TÜRKEI : Maßnahmen gegen die Kreditwirtschaft
Riskanter Boom in der Türkei – Neue Zürcher Zeitung – 28-11-2013 – Die Türkei kämpft mit Problemen, von denen man andernorts inmitten der Finanzkrise nur träumen kann. Gemeint ist das ungesund hohe Kreditwachstum, gegen das man nun mit neuen Regulierungen vorgehen will.
Während die meisten Länder Südosteuropas unter einer hartnäckigen Kreditklemme leiden, plagt die Türkei das gegenteilige Problem: Die Kredite an den Privatsektor fliessen allzu üppig, und zwar schon seit vielen Jahren. Wenn sich daher in der Türkei das Einkommen pro Kopf im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht hat, ist dies nicht zuletzt auf ein Wirtschaftswachstum zurückzuführen, das primär durch einen kreditfinanzierten Konsumboom angefeuert wurde. Gespart wird demgegenüber kaum noch. Zusammen mit der hohen Abhängigkeit von Energieimporten ergibt dies ein seit Jahren riskant hohes Leistungsbilanzdefizit.
Hürden für Ratenkäufe
Die strukturelle Schieflage ist zwar kein Novum. Die bisher ergriffenen Gegenmassnahmen haben am Problem aber wenig geändert. Die Bankenaufsichtsbehörde hat daher diese Woche neue Massnahmen angekündigt, um die Kreditvergabe einzudämmen. So wird etwa der Ratenkauf bei Produkten aus dem Elektronik-, Schmuck- oder Telekombereich auf maximal sechs Monate fixiert; bei Haushaltgeräten und Möbeln muss der Kaufbetrag nach zwölf Monaten abgestottert sein. Und wer ein Auto auf Kredit kauft, darf bei Fahrzeugen unter dem Wert von 18 000 € nur noch 70% des Kaufbetrags belehnen. Überhaupt kein Kauf auf Kredit wird in Lebensmittelgeschäften und Tankstellen toleriert.
Bereits Anfang dieses Monats hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Verwendung von Kreditkarten einzuschränken versucht, denn das Kreditwachstum hat zwischen 2009 und 2012 im Jahresschnitt über 25% betragen. Zwar konnte gegen Ende 2011 eine leichte Verlangsamung beobachtet werden. In der zweiten Hälfte dieses Jahres zog das Kreditwachstum aber wieder an; es liegt derzeit mit 26% weit über dem Zielwert der Zentralbank von 15%. Das Verhältnis der Kredite zum Bruttoinlandprodukt (BIP) ist zudem zwischen 2009 und Mitte 2013 von 40% auf 62% gestiegen, und in nominalen Grössen hat sich die Kreditvergabe der Banken seit Ende 2010 beinahe verdoppelt.
Rekordtiefe Sparquote
Eine Folge des anhaltenden Kreditbooms ist nicht nur ein Anstieg der Verschuldung privater Haushalte von 16% des BIP gegen Ende des Jahres 2010 auf derzeit 22% des BIP. Auch in den Bankbilanzen gewinnt das Kreditgeschäft stetig an Gewicht. So übersteigt die Summe der Ausleihungen längst die Summe der Einlagen; die Quote beträgt in der Branche 110%, nach einem Wert von noch unter 80% im Jahr 2009. Zwar sind die türkischen Banken solid kapitalisiert und bisher ohne grosse Blessuren durch die Finanzkrise gekommen. Angesichts des raschen Anstiegs privater Schulden und der hohen Abhängigkeit von ausländischen Geldern ist die Verletzlichkeit der Institute jüngst dennoch grösser geworden.
Hinter den Bremsmanövern der Behörden stehen auch makroökonomische Motive. So feuern die Kredite über den Import von Konsumgütern das Leistungsbilanzdefizit zusätzlich an, auf derzeit über 7% des BIP. Finanziert wird das Defizit dabei primär durch volatile Portfolioinvestitionen, auf die langfristig wenig Verlass ist. Um nicht zum Spielball kurzfristig orientierter Investoren zu werden, führt nichts an einer Erhöhung der rekordtiefen Sparquote von 12,6% des BIP vorbei. Dazu hilfreich wäre eine Zinserhöhung, was auch helfen würde, die per Oktober bei 7,7% liegende Inflation (Ziel der Notenbank sind 5%) zu senken. Mit Zinserhöhungen tun sich die Währungshüter indes schwer. Das hat nicht nur ökonomische Gründe, sondern ist auch mit dem politischen Druck von Regierungschef Erdogan, der für sein Land möglichst tiefe Zinsen einfordert, zu erklären.