“Viele haben die Hosen voll“ – Deutsche für Kurdistan / Mittelstand

Viele haben die Hosen voll“

06.11.2012  | Malte Oberschelp  – WPI NEWS: Klaus Ewel baut Häuser in den kurdischen Gebieten. Von vielen deutschen Unternehmern ist er enttäuscht: „Sie wollen einfach nicht in den Irak“, sagt er

WPI: Herr Ewel, wie hat es Sie aus dem württembergischen Ravensburg nach Kurdistan verschlagen?

Klaus Ewel: Ich arbeite seit über 25 Jahren als Immobilienmakler und Bauträger im Bodenseeraum. Als ich dann die Firma Planwerk19 vor drei Jahren mit meinem besten Freund, einem Architekten, gegründet habe, haben wir keine Sekunde daran gedacht, einmal im Irak tätig zu werden. Bis uns vor einem Jahr eine Geschäftspartnerin gefragt hat, ob wir so verrückt wären, in das irakische Baugeschäft einzusteigen. Und wir waren so verrückt. Wie der Zufall eben spielt, hatten wir auch einen Kurden aus Sulaimaniya im Bekanntenkreis, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt und uns bei der Herstellung der ersten Kontakte vor Ort behilflich war.

Auf welchen Geschäftsfeldern sind Sie in Kurdistan tätig?

Auf der einen Seite sehen wir uns als Vermittler, deutsche Firmen in den Irak zu bringen, die etwas mit dem Baugeschäft zu tun haben. Auf der anderen Seite sind wir Bauunternehmer. Architektur und Hausbau sind unser Kerngeschäft. In unserem ersten irakischen Projekt geht es um mehrere 100 Häuser. Und wenn alles gut geht, sollten wir demnächst – gemeinsam mit einem deutschen Architekten, der schon seit sechs Jahren im Irak tätig ist – den Auftrag über zehn Musterhäuser bekommen. Und das in deutschem Standard, mit deutschen Produkten und unter deutscher Bauleitung: Damit wollen wir den Qualitätsunterschied gegenüber türkischen und chinesischen Herstellern zeigen. Hier kooperieren wir bei der Haustechnik auch mit der Firma Rehau aus Erlangen.

Hoffen Sie danach auf weitere Aufträge?

Für uns sind die Musterhäuser nur der Einstieg, um zu zeigen, was wir können. Später wollen wir größere Geschäfte abwickeln. Wir reden hier über Bauprojekte, die man sich in Europa überhaupt nicht vorstellen kann. Allein das größte umfasst etwa 10.000 Häuser.

Und wie sieht es mit der Vermittlung von deutschen Firmen in den Irak aus?

Unsere irakischen Geschäftspartner haben uns gefragt, ob wir ihnen nicht auch deutsche Produkte aus dem Baubereich besorgen könnten: Parkettböden, Innentüren, Schalter, Steckdosen. Das ist ein sehr großer Markt. Wir haben dann Kontakte zu deutschen Firmen geknüpft, die solche Artikel produzieren. Unser erster Abschluss kam vor kurzem mit einer deutschen Firma zustande, einem Hersteller von Fensterprofilen aus Kunststoff. Der liefert jetzt in den Irak, die Fenster werden direkt in einer eigens dafür erstellten Halle in Sulaimaniya produziert – unter Anleitung von deutschen Ingenieuren. Momentan richten wir in der Stadt einen Showroom ein, in dem wir sämtliche Produkte ausstellen können, die wir aus Deutschland beziehen.

Wie reagieren die deutschen Firmen, die Sie auf ein Engagement im Irak ansprechen?

Wir haben mit vielen deutschen Firmen Gespräche geführt. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass 80 bis 90 Prozent von ihnen Geschäfte mit dem Irak kategorisch ablehnen. Dabei gilt: Je größer die Firma, desto schwieriger ist es. Wenn ich Geschäftsführer von großen deutschen Firmen nach einem Engagement im Irak frage, erfinden sie die tollsten Ausreden. Aber in Wirklichkeit wollen sie einfach nicht. Ich habe das Gefühl, die meisten haben die Hosen voll, sich in einem Land zu engagieren, über das man eigentlich gar nicht so viel weiß.

Worauf führen Sie das zurück?

Dabei geht es natürlich in erster Linie um die Sicherheitslage. Die Angst ist einfach da. Und viele glauben, dass der Irak und Kurdistan ein und dasselbe sind, obwohl man da große Unterschiede machen muss. Dabei ist es in Kurdistan so, als ob man in Tunesien oder einem anderen Land der Region Urlaub macht. Ich fühle mich pudelwohl, wenn ich durch den Basar laufe, ich habe mich bei allen meinen Reisen noch keine Sekunde bedroht gefühlt. Es ist alles friedlich. Die Menschen sind überaus freundlich und wollen nach 30 Jahren Krieg endlich wieder ihr Land aufbauen. Und da wollen wir mit vollem Engagement mithelfen, bräuchten dazu aber viel mehr Unterstützung.

Wo die deutschen Firmen sich zurückhalten, machen andere die Geschäfte: die Türkei, China, die Golfstaaten…

Das ist das, was mir als deutschem Unternehmer am meisten leid tut. Wenn ich regelmäßig höre und lese, dass Länder wie China und die Türkei wieder mal Großaufträge abgreifen und Milliardenumsätze machen. Und das mit absoluten Billigprodukten, teilweise mit totalen Schrottartikeln, die nur ein oder zwei Jahre halten, oder Bauausführungen, die man in Deutschland nach der Fertigstellung sofort wieder abreißen würde. Aber Gott sei Dank findet langsam ein Umdenken statt. Die Menschen sind allmählich bereit, mehr zu bezahlen, um dafür Qualität zu bekommen. Die Hemmschwelle sehe ich bei etwa 30 Prozent. Mehr kann man den einheimischen Investoren noch nicht zumuten. Aber das ist ja ein Anfang.

Wie können Sie diesen Wandel unterstützen?

Das kostet sehr viel Zeit, Arbeit und Erklärungen. Das geht nur, wenn man sämtliche Produkte, die man verarbeitet und verkaufen möchte, in den Irak schickt und den Leuten vor Ort zeigt. Wenn sie zum Beispiel eine aus Holz hergestellte Innentür, die 20 Jahre und länger hält, mit den Händen anfassen können und daneben eine chinesische Tür steht, die praktisch aus Pappe besteht und die man mit der Faust durchschlagen könnte – dann ist der Unterschied spürbar, greifbar und vermittelbar. So kann man das Vertrauen der Menschen dort gewinnen. Aber den Aufwand muss man betreiben. Und das tun wir seit Monaten mit großer Leidenschaft.