Thomas von der Osten-Sacken: Die Regionalwahlen im Irak
Jungle World Nr. 16, 18. April 2013 – Theoretisch existieren im Irak lokale demokratische Strukturen, doch viele Irakis erwarten wenig von den Regionalwahlen.
Fast auf den Tag genau eine Dekade nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Bagdad werden im Irak am 20. April Wahlen für die Provinzparlamente abgehalten.
Es ist zugleich der erste Urnengang nach dem endgültigen Abzug aller ausländischen Soldaten. Sein Ablauf wird deshalb für Ministerpräsident Nouri al-Maliki zum Test, ob irakische Sicherheitskräfte die Lage im Land unter Kontrolle haben. Die Zahl der Anschläge ist zwar zurückgegangen, doch starben am Montag bei Attentaten in mehreren Städten mindestens 25 Menschen.
Nach dem Sturz Saddam Husseins sollte im Irak mit einer Reform des zentralistischen politischen Systems, das, wie in den meisten anderen arabischen Ländern, alle Entscheidungen in der Hauptstadt konzentrierte und Kommunen ohne Geld und Mitspracherechte ließ, mit Dezentralisierung und lokaler Demokratisierung ernst gemacht werden. De facto verfügen, außer in den kurdischen Autonomiegebieten, wo diese Reform noch ihrer Umsetzung harrt, Provinzen und Munizipalitäten nun über weitgehende Selbstverwaltungsrechte und kontrollieren, zumindest auf dem Papier, auch eigene Budgets.
Seit langem schon fordern Oppositionelle in der arabischen Welt Dezentralisierung und die Stärkung lokaler demokratischer Strukturen. Die Irakis haben nun theoretisch solche Verhältnisse. Trotzdem erhoffen sich die wenigsten von diesen Wahlen eine Verbesserung ihrer Lage. Denn die in Bagdad regierenden Parteien, die zentralistisch, hierarchisch und meist nach konfessioneller oder ethnischer Zugehörigkeiten organisiert sind, betrachten die Wahl vor allem als weiteres Schlachtfeld in ihrem Kampf um Dominanz.
Auch wenn zu diesen Wahlen erstmals ein nicht religiöses und nicht konfessionelles Bündnis antritt, die »Demokratische Alternative«, und es in einigen Städten eigene kommunale Wahllisten gibt, wird die Chance, die solche Wahlen bieten könnten, wohl weitgehend ungenutzt verstreichen. Während im von sunnitischen Arabern bewohnten Zentrum des Landes viele Kandidaten Mordanschlägen zum Opfer fallen, setzt die Regierungspartei von Nouri al-Maliki alles daran, mit Blick auf die nationalen Parlamentswahlen so viele Stimmen wie möglich auf sich zu vereinen. Maliki steht nicht nur unter Druck, weil im sunnitischen Dreieck seit Monaten Massendemonstrationen gegen ihn stattfinden, auch mit der kurdischen Regionalregierung hat er sich vergangenes Jahr überworfen. Kritiker werfen ihm einen diktatorischen Regierungsstil vor. Er vertrete außerdem eine auf Dominanz der Schiiten zielende, sektiererische Politik und stehe unter dem Einfluss des Iran.
Zu Recht also befürchten viele Irakis, dass die Wahlen die Konflikte verschärfen werden. Damit zeigt sich einmal mehr, wie schwer es ist, die Erblast zentralistischer Diktaturen zu überwinden. Immerhin finden auch nach dem Abzug der US-Truppen Wahlen im Irak statt, und nahezu alle Parteien bekennen sich formal zur Demokratie. Wie erst kürzlich auf einer Konferenz zum Jahrestag des Sturzes Saddam Husseins in London Irakis aus unterschiedlichen Teilen des Landes betonten, handelt es sich dabei um Errungenschaften, die in anderen Ländern der Region keineswegs selbstverständlich sind.