist allgemein die Rede von einem Missverständnis, “wenn vermutet wird, dass in diesen WGs besondere Vorschriften herrschen oder dass die Studentinnen und Studenten regelrecht überwacht werden.”

Die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann findet in den Erfahrungen der beiden Aussteigerinnen Bestätigung für ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse: “Es ist praktisch so, dass man freiwillig hineingeht in ein solches Lichthaus, aber wenn man einmal drin ist, hat man sich der ganz strengen Ordnungen zu fügen.” Der Dienst an der Bewegung sei jedem privaten Ziele übergeordnet. “Das grenzt zur übrigen Gesellschaft eindeutig ab.”

Verfassungsschutz: “Zweifel am Islamverständnis”

In einer Einschätzung des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz heißt es zur Gülen-Bewegung, sie sei “nach derzeitigem Erkenntnisstand zwar konservativ-islamisch, aber nicht erkennbar islamistisch.” “Zwar bestehen Zweifel am zeitgenössischen Islamverständnis im Sinne einer Annäherung an westliche Gesellschaftsentwürfe, in der Gesamtschau liegen jedoch keine zureichend tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor.” Sibel und Özlem leben nicht mehr in Lichthäusern. Sie sind froh, wieder ihr eigenes Leben zu führen, in dem ihnen niemand mehr die Lehren eines religiösen Führers als letzte Wahrheiten vorsetzt.

Die Gülen-Bewegung

Der türkische Prediger Fethullah Gülen hat seine Anhänger weltweit zur Gründung von Bildungseinrichtungen aufgerufen. Die Mitglieder der Bewegung sehen ihr Engagement als Dienst (Hizmet) an der Sache und spenden bis zu 20 Prozent ihres Einkommens der Bewegung. In der Türkei gilt Gülen als Graue Eminenz. Viele seiner Anhänger sollen an einflussreichen Stellen in Staat und Gesellschaft wirken. Kritiker werfen der Bewegung vor, eine schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft zu betreiben. In Hessen gibt es elf Nachhilfeeinrichtungen der Gülen-Bewegung. Wie viele Lichthäuser es gibt, lässt sich nicht sagen, da darüber keine offiziellen Angaben gemacht werden. Es ist davon auszugehen, dass es überall in der Nähe von Hochschulen auch Lichthäuser gibt. Vereine, die sich nach außen mit als Gülen-Organisation zu erkennen geben, sind die sogenannten Dialogvereine. In Frankfurt hält der FID e.V. enge Kontakte zu Vertretern von Wissenschaft, Politik und Kirchen.