Türkei will Armenier Gedenkstätte in Genf verhindern

MESOP – SAMI AL DEEB – 14.5.2013 – Die Pläne der Stadt Genf, eine Gedenkstätte für den Genozid an den Armeniern zu errichten, stossen auf harsche Reaktionen. Türkische Kreise haben sogar bei der Uno interveniert.

Der vielleicht berühmteste Armenier überhaupt, der weit über 80-jährige Chansonnier Charles Aznavour, war persönlich präsent, als die Stadt Genf vor zwei Jahren ihre Pläne für eine Gedenkstätte präsentierte. Das Mahnmal soll an den Völkermord erinnern, dem im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen. Die Reaktion der Türkei liess nicht lange auf sich warten: Sie protestierte beim Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Dann wurde es ruhig um das Projekt. Kurzzeitig zu reden gab nur das Veto der kantonalen Denkmalkommission gegen den vorgesehenen Standort in der Genfer Altstadt.

Doch jetzt haben die Behörden einen neuen Platz gefunden für die «Laternen der Erinnerung», die – anstelle von Lampen – Tränen aus Stahl tragen sollen. Neu soll das Mahnmal im Parc de l’Ariana errichtet werden, gleich neben dem Uno-Sitz, wie die Zeitung «Le Matin» publik machte. Der Standort sei zwar noch nicht ganz definitiv, aber «eine seriöse Option», bestätigt der zuständige Stadtrat Sami Kanaan .

«Ausdruck von Hass»

Gegen diese Pläne gehen türkische Kreise nun erst recht auf die Barrikaden. In den letzten Wochen haben sie nicht nur bei den Genfer Behörden interveniert, sondern versuchen, auch die Direktion des Uno-Sitzes gegen das Projekt zu mobilisieren. Celâl Bayar, der Präsident des Verbandes der türkischen Vereine der Romandie, bestätigt, dass es von türkischer Seite eine Intervention bei der Uno gegeben habe.

Der neue Standort sei «eine Provokation», sagt Bayar. Das Mahnmal verstosse gegen die Prinzipien der Uno, da es im Falle der Armenier keinen Völkermord gemäss der Völkermord-Konvention gegeben habe. Auch die türkische Botschaft in Bern verurteilt das Vorhaben. Das Mahnmal sei «Ausdruck von Hass», schreibt sie in einer Stellungnahme. Ein derart kontroverses Thema müsse in «einer offenen, objektiven und akademischen Debatte» behandelt werden und nicht mit dem einseitigen Blick einer Partei. Die Türkei akzeptiert die «Ereignisse von 1915» – so lautet die offizielle Sprachregelung – nicht als Völkermord. Seit je reagiert die Regierung scharf gegen jedes Land, das offiziell von einem Genozid spricht. Das hat auch die Schweiz erfahren, etwa als der Nationalrat 2003 den Armenier-Völkermord als solchen anerkannte.

Mit dem neuen Standort für die Gedenkstätte wird nach Ansicht von Bayar nun eine neue Eskalationsstufe erreicht. Wenn das Mahnmal so nahe an die Uno verlegt werde, werde «der Konflikt internationalisiert», sagt Bayar. Auch die türkische Botschaft bringt indirekt die Erwartung zum Ausdruck, dass der Bundesrat oder die Uno die Stadt Genf stoppen werden: «Wir gehen davon aus, dass die Bundesbehörden und die Uno durch ein solches Vorhaben tief beunruhigt sind.» Das EDA äussert sich nicht zur Frage, ob und wie die Türkei interveniert hat. Ein Sprecher hält lediglich fest, bei dem Mahnmal handle es sich «um eine Initiative der Stadt Genf, auf die der Bund keinerlei Einfluss hat». Das Genfer Stadtparlament hatte die Errichtung des Mahnmals 2008 beschlossen. Die Stadt finanzierte einen Wettbewerb, den der Künstler Melik Ohanian mit seinen tränenden Laternen gewann. Die armenische Gemeinschaft will die Kosten von rund einer halben Million Franken für den Bau tragen.

Ein Akt der Versöhnung?

Stefan Kristensen, Projektkoordinator sowie SP-Stadtparlamentarier, ist über den türkischen Druck nicht überrascht. «Persönlich halte ich es aber für unerträglich, dass die Behörden in Ankara Polizei über die Erinnerung der Armenier in der Schweiz spielen wollen», sagt Kristensen, der selber armenische Wurzeln hat. Kristensen geht davon aus, dass das Mahnmal im Laufe des Jahres 2014 eingeweiht wird – wenn möglich am 24. April, dem 99. Jahrestag des Genozids. «Die armenische Gemeinschaft steht wie ein Mann hinter diesem Projekt», sagt Sarkis Shahinian, Ehrenpräsident der Gesellschaft Schweiz-Armenien. «Wir werden es bis zum Schluss verteidigen und zum Erfolg bringen.» Die Botschaft des Mahnmals reiche über die Armenier-Frage hinaus, sagt er. «Denn der Armenier-Völkermord ist nur der erste systematische Völkermord einer ganzen Reihe von Genoziden im 20. Jahrhundert gewesen.»

Die Stadtregierung ist sich bewusst, dass es sich um ein delikates Projekt handelt. Man sei «offen zum Dialog» und werde einen türkischen Diplomaten empfangen, sagt Stadtrat Kanaan. Er wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, das Mahnmal sei ein polemischer Akt gegen die Türkei. Vielmehr will Kanaan es als Beitrag zur Versöhnung verstanden haben: «Man kann die Zukunft nicht auf gesunde Art und Weise gestalten, wenn man die Vergangenheit nicht anerkennt.» Zu möglichem Druck aus Bern äussert Kanaan sich nicht. Gut informierte Personen bestätigen jedoch, dass das EDA seine «Besorgnis» über das Projekt ausgedrückt habe. Denn die Türkei ist ein wichtiger Partner der Schweiz, vor allem wirtschaftlich.